von Daniel Kreutz
Mit dem sog. «Sparpaket» und einer Finanzierungsreform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stehen wir in diesem Jahr zwei Gesetzgebungsvorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung gegenüber, die den Sozialstaat erneut unter der Wasserlinie treffen und den Systemwechsel zum neoliberalen Wettbewerbsstaat vorantreiben.
Streichung sozialer Rechte
Zum einen soll das sog. «Sparpaket» die Belastungen des Bundeshaushalts durch die Finanzmarkt- und Wirtschaftkrise ausgleichen. «Kürzungspaket» wäre allerdings eine ehrlichere Bezeichnung. Denn es soll gekürzt werden, vorrangig bei erwerbslosen und armen Menschen. Ihnen vor allem will man jetzt die Kosten der Krise aufs Auge drücken, damit deren Verursacher in den Vorstandsetagen der Banken und die Finanzjongleure ebenso ungeschoren bleiben wie die Gruppen unserer Bevölkerung, die ihre alltägliche Lebensführung nicht mal einschränken müssten, wenn man sie zu einem Beitrag in dem Umfang heranziehen würde, den man jetzt den wirtschaftlich Schwächsten unserer Gesellschaft auferlegen will.
Insgesamt soll der Bundeshaushalt in den kommenden vier Jahren um 81,6 Milliarden Euro entlastet werden. 30,3 Milliarden davon, also 37%, sollen im Bereich der Sozialgesetze gekürzt werden, und zwar fast ausschließlich bei Erwerbslosen und Armen, nämlich im Arbeitsförderungsrecht des SGB III und bei Hartz IV, im SGB II.
Über die Hälfte dieser Sozialkürzungen – 16 Milliarden – soll durch die Umwandlung von Pflichtleistungen in Ermessensleistungen beim SGB II und III hereingeholt werden. Umwandlung von Pflichtleistungen in Ermessensleistungen bedeutet schlicht Streichung von Rechtsansprüchen der Betroffenen, Abbau von sozialen Rechten.
Die restlichen gut 14 Milliarden Euro treffen ausschließlich Menschen in Hartz IV. Die Hälfte hiervon (7,2 Milliarden) geht zulasten derer, die künftig aus der Arbeitslosenversicherung in Hartz IV ausgesteuert werden. Denen will man den zweijährigen Zuschlag streichen, der den Aufschlag beim sozialen Absturz bislang noch ein wenig abfedert. Hinzu kommt zum einen die Streichung der Rentenversicherungsbeiträge bei Bezug von Arbeitslosengeld II. Offenbar soll dem Ausschluss der Langzeiterwerbslosen aus der Arbeitslosenversicherung jetzt auch ihr Ausschluss aus der Rentenversicherung folgen. Der wesentliche Effekt der lächerlich geringen Beitragszahlung, die für ein Jahr Hartz IV nur einen monatlichen Rentenanspruch von 2,09 Euro bringt, besteht bisher darin, dass erworbene Ansprüche auf Erwerbsminderungsrente aufrechterhalten werden. Hier droht jetzt der Wegfall des Erwerbsminderungsschutzes, und zwar noch Jahre über die Beendigung des Hartz-IV-Bezugs hinaus, mit der Folge von Fürsorgeabhängigkeit und anschließender Altersarmut. Während kurzfristig die Rentenversicherung sehen muss, wie sie den Beitragsausfall wegsteckt, drohen langfristig den Kommunen steigende Ausgaben für die Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter.
Das Elterngeld
Zum andern wird bei Hartz IV das Elterngeld gestrichen. Vergessen wir nicht: Die Eltern in Hartz IV, darunter viele alleinstehende Mütter, waren schon die Verlierer, als das frühere Erziehungsgeld durch das Elterngeld abgelöst wurde: Ihr Anspruch auf 300 Euro wurde von zwei Jahren auf ein Jahr halbiert. Jetzt soll ihnen auch die verbliebene Hälfte noch genommen werden. Sonntags Betroffenheit über Kinderarmut zeigen und alltags bei armen Müttern von Säuglingen drastisch kürzen? Man muss schon Zyniker sein, um sich so was auszudenken.
Bei Eltern mit unteren und mittleren Einkommen will man das Elterngeld von 67% auf 65% kürzen. Die Besserverdienenden und Reichen aber sollen weiter den unveränderten Höchstbetrag von 1800 Euro bekommen. Da kann man sich nur schwer dem Eindruck entziehen, dass die sozialrassistische Botschaft an die Armen frei nach Thilo Sarrazin lautet: «Eure Kinder wollen wir nicht!»
Bei einem Punkt, der Hartz IV betrifft, ist es allerdings fraglich, ob die Einsparungen tatsächlich zustande kommen. «Effizienzverbesserungen bei der Arbeitsvermittlung bei SGB II» sollen in den Jahren 2013 und 2014 Einsparungen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro bringen. Nur sind bislang keine regulären Arbeitsplätze in Sicht, in die da effizient vermittelt werden könnte. Wenn das keine «Luftbuchung» ist, könnte es sich schnell als Maßnahme zur Verringerung des Leistungsbezugs entpuppen – zum Beispiel, indem es dann mehr Aufstocker gibt, deren Armutslöhne einen Teil des Arbeitslosengelds II ersetzen, oder mehr Abschreckung vor einer Inanspruchnahme der Leistung durch «konsequente Aktivierung».
Der letzte Punkt auf der Sozialkürzungsliste ist die Streichung des Heizkostenzuschusses beim Wohngeld – übrigens mit 0,1 Milliarden pro Jahr der kleinste Posten auf der Kürzungsliste. Im Herbst 2008, als die Energiepreise auf einem Höchststand waren, hatte man den Wohngeldberechtigten – das sind im Wesentlichen Geringverdienende, Kleinrentnerinnen und Arbeitslose im SGB III – einen Zuschuss zwischen 24 Euro monatlich für Alleinlebende und 49 Euro für einen Fünf-Personen-Haushalt zugebilligt. Nun sind die Energiepreise durch die Weltwirtschaftkrise zurückgegangen und die Koalition sagt, damit sei die Begründung für den Zuschuss entfallen. Dabei haben die Preise schon wieder angezogen, und die Experten sagen neue Preisrekorde voraus.
Reichtum ist privat
Den 30 Milliarden Euro bei Erwerbslosen und Armen stehen auf dem Papier 19 Milliarden Euro unter der Überschrift «Beteiligung von Unternehmen» gegenüber. Bei diesen sind sich aber die Kommentatoren einig: Teils ist es sehr fraglich, ob diese Maßnahmen überhaupt ergriffen werden, teils werden sie die Unternehmen gar nicht belasten, weil diese sie über die Preise an die Verbraucher weiterreichen.
Mit der gezielten Abwälzung der Krisenkosten auf die wirtschaftlich schwächsten Bevölkerungsgruppen bricht die Koalition nicht nur mit dem Verursacherprinzip, sondern auch mit jener Grundregel der Sozialstaatlichkeit, wonach die starken Schultern mehr tragen müssen als die Schwachen. Und die starken Schultern sind in Deutschland sehr stark und sehr breit.
Das oberste Zehntel derjenigen, die Einkommen aus Arbeit oder aus Vermögen erzielen, verfügt allein über 40% der gesamten Markteinkommen. Die untere Hälfte muss sich mit 3% begnügen. Zu den Markteinkommen des obersten Zehntels tragen nicht zuletzt die Einkommen aus Vermögen bei. Wir haben in Deutschland private Nettovermögen von insgesamt rund 8000 Milliarden Euro. Allein die Geldvermögen von knapp 4700 Milliarden Euro haben den Umfang von 14 Bundeshaushalten. Das oberste Zehntel unserer Bevölkerung besitzt rund 60% des Nettogesamtvermögens – und davon liegt ein Drittel allein bei dem einen Prozent ganz oben an der Spitze. Dagegen haben gut zwei Drittel der Gesamtbevölkerung gar kein oder kein nennenswertes Vermögen.
Die zunehmende Konzentration eines immer größeren Teils des gesellschaftlichen Reichtums oben an der Spitze ist die Kehrseite der wachsenden öffentlichen und privaten Armut – man könnte auch sagen: der wahre Grund dafür. Armut ist öffentlich Wenn neben der bekannten «Schuldenuhr» eine «Reichtumsuhr» stünde, dann wäre die in den vergangenen zehn Jahren mehr als doppelt so schnell gelaufen wie die Schuldenuhr. Denn die Geldvermögen sind in der Zeit zweieinhalbmal so stark gewachsen wie die Schulden.
Damit sei angedeutet, dass wir erheblichen Spielraum haben für eine kreative Steuerpolitik, die sich dem Grundsatz der Sozialpflichtigkeit des Eigentums verpflichtet fühlt. Deshalb wären Sozialkürzungen bei den Schwachen auch dann nicht «gerecht», wenn die Starken wenigstens im gleichen Umfang herangezogen würden. Nach Jahrzehnten einseitiger Zusatzbelastungen der schwächeren Bevölkerungsgruppen zugunsten der Starken gibt es keine Kürzungsmaßnahme in den unteren Etagen, die noch sozial gerecht, kein Kürzungspaket, das «sozial ausgewogen» wäre. Soziale Gerechtigkeit und Ausgewogenheit fangen erst da an, wo mit dem Kürzen unten aufgehört wird, um den Blick «einseitig» auf die oberen und obersten Etagen zu richten. Anders kann man dem Grundsatz der Belastung nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht Rechnung tragen.
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