Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2010
Augenzeugen berichten
Der Türkische Rat für forensische Medizin hat im Auftrag des türkischen Justizministeriums die Autopsien vorgenommen und das Ergebnis am 4.Juni gegenüber dem britischen Guardian vorgestellt.
Demnach wurde auf neun Männer an Bord der Marmara insgesamt 30mal geschossen, fünf wurden durch Kopfschüsse getötet, zum Teil aus nächster Nähe.
Der 60 Jahre alte Ibrahim Bilgen bekam vier Schüsse in die Schläfe, die Brust, die Hüfte und den Rücken.
Auf den 19 Jahre alten Fukan Dogan, der auch die US-Staatsbürgerschaft besaß, wurden fünf Schüsse abgegeben aus einer Entfernung von weniger als 45 cm, ins Gesicht, in den Hinterkopf, zweimal in die Beine und einmal in den Rücken.
Zwei andere Männer bekamen je vier Kugeln ab, fünf weitere wurden entweder in den Hinterkopf oder in den Rücken geschossen.
48 weitere Männer wurden durch Schüsse verwundet, sechs Männer wurden zu dem Zeitpunkt noch vermisst.
Nur in einem Fall wurde ein Mann von nur einer Kugel getroffen, die aus größere Entfernung abgeschossen worden war. Alle Kugeln waren intakt, d.h. sie hatten nicht zuvor einen anderen Gegenstand getroffen, der dann abgelenkt worden wäre.
Ein Sprecher der israelischen Botschaft in London hat demgegenüber behauptet: «Die einzige Situation, in der ein israelischer Soldat geschossen hat, war, als er in einer lebensbedrohlichen Situation war.» Wie wird man lebensbedrohlich angegriffen, gar gelyncht, von jemandem, der einem den Rücken zuwendet?
*
Der 53-jährige Kanadier Kevin Neish aus Victoria, British-Columbia, war auf dem zweiten Deck der Mavi Marmara mit einer guten Sicht auf das Heck, wo die israelischen Soldaten landeten.
«Sie begannen ihren Angriff am frühen Morgen des 31.5. mit Zündgranaten, Tränengas und einem Kugelhagel.» Kevin zog sich auf das vierte Deck zurück, von wo er fotografieren konnte. Verwundete wurden an ihm vorbei in eine Notaufnahme gebracht. Auch mehrere IDF-Soldaten, die von den Passagieren oder der Crew festgesetzt worden waren, wurden da vorbeigebracht. «Ich sah, wie sie diesen IDF-Typen vorbeibrachten. Ihm stand die nackte Angst in den Augen, er dachte, sie würden ihn umbringen. Als ein großer Türke, der mitangesehen hatte, wie schwerverwundete Passagiere von den IDF-Soldaten erschossen worden waren, ausholte und den Soldaten schlagen wollte, drängten ihn die türkischen Sanitäter beiseite und drückten ihn an die Wand. Sie haben den israelischen Soldaten geschützt.»

Er sah dann den Tornister des Soldaten und schaute hinein. «Da gab es dieses Ringbuch, es war voller Fotos und Namen auf Hebräisch und Englisch von den Passagieren auf den Schiffen. Es enthielt auch ein detailliertes Diagramm der Decks der Mavi Marmara.» Das türkische Fernsehen hat Bilder des Ringbuchs gezeigt.

Inzwischen wurden mehr und mehr Menschen in die Notaufnahme gebracht Menschen mit Schusswunden, Sterbende und schon Tote. «Ich habe sie mit meiner Kamera fotografiert. Es gab mehrere Männer, die hatten zwei saubere Einschusslöcher an jeder Kopfseite, sie waren offenkundig exekutiert worden.» Kevin konnte die Speicherkarte seiner Kamera vor den Israelis verborgen halten; er überließ sie am Ende einem Türken, der nach Hause fliegen konnte und sie der Free Gaza Bewegung übergab.

Kevin weist Behauptungen, die israelischen Soldaten seien nur mit Farbkanonen und 9-mm-Pistolen bewaffnet gewesen, als Märchen zurück. «Als ich auf der Treppe stand, haben sie eine Bodenluke geöffnet, ein Maschinengewehr reingehalten und angefangen zu ballern. Ein paar Türken haben sie zum Glück mit kurzen Ketten vertrieben, die zur Befestigung der Rettungsringe dienten, sonst wäre ich ein toter Mann gewesen.» «Ich habe keine einzige Farbkanone gesehen. Ich habe auch bei den Passagieren und der Crew die ganze Zeit über nicht eine einzige Waffe gesehen.»

Kevin war zusammen mit der deutschen Delegation u.a. von der Challenger II auf die Marmara gekommen, weil die Challenger Opfer eines Sabotageakts der Israelis geworden war (was die Regierung zugegeben hat). «Als wir an Bord des großen Schiffs kamen, wurde ich gefilzt und mein Gepäck wurde auf Waffen durchsucht. Da ich Ingenieur bin, hatte ich natürlich ein Taschenmesser bei mir, aber sie haben es genommen und über Bord geworfen. Niemand durfte auf dieser Reise irgendeine Waffe bei sich tragen. Darauf haben sie sehr achtgegeben.»
(Aufgezeichnet von Dave Lindorff am 16.6.2010, www. counterpunch.com/ lindorff06162010. html.)
*
Der Australier Ahmed Luqman, sagte einem Team von ABC in einem Krankenhaus von Istanbul, ein Schuss habe am Oberschenkel eine Arterie getroffen, ein anderer das Knie; er habe soviel Blut verloren, dass er daran fast gestorben wäre, die israelischen Soldaten hätten ihn jedoch liegen gelassen und ihm jede ärztliche Hilfe verweigert. Er befand sich auf dem Hinterdeck und wollte sich gerade in die Kabinen in Sicherheit bringen.

Luqman weist die israelische Behauptung, «eine kleine Bande gewalttätiger Aktivisten» hätte die Soldaten angegriffen, zurück: «Keiner von uns weiß etwas davon, dass wir gekämpft hätten, und keiner hatte die Absicht zu kämpfen, wir sind friedliche Leute.» Einige hätten nur versucht sich zu verteidigen, als die Israelis das Feuer eröffneten. «Ich musste laufen, kam nicht auf eine Bahre, musste alle Stufen runter laufen, ohne Hilfe, ich bin auf der Treppe drei-, viermal ohnmächtig geworden.» Seine Frau Jerry hat ihm dann einen Verband angelegt, die den Blutfluss gestoppt hat. Sie blieb auch im Gefängnis bei ihm, wo die Misshandlung fortgesetzt wurde.

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