von Wolfgang Pomrehn
Der Sommer hat der deutschen Wirtschaft einen Höhenflug der Autoexporte und damit einen (vorübergehenden) Konjunkturaufschwung beschert. Doch er hat uns auch den Preis dafür angekündigt: Teuerung bei Ölprodukten und Weizen, Verseuchung der Meere, extreme Wetterbedingungen. Die Zeit drängt zur Umkehr. Als vor fast 40 Jahren der Club of Rome seine Warnungen vor dem Ende des Öls veröffentlichte, rüttelte das in einigen westlichen Ländern für einige Zeit viele Menschen auf, aber für die allermeisten blieb die Debatte sehr abstrakt, weit weg von ihrem Alltag. Das ist heute anders. Autofahrer können an der Tanksäule, Mieter an ihren Strom- und Heizkostenrechnungen ablesen, dass sich etwas verändert hat. Energie wird immer teurer.
Besonders beim Öl kündigt sich eine Verknappung an – festzustellen unter anderem daran, dass der Rohölpreis sich selbst in der Weltfinanzkrise, abgesehen von einigen wenigen Monaten, auf einem Niveau hielt, das noch vor zehn Jahren als Horrorszenario gegolten hätte. Peak-Oil, der Zeitpunkt, an dem die globale Ölförderung nicht mehr zu steigern ist, scheint nahe, und die Diskussion darüber hat längst die Expertenkreise verlassen. Inzwischen hat sich auch herumgesprochen, dass dieser Zeitpunkt den Beginn der eigentlichen Probleme kennzeichnen wird, viele Jahrzehnte bevor das Öl tatsächlich alle ist. Wenn die Fördermenge nicht mehr gesteigert werden kann, wird die Nachfrage das Angebot übersteigen und die Preise in bisher ungeahnte Höhen treiben. Das ist nicht nur ein Problem für Autofahrer, sondern auch für öffentliche Verkehrssysteme, für die Landwirtschaft und für die Düngemittelherstellung – umso mehr, je weiter der Ausbau von erneuerbaren Energien weiter hinausgezögert wird.
Einen immer höheren Preis für unsere Abhängigkeit vom Auto und vom Öl zahlen wir auch in Form immer schwererer Umweltkatastrophen. In diesem Sommer sind sie geballt aufgetreten: Nie dagewesene Dürre und Hunderte von Wald- und Torfbränden im europäischen Teil Russlands, in Ostsibirien und Westkanada, schwerer Smog über Moskau, erst Dürren dann extreme Niederschläge in verschiedenen Teilen Chinas, seit vielen Jahrzehnten die schlimmste Flutkatastrophe in Pakistan, rund ein Jahr extreme Hitze und Dürre in Niger, Mali, Tschad und benachbarten Staaten, gefolgt von eben so verheerenden Fluten in den letzten Wochen. Selbst die sonst eher sehr vorsichtige Weltmeteorologieorganisation WMO in Genf spricht angesichts dieser Häufung von den Vorboten des Klimawandels.
Als sei das alles noch nicht genug, demonstriert uns BP, der Konzern mit dem Sonnenblumen-Image, wie katastrophal die Suche nach dem letzten Öl ist. An Land und in den flachen Küstengewässern sind längst alle Ölfelder erschlossen, viele schon ausgebeutet. In Deutschland gibt es an Land praktisch kein Öl mehr, die letzte arbeitende Ölplattform steht im schleswig-holsteinischen Nationalpark Wattenmeer, einer der ökologisch weltweit produktivsten und für Meeresfauna und Fischerei daher besonders wichtigen Region. Die Lizenz hätte Ende des Jahres auslaufen sollen. Das zuständige Landesamt hat sie jedoch in aller Stille um weitere 30 Jahre verlängert. Nicht einmal der Kieler Landtag wurde gefragt oder auch nur im Vorfeld informiert.
Das Vorgehen ist syptomatisch für die Ölindustrie. Auch in den Vorstandsetagen von Shell, BP & Co. weiß man längst, dass die Preise demnächst kräftig steigen werden. Deshalb sollen auch noch die letzten Felder angezapft werden, auch wenn die sich unter arktischem Eis oder in der Tiefsee befinden, so wie BPs havariertes Bohrloch «Deepwater Horizon». Der Golf von Mexiko ist nur eine von vielen gefährdeten Regionen. Vor der Amazonasmündung, vor Angola und Westafrika, vor Grönland und vor den Küsten Chinas wird schon jenseits des Kontinentalsockels nach Öl gebohrt oder soll es demnächst werden. Vor Grönland hat dieser Tage die dänische Kriegsmarine ein Greenpeace-Schiff abgefangen, das dort gegen soeben begonnene Probebohrungen protestieren wollte.
Hoch im Norden zwischen dem kanadischen Archipel und Dänemarks nach Unabhängigkeit strebender Kolonie soll in Gewässern gefördert werden, die im Winter mit Eis bedeckt sind. Auch im Sommer dürfte es dort in den nächsten Jahren erhöhtes Eisbergaufkommen geben, denn einige hundert Kilometer weiter nördlich ist vor wenigen Wochen ein Stück Gletscher fast von der Größe Bremens und der Höhe des Empire State Buildings abgebrochen. Es ist das größte Ereignis dieser Art seit 50 Jahren – auch das einer der Vorboten des Klimawandels.
Da kann man nur froh sein, dass zumindest die Stromversorgung in Deutschland immer mehr auf Wind und andere Energieträger ohne Emissionen und Ölkatastrophen umgestellt wird. 16% waren es bereits 2009, 47%, erwartet die Branche, könnten es 2020 sein. Die Bundesregierung ist bescheidener und geht von 38% aus. Doch auch hier droht Ungemach. Die Stromkonzerne verschleppen den notwendigen Umbau der Stromnetze und wollen ihre Atommeiler länger laufen lassen. Doch die werden ebenso wie die geplanten neuen Kohlekraftwerke in einen erheblichen Konflikt mit den Erneuerbaren Energien geraten.
Das Gerede der Kanzlerin von der Brückentechnologie ist die reinste Volksverdummung. Tatsächlich sind die schwerfälligen Kraftwerke für den Betrieb rund um die Uhr konzipiert und können die unstetig Strom liefernden Wind- und Solaranlagen gar nicht ergänzen. Dafür wären zum Beispiel flexible Gaskraftwerke notwendig – die unter anderem auch mit Biogas betrieben werden könnten – und nicht zuletzt mehr Speicherkraftwerke.
Die Auseinandersetzung um die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist also nicht das letzte Gefecht in der seit den 70er Jahren tobenden Auseinandersetzung um die Atomenergienutzung, sondern einer der wichtigsten energiepolitischen Brennpunkte der nächsten Jahre. Letzten Endes geht es darum, ob die Energiewirtschaft uns noch ein bisschen länger an der Nadel Öl, Kohle und Uran halten kann, damit wir in ein paar Jahren richtig horrende Preise für die knapp werdende Energie zahlen müssen – von den katastrophalen Folgen für die Umwelt mal ganz abgesehen.
Weitere Texte zu diesem SoZ-Thema:
Rolf Euler/Angela Klein, Elektroauto: ein Beitrag zum Umweltschutz?
Tomas Konicz, Wie BP Washington an der Nase herumführt
Brian Marks, Louisiana: Ein Delta wird ruiniert
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.