Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2010
Das Festival Ramazanda Caz (14.-31.8.)

von Lothar A.Heinrich

Die vorherrschende Vorstellung hierzulande von türkischer Kultur, insbesondere von Musik, beschränkt sich auf Folklore mit Saz, Zurna und Davul, Bauchtanz, Arabesk Müzik und etwas Türk Pop. Grund dafür ist neben dem Desinteresse der hiesigen Massen der überwiegend ländliche soziale Hintergrund der hier lebenden türkischen «Gastarbeiter».

Einen ersten darüber hinaus reichenden Blick hat einer breiteren Schar von Interessierten wahrscheinlich Fatih Akins Musikfilm Crossing The Bridge erlaubt. In der Türkei selbst, zumindest in deren kulturellen Zentren und hier insbesondere in Istanbul, ist die Sache jedoch eine andere.

Ein besonderes Ereignis hat am 14.8. begonnen und wird am 31.8. enden: das Festival Ramazanda Caz auf Deutsch «Jazz im Ramadan». Organisiert von dem erfahrenen Organisator anderer hochqualifizierter Musikevents, Hakan Erdogan, handelt es sich hier um eine Premiere, zu der er – zugegebenermaßen primär um gerade im islamischen Fastenmonat Aufmerksamkeit zu erregen – ausschließlich muslimische Musiker herangezogen hat.

Die Liste ist eindrucksvoll. Es treten entweder im Archäologischen Museum der Stadt oder in den Gärten des osmanischen Sultanspalastes Topkapi Serail folgende Musiker auf: der schwarze US-amerikanische Pianist Ahmad Jamal, der als einer der wichtigen Einflüsse für Miles Davis gilt; der einst unter dem Namen Dollar Brand bekannte südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim; der tunesische Ud-Spieler und Sänger Anouar Brahem, einer der führenden Virtuosen auf dieser arabischen Laute; der ebenfalls aus Tunesien stammende Ud-Spieler und Sänger Dhafar Youssef, der noch stärker als Anouar Brahem moderne Jazz- und «World-Music»-Klänge in seine Musik einbaut; der von John Coltrane und Joe Henderson beeinflusste türkische Tenorsaxophonist, Ilhan Ersahin; der ebenso international bekannte Jazz-Pianist Aydin Esen, der mit Stars wie Eddie Gomez, Gary Burton und Pat Methany gespielt hat; und schließlich die Meister der traditionellen türkischen Kunstmusik: der Sänger Münip Utande, der Werke des Sufi-Komponisten und Zeitgenossen von Beethoven, Dede Efendi, interpretiert; und Kudsi Erguner, einer der hervorragenden Spieler der orientalischen Querflöte «Nay», eines zentralen Instruments der Sufi-Musik, der u.a. auch die Musik solcher Filme wie The Last Temptation of Christ und des indischen Films Mahabharata mitgeprägt hat.

In der Zeitung Today’s Zaman betont Hatice Ahsun Utku, dass zur Kultur des Fastenmonats Ramadan seit jeher auch eine Kultur der Unterhaltung gehört, dass aber deren traditionelle Formen, wie das Schattentheater oder Canto-und Fasil-Musik in den letzten Jahrzehnten in Gefahr liefen, fast vergessen zu werden. «Ramazanda Caz» sei in diesem Zusammenhang ein bemerkenswertes Projekt, das die Essenz der Ramadan-Unterhaltung mit modernem künstlerischen Geschmack zusammenbringe.

In der Tat ist es auch Erdogans erklärtes Ziel, das seit geraumer Zeit verloren gegangene Niveau der hierzu gehörenden Kultur wieder zu heben. Dazu gehört auch, dass darauf verzichtet wird, etwa die Werke von Dede Efendi zu «modernisieren». Sie sind schon perfekt und benötigen ganz sicher keine «Remixes», falls es überhaupt gute Musik gibt, die das erträgt.

Dass diesmal nur muslimische Musiker auftreten, sei keineswegs eine Festlegung auf die Zukunft, sagt Erdogan. In der osmanischen Zeit seien die Sänger, die im Ramadan Unterhaltung geboten hätten, sehr oft christliche Armenier, Griechen oder Juden gewesen. «Durch dieses Festival», so Erdogan, «sage ich: ‹Schaut her, wie sind ein muslimisches Land, aber wir sind diese Art von muslimischem Land.›» Im Übrigen gebe es ein internationales Interesse daran, seine Idee aufzugreifen – etwa im bevölkerungsreichsten muslimischen Land überhaupt, in Indonesien. Er werde sich bemühen, ähnliche Projekte z.B. auch in Ländern wie Syrien oder Jordanien zu verwirklichen.

Die Kunst, und insbesondere auch die Musik, hat seit jeher nicht unbedingt mit Religion im engeren Sinn, wohl aber mit Spiritualität zu tun. Im Jazz steht dafür besonders John Coltrane. Dass nun in Istanbul Musiker zusammenkommen, die sich zum Islam bekehrt haben oder eine aus der Tradition des islamischen Mystizismus (Sufismus) stammende Musik direkt praktizieren oder in ihre Arbeit integrieren, kann daher nicht verwundern, ebensowenig wie die Tatsache, dass sie sich hiermit deutlich von jedem Fundamentalismus abgrenzen. Es ist kein Zufall, wenn der Oberste Führer des Iran, Ayatollah Khamenei, noch Anfang August dafür plädiert hat, sich nicht mit Musik zu beschäftigen. Musik betrifft das auch den Sufis so wichtige Innere, Khameneis Islam jedoch die Unterordnung unter die Gesetze.

Im Übrigen ist dieses Festival als ein Jazz-Festival für Istanbul alles andere als einzigartig. Die Stadt verfügt über eine Reihe von Jazz-Clubs, in denen regelmäßig die Crème der internationalen Jazzwelt spielt. Erst vor kurzem, vom 1. bis 20.Juli, fand dort das immerhin 17.Internationale Istanbul-Jazz-Festival statt. Ob die Tatsache, dass mit den Gebrüdern Ertegun schon in 50er Jahren zwei Türken in den USA «Atlantic», eine der damals wichtigsten Jazz- und R&B-Schallplattenfirmen, gegründet hatten, damit irgendetwas zu tun hat, entzieht sich meinen Kenntnissen.

Diejenigen, die keine Zeit oder kein Geld haben, schnell nach Istanbul zu reisen, können übrigens einige der genannten Künstler, unter ihnen Elhan Ersahin und Kudsi Erguner, zum Ende des diesjährigen Ramadan, am 10. und 11.September, im Rahmen der dreitägigen Konzertreihe Diwan am Rhein in der Kölner Philharmonie hören und sehen.

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