von Gisela Notz
Sie marschieren wieder, die christlichen Fundamentalisten und militanten Abtreibungsgegner vom Bundesverband Lebensrecht. 1000 Kreuze tragen sie am 18.September 2010 durch die Berliner Straßen, wenn sie nicht daran gehindert werden. Sie wollen für ein generelles Verbot von Abtreibungen demonstrieren und der Öffentlichkeit einprägen, dass in Deutschland täglich 1000 Kinder abgetrieben werden, wie sie zu wissen vorgeben.
Die christlichen Fundamentalisten nicht ernst zu nehmen, wäre Vogel-Strauß-Politik. Deshalb ruft ein breites Bündnis von linken Feministinnen, Antifaschisten, Antisexistinnen und vielen anderen zu einer Gegendemonstration auf.
Christliche Fundamentalisten und andere selbsternannte Lebensschützer agieren keineswegs mehr am Rande, sie haben wesentlich auf die Gesetzeslage Einfluss genommen und darauf, dass der §218 noch immer im Strafgesetzbuch steht und das Schwangerschaftskonfliktgesetz im letzten Jahr sogar verschärft wurde. Sie geben keine Ruhe, obwohl längst bekannt ist, dass restriktive Gesetze nicht dazu führen, dass weniger Schwangerschaften abgebrochen werden, sondern nur das Risiko, vor allem für arme Frauen, erhöht. Vermögende Schwangere haben sich schon immer medizinisch einwandfreie Abtreibungen leisten können.
Seit es den §218 gibt, also seit 1871, stoßen die strafrechtlichen Bestimmungen auf scharfe Kritik. Die Beseitigung des Paragrafen gehörte zu den Forderungen der ersten sozialistischen Frauenbewegungen ebenso wie vieler bürgerlicher Frauen. Mit dem Slogan «Dein Bauch gehört dir» stritten Frauen um die Jahrhundertwende für die Freigabe des Abbruches.
Die «Lebensschützer» schützen kein Leben, sondern gefährden es durch Psychoterror. Sie greifen in das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ein, belasten es mit Schuldkomplexen und versuchen, Frauen und Männer in ihrem Grundrecht auf Selbstbestimmung für oder gegen ein (eigenes) Kind zu verunsichern und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch insgesamt auszuhöhlen.
Haben sich Frauen für einen Abbruch entschieden, müssen sie auch heute oft noch Nöte, Ängste und Erniedrigungen durch verlogene und wenig hilfreiche Moralvorstellungen ertragen. Das Angebot möglichst guter ärztlicher Leistungen bei Schwangerschaftsabbruch ist nicht selbstverständlich. Oft werden Frauen als Bittstellerinnen behandelt, die Aufklärungspflicht über Risiken, wie vor jedem operativen Eingriff, wird von manchen Ärzten zur moralischen Verunsicherung der Frauen benutzt.
Konfessionell und politisch unabhängige Schwangerschaftsberatungsstellen und medizinische Zentren, die sich jenseits aller ideologischen, moraltheologischen und fundamentalistischen Grundsatzdebatten für einen unverkrampften Umgang mit Sexualität und Schwangerschaft einsetzen und eine medizinisch schonende, professionelle und wohnortnahe Versorgung gewährleisten, haben immer wieder gegen die angeblichen «Lebensschützer» zu kämpfen. Sie müssen es sich gefallen lassen, dass medizinische Zentren als «Tötungszentren» bezeichnet werden, denn laut Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2.März 2010 handelt es sich dabei um eine «freie Meinungsäußerung».
Jeden Schwangerschaftsabbruch ächten «Lebensschützer» als eine «vorgeburtliche Kindstötung», die verboten und bestraft gehöre. In den USA blockieren sie Kliniken und bedrohen und verletzen dabei sowohl Ärzte als auch schwangere Frauen. Aufsehen erregte ein «Lebensschützer», der im April verurteilt wurde, weil er im vergangenen Jahr einen prominenten Abtreibungsarzt in Kansas erschossen hat.
Aber auch in der BRD und in Österreich werden Frauen vor den Kliniken durch «Gehsteigberatung» eingeschüchtert und bedrängt. Christliche Fundamentalisten gehen nicht nur gegen die Selbstbestimmung der Frau vor. Sie versuchen heftig, die «alte Ordnung» der «heiligen Familie» mit der monogam auf die Fortpflanzung ausgerichteten Ehe und Hausfrauenmutter wieder aufzubauen. Sie beklagen die Krise der Familie und betrauern, dass sie durch viele andere Lebensformen mit vielfältigen personellen Zusammensetzungen ergänzt wird und die Realität anders aussieht, als es sich reaktionäre Kräfte wünschen. Homosexualität sei «aus biblischer Sicht Sünde und keine zielführende Sexualität».
Jede Abtreibung, auch wenn sie die Folge einer Vergewaltigung ist, wird als Gefahr für die Familie betrachtet. Dahinter steckt das Interesse, Frauen kontrollieren zu wollen. Die meisten Gruppen bringen demografische Argumente ins Spiel und verweisen auf die niedrige Geburtenrate. Gerade so, als ob eine Frau ein Kind bekommen würde mit der Absicht, die Rentenkasse zu füllen.
Für die Zukunft geht es um freie Zusammenschlüsse unter freien Menschen ohne Unterdrückung und Gewalt und um deren eigene Entscheidung für oder gegen ein Kind. Und es geht um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, damit weder Kinder, noch Erwachsene, in Armut leben müssen, gleich wie sie zusammen leben.
Nach wie vor gilt, was die Hamburgerin Alma Wartenberg bereits 1913 sagte: «Wenn der Staat auch noch so viele Gesetze gegen den Rückgang der Geburten schafft, so muss die Frau doch Herrin über ihren Körper bleiben.»
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