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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2010

von Angela Klein
Schlimmer als alle vier Kriege Pakistans mit Indien zusammen nennt ein pakistanischer Journalist die Folgen der Überschwemmungen, die der wochenlange Monsunregen in Pakistan angerichtet hat. Während die Wassermassen ein Gebiet von der Größe Englands unter sich begraben haben, ist in Russland in derselben Zeit bei Temperaturen von anhaltend 40° C kein Tropfen gefallen.

Der russische Wetterdienst hat in seinen Aufzeichnung «keine Hinweise, dass es auf russischem Boden in den letzten tausend Jahren eine vergleichbare Hitze gegeben hat». So hat man sich bei uns früher die Hölle vorgestellt: der Boden brennt unter den Füßen, Schwefel verpestet die Atemluft, das Trinkwasser ist verseucht, erreichbare Nahrung verkohlt augenblicklich.

Extreme Hitze verzeichneten in diesem Sommer insgesamt 17 Länder auf der Erde, mehr als in jedem anderen Jahr. Das erste Halbjahr 2010 war das wärmste in der Geschichte des Planeten. Die riesigen Wassermassen, die über der Meeresoberfläche verdunsten, werden über Land abgeregnet – anhaltende Wolkenbrüche trafen auch den Norden Indiens und Chinas, Südchina und Nordostbrasilien. Nach einer fast einjährigen Dürreperiode in Westafrika, die auf ungewöhnlich heftige Regenfälle im vergangenen Sommer gefolgt war, wurden nun aus Ghana, Nigeria, Sierra Leone, Tschad und Burkina Faso schwerste Niederschläge gemeldet, in Guinea sollen Hagelkörner so groß wie Hühnereier gefallen sein. Im Dreieck Deutschland, Polen, Tschechien gab es die dritte «Jahrhundertflut» innerhalb von acht Jahren. In Grönland brach ein riesiger Gletscher entzwei. Innerhalb weniger Wochen macht so ein Sommer Millionen Menschen obdachlos und zur Beute von Hunger, Krankheit, Tod.

«Die aktuellen Extremwetterereignisse sind ein Vorgeschmack dessen, was wir in Folge der Klimaerwärmung zukünftig zu erwarten haben», sagt Karsten Smid von Greenpeace. Ausgewogene Klimata sind eine Vorbedingung für landwirtschaftliche Produktion. In den annähernd 2 Millionen Jahren, seit die Spezies Mensch die Erde bevölkert, hat es nur einen sehr kleinen Zeitraum gegeben, in dem das globale Klima auf der Erde nach Temperatur und Niederschlag so ausgewogen war, dass landwirtschaftliche Produktion in großem Umfang und damit die Erwirtschaftung von Überschüssen möglich war. In diesem Fenster, das sich vor 10.000 Jahren geöffnet hat, leben wir heute. Durch den Klimawandel wird es ein Stück geschlossen. Die landwirtschaftliche Produktion ist gefährdet.

Und doch passiert nichts. In den Ländern des Nordens kommt die Abkehr von fossilen Brennstoffen nicht in Gang. Deutschland sonnt sich darin, dass seine Automobilindustrie ein Jahr nach der schlimmsten Branchenkrise der Geschichte fast wieder auf Rekordniveau fährt. Im ersten Halbjahr 2010 sind die Pkw-Ausfuhren um 44% gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen, die Inlandsproduktion um 23%.

Der neue Höhenflug der Exportwirtschaft beschert vorübergehend einen kleinen Konjunkturaufschwung und spült dem Finanzminister wahrscheinlich 11 Mrd. Euro mehr in die Kasse. Die gesellschaftspolitische Diskussion konzentriert sich darauf, dass der Aufschwung bei den unteren Schichten nicht ankommt, weil die Regierungspolitik dies verhindert – diese Kritik steht auch im Mittelpunkt der Herbstaktionen der Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen. Dass diese Exportwirtschaft mit ihrem Schwerpunkt auf energieintensiven Produkten mit dafür verantwortlich ist, dass Pakistan jetzt eine Hungerkatastrophe droht und die russische Hitze die Weizenpreise nach oben treibt, wird auch von ihnen kaum thematisiert. Umwelt und Arbeit sind scheinbar auf zwei verschiedenen Planeten angesiedelt.

Dabei gibt es Beispiele dafür, dass menschliche Arbeit Natur nicht nur zerstört, sondern auch schützt und häufig sogar erst lebenswert macht – vorausgesetzt, der Mensch gibt der Natur im lokalen und regionalen Maßstab zurück, was er von ihr entnommen hat, betrachtet seine Arbeit also als das, was sie in Wirklichkeit ist: Stoffwechsel mit der Natur, Teil des ökologischen Kreislaufs.

In den Ländern, die von den Unwettern betroffen sind, richtet sich die Kritik der Bevölkerung – neben der allgegenwärtigen Korruption – vornehmlich gegen den Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung für die öffentliche Infrastruktur und die Sicherung des Gemeinwesens: so in Russland, wo die Naturschutzbehörde, die mit Försterpatrouillen die Wälder kontrollierte, im Zuge der Privatisierungen aufgelöst wurde.

Sie richtet sich aber auch gegen den Wahn, Gefährdungen durch Naturereignisse mit Hilfe von Großtechnologie in den Griff bekommen zu wollen und lokale Kontroll- und Regulationsmechanismen außer Kraft zu setzen: In Pakistan sind die Überschwemmungen am verheerendsten in der Umgebung großer Staudämme, die zur Bodenerosion beitragen. In Russland hat die großflächige Trockenlegung der Moore vor allem im europäischen Teil den Boden anfällig für Brände gemacht.

Natur ist nicht nur gut, der Mensch muss sich auch vor ihr schützen. Die zentrale Kategorie dafür ist die Arbeit, nicht die Technik. Technik ist nur ein Hilfsmittel, sie darf die Umwelt nicht destabilisieren, sondern muss helfen, sie in ein Gleichgewicht zu bringen, in welchem die sie bewirtschaftende Bevölkerung ihren Platz hat. Zentralistische Großtechnologie welcher Art auch immer zerstört das Gleichgewicht – sie entzieht dem Menschen buchstäblich den Boden unter den Füßen.

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