von Daniel Kreutz
Statt das Finanzmarktcasino zu schließen, renovieren sie es bei laufendem Betrieb. Sie feiern das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung und laden die Krisenkosten durch Kürzungen bei Hartz IV auf die Armen und Erwerbslosen ab, damit Banken, Konzerne und Reiche ungeschoren bleiben. Sie werfen sich in Sorgenposen über Kinderarmut und streichen den Armen das Elterngeld.
Sie halsen künftige Kostensteigerungen bei der Krankenversicherung allein den Versicherten auf, um die Extraprofite der Pharmakonzerne zu schonen und die Arbeitgeber von der Kostenentwicklung freizustellen. Sie halten an Rentenkürzungen durch die Rente mit 67 fest. Kein gesetzlicher Mindestlohn, keine sonstige Regulierung darf Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung stoppen. Die Atomkonzerne aber bekommen mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten eine «Lizenz zum Gelddrucken». Und während der Afghanistankrieg ins zehnte Jahr getragen wird, feiert die deutsche Rüstungsindustrie ihren Aufstieg zum Europameister und auf Platz 3 der globalen Exporteure.
Kaum je zuvor war der Klassencharakter herrschender Politik so sehr mit Händen zu greifen wie heute. In ungenierter Fortführung der neoliberalen Rezepte, die die Welt in die Krise stürzten, bedient sie das primitiv-vulgäre Interesse einer kleinen Minderheit von Kapitalisten und Reichen, sich nach dem Motto «Nach uns die Sintflut» auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern.
Die haben rund 8000 Milliarden Euro an privaten Nettovermögen aufgehäuft, mehr als die Hälfte davon ist Geldvermögen (4,7 Billionen Euro) – das entspricht 14 Bundeshaushalten. Die oberen 10% der Bevölkerung besitzen 60% aller Vermögen, den obersten 800.000 ganz oben an der Spitze gehört ein Drittel davon – zwei Drittel der Bevölkerung hingegen sind praktisch vermögensfrei.
Die Ungleichheit der Vermögen setzt sich in der Ungleichheit der Einkommen fort: 40% der Markteinkommen landen bei den obersten 10%. Eine kreative, dem Grundsatz der Sozialpflichtigkeit des Eigentums verpflichtete Steuer- und Abgabenpolitik für mehr Sozialstaat und soziale Gerechtigkeit hätte enorme Spielräume.
Eine Reichtumsuhr wäre im vergangenen Jahrzehnt mehr als doppelt so schnell gelaufen wie die bekannte Schuldenuhr. Dennoch hievte man die «Schuldenbremse» in die Verfassung, die jetzt den «Sachzwang» abgibt für fortgesetzte Sozialkürzungen und für den Verzicht auf notwendige öffentliche Investitionen für Bildung, Gesundheit, Altersversorgung und ökologischen Strukturwandel.
Nicht die Staatsverschuldung gefährdet unsere Zukunft, sondern der fortgesetzte Schutz des parasitären Reichtums. Der Gesellschaft wird ein zunehmender Teil ihres Gemeineigentums geraubt und dann suggeriert, sie lebe über ihre Verhältnisse und müsse sparen, um den Konkurs abzuwenden.
Tatsächlich wird damit die Wirtschaftskrise verlängert und den Grundstein für den nächsten Crash gelegt. Und der «deutsche Sonderweg», sich gegenüber dem Ausland Wettbewerbsvorteile per Lohn- und Sozialdumping zu verschaffen, auf den sich auch der aktuelle «Aufschwung» stützt, belastet zunehmend das Verhältnis zu den europäischen Nachbarn.
Die Zerstörung des Sozialstaats beraubt viele Menschen ihrer Lebensperspektiven, stößt sie in Existenzunsicherheit, soziale Ausgrenzung, verletzt ihre Menschenwürde. Es ist «strukturelle» Gewalt gegen Menschen, ausgeübt ohne Not, kaltblütig und planvoll. Wo Regierung und Staat derart zur Beute des Kapitals werden, da verkommt Demokratie zur formalen Fassade einer Diktatur des Großen Geldes, fernab der «Herrschaft des Volkes».
Einer aktuellen Emnid-Umfrage zufolge sollen sich knapp 90% der Bevölkerung für eine neue Wirtschaftsordnung aussprechen, die mehr sozialen Ausgleich, Schutz der Umwelt und sorgfältigen Umgang mit Ressourcen ermöglicht als der Kapitalismus. So dumm, wie manche meinen, ist das lohnabhängige Volk denn doch nicht. Ohne die Meinungsmehrheiten für Mindestlohn und gegen die Rente mit 67, für Atomausstieg und gegen den Krieg in Massenwiderstand und demokratische Gegenmacht von unten zu übersetzen, wird das Rennen gegen den Vormarsch der Barbarei aber kaum zu gewinnen sein. Die Zeit drängt.
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