Ist eine ökologische Industriegesellschaft möglich? Der Fehler in der Rechnung von Klaus Engert
Debattenbeitrag zu SoZ 7–8/2010
von Saral Sarkar
Klaus Engerts in mehrerer Hinsicht guter Beitrag enthält leider einige Fehler.
Zunächst einen theoretischer Fehler: Eine Industriegesellschaft ist nicht per se eine kapitalistische. Sie ist eine Gesellschaft, in der Bedürfnisse auf eine Weise befriedigt werden, die wir die industrielle (im Gegensatz zur handwerklichen) Produktionsweise nennen.
Die sowjetische war eine «sozialistische» Industriegesellschaft. Darum hält Engert einen ökosozialistischen «Umbau [keine Abschaffung] der Industriegesellschaft» für möglich.
Die entscheidende Frage ist nun: Ist eine ökologische Industriegesellschaft möglich? Engerts oben genannte Position erstaunt mich, denn er möchte eine «Produktionsweise, die den ökologischen Imperativ zur Grundlage hat», wobei er den Imperativ so versteht, dass «nur produziert werden darf, was prinzipiell für alle [in der Welt] erhältlich gemacht werden kann, ohne den Globus zu ruinieren».
Offenbar meint Engert, so eine Industriegesellschaft sei möglich. Ich finde das falsch. Aber ich denke, ich verstehe ihn. Er sagt, die Klimabilanz (1) der erneuerbaren Energien sei negativ. Er weiß sicher, dass Bruno Kern und ich der Auffassung sind: Zieht man die gesamte Produktionskette in Betracht, ist auch die Energiebilanz (2) dieser Energien negativ oder zu wenig positiv. Das macht einen großen Unterschied.
Wenn ihre Energiebilanz negativ ist, dann ist der Gebrauch einer Energieart im Allgemeinen sinnlos. Wenn aber nur ihre Klimabilanz negativ ist, dann kann man eine erneuerbare Energie dennoch mit der Begründung nutzen, dass wenigstens ihre Quelle, anders als Kohle, Öl etc., unerschöpflich ist. Den Gesamtausstoß der Treibhausgase kann man dann reduzieren, indem man das Ausmaß der industriellen Produktion reduziert, was Engert will. Aber kann eine Energieart mit einer negativen Klimabilanz überhaupt eine positive Energiebilanz haben?
Industriegesellschaften haben nicht nur ein Energieproblem, sondern auch ein Rohstoffproblem, denn die meisten Stoffe, die sie verbrauchen (müssen), sind nicht erneuerbar. Meine Behauptung, eine industrielle Kreislaufwirtschaft (das wäre eine ökologische industrielle Wirtschaft) ist ausgeschlossen, findet Engert problematisch. Will er das Gegenteil davon behaupten?
Er scheint suggerieren zu wollen, dass eine industrielle Wirtschaft mit einer anderen gesellschaftlichen Verfasstheit als einer kapitalistischen (etwa mit einer sozialistischen) durchaus eine Kreislaufwirtschaft sein kann. Das ist falsch. Ich habe mit dem Entropiegesetz argumentiert, das ein universales Naturgesetz ist und keine Rücksicht nimmt auf gesellschaftliche Verfasstheiten. Es gilt natürlich auch für nichtindustrielle Wirtschaften. Es ist aber deswegen besonders für industrielle Wirtschaften relevant, weil diese, anders als jene, hauptsächlich nichterneuerbare Rohstoffe verbrauchen.
Das Phänomen der Entropiezunahme macht ein vollständiges Recycling unmöglich. Selbst Metalle können beim ersten Zyklus im Schnitt nur zu 30% recycelt werden. Nach 10 Zyklen bleiben nur 0,1% übrig. Darum ist bei industriellem Wirtschaften ein Rohstoffkreislauf ausgeschlossen. Nichtindustrielle Wirtschaften verbrauch(t)en größtenteils erneuerbare Ressourcen. Darum könnten sie im Prinzip größtenteils Kreislaufwirtschaften sein. Bäume wachsen nach, Eisen kann leicht und hochprozentig recycelt werden.
Dass Engert das Thema Bedürfnisse anschneidet, ist sehr zu begrüßen. Aber die Kategorie «authentische Bedürfnisse» ist vage, nicht sinnvoll. Wer soll sie bestimmen? Außerdem werden nicht alle nichtauthentischen Bedürfnisse mittels Werbung geschaffen. Das Bedürfnis z.B., Pilgerreisen zu unternehmen, existierte schon vor der Entstehung des Kapitalismus. Besser als dieses Kriterium ist die Frage: Kann das Bedürfnis bei allen Weltbürgern befriedigt werden?
Auch die Frage nach der Arbeitszeit und Freizeit kann man nicht willkürlich beantworten. Eine ökosozialistische Gesellschaft der Zukunft muss zuerst feststellen, welche Grundbedürfnisse von wie vielen Menschen befriedigt werden müssen. Erst dann wird sich zeigen, wie viel Arbeitszeit notwendig und wie viel Freizeit möglich ist. Das wird auch zeigen, wie viele immaterielle Bedürfnisse befriedigt werden können.
Engert scheint auf Taktik Wert zu legen: «Besser, als mit dem Kollaps zu drohen und Schrumpfung zu fordern», sei es, das Positive an unserer Vision hervorzuheben, sie «attraktiv» erscheinen zu lassen. Aber mit Taktiererei kann man kein großes Ziel erreichen. Wir müssen beides tun. Wir dürfen keine Illusionen verkaufen.
Anmerkungen:
1. Im Gesamtprozess des Baus z.B. eines Solarkraftwerks – von der Herstellung des Baggers zur Rohstoffgewinnung bis zur Installierung des Kraftwerks – verbraucht man Energie, deren Produktion mit CO2-Emission einhergeht. Wenn die Menge dieser Emission die Gesamtmenge der CO2-Emission eines Kohlekraftwerks gleicher Kapazität (vom Baubeginn im obigen Sinne bis Ende der Betriebszeit) übersteigt, dann ist die Klimabilanz des Solarkraftwerks negativ. Andernfalls ist sie positiv.
2. Wenn die von dem Solarkraftwerk in seiner Gesamtbetriebszeit produzierte Energiemenge geringer ist als der Gesamtenergieaufwand bei seinem Bau, dann ist seine Energiebilanz negativ. Andernfalls ist sie positiv.