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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2010

Flut in Pakistan
Die menschlichen Ursachen der Katastrophe

Die Überschwemmung des größten Teils des Industals trägt Züge einer menschengemachten, historischen Katastrophe. Das UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) schätzt, dass 20 Millionen Pakistani äußerste Not leiden.

Viele irren obdachlos umher, andere sind wegen der zerstörten Brücken und überschwemmten Strassen von Hilfe abgeschnitten, Unzählige haben weder Zugang zu Nahrung noch zu Trinkwasser. In der Augusthitze verbreitet das Wasser tödliche Krankheiten, die insbesondere Kinder bedrohen – 3,5 Millionen von ihnen gelten als gefährdet.

OCHA-Sprecher Maurizio Giuliano sagt: «Diese Katastrophe ist schlimmer als der Tsunami, als das Erdbeben in Pakistan 2005 und das in Haiti vor einem halben Jahr.» Nach diesem Maßstab, schreibt der britisch-pakistanische Journalist Ahmed Rashid, ist sie auch schlimmer als alle vier Kriege Pakistans mit Indien zusammen genommen, ja, vielleicht sogar als die Teilung Britisch-Indiens 1947, klagt Pakistans Premier.

Offiziell liegt die Zahl der Todesopfer bei 1600 (Stand: 17.8.), doch sie wird steigen, weil der Mangel an Unterkünften, Nahrung und Wasser allmählich Wirkung zeigt und Krankheiten sich ausbreiten. Viele sind im doppelten Sinn innere Flüchtlinge, weil die beiden am meisten mitgenommenen Regionen, die Nordwestliche Grenzprovinz und Belutschistan, chronisch Austragungsort von Kampfhandlungen zwischen der örtlichen Guerilla und der Regierung sind, die ganze Dörfer entvölkert haben. Jede einzelne Brücke im gebirgigen Swat-Gebiet, Schauplatz zahlreicher Offensiven der Armee gegen die pakistanischen Taliban, wurde weggeschwemmt. Auch zahlreiche afghanische Flüchtlingslager wurden vernichtet, ihre Bewohner einmal mehr entwurzelt.

Die Bilder von Staatspräsident Asif Ali Zardari, der durch Europa tourte, während das Wasser stieg, veranlasste die internationalen Medien, von der Katastrophe als Zardaris «Katrina» zu sprechen. Was auch immer die unmittelbaren Folgen für Zardari sein mögen, der sich nun beim Schleppen von Reissäcken ablichten lässt – die reißenden Schlammassen des Indus sind eine grimmige Mahnung, dass es die von Menschen verursachten Gleichgewichtsstörungen sind, die für all dieses Unheil verantwortlich sind.

Das Muster des CO2-Zeitalter

Ähnlich wie Katrina ist das Hochwasser in Pakistan eine Naturkatastrophe, die die menschlichen Entschlossenheit, die Natur zu beherrschen, noch schlimmer macht. Die pakistanische Regierung hätte gegen den Furor des diesjährigen Monsunregens nichts ausrichten können, ebensowenig wie Bush gegen den Hurrikan Katrina.

Bereits am 6.August, nach einer Woche Platzregen, als die mehrwöchige Monsunsaison gerade angebrochen war, wurde klar, dass diese die heftigsten Monsunfälle in Pakistans 63-jähriger Geschichte werden würden. Jeder wurde davon überrascht: Noch im Juni hatte der Wetterdienst des Landes vorausgesagt, die Regenfälle von Juli bis September würden in diesem Jahr «normal» ausfallen.

Wissenschaftler sind schnell zur Hand mit der Beteuerung, dass man nicht ein einzelnes Wetterereignis auf die globale Klimaerwärmung zurückführen kann. Das Klima ist zu komplex, um es aus einer einzigen Ursache ableiten zu können. Doch die Mehrzahl der Experten stimmt darin überein, dass sich derzeit ein Muster herausbildet, bei dem heftige Stürme immer häufiger werden, und dass dieses Muster für das CO2-Zeitalter charakteristisch ist. Es gibt Grund zur Annahme, dass die asiatischen Monsunregen mit fortschreitender Klimaveränderung variabler und extremer werden.

Viele Klimaforscher sagen voraus, dass es im Laufe der Zeit in den halbtrockenen Gebieten Asiens, zu denen der Großteil Pakistans gehört, immer weniger regnen wird. Landwirtschaftliche Flächen werden von der Wüste geschluckt werden, da die Bewässerungskanäle austrocknen. Die Monsunregen aber werden nicht langsam abnehmen, vielmehr wird die Ab- und Zunahme ihrer Intensität in Bandbreiten erfolgen, die unvorhersehbar sind. Der Klimabericht des renommierten UN-Ausschusses IPCC hält es für «sehr wahrscheinlich», dass die Anzahl «heftiger Niederschläge» im Zuge der menschengemachten Klimaerwärmung zunimmt. Wenn es regnet, sagen sie, schüttet es.

Direkter nachweisbar ist die Schmelze der Himalayagletscher, die den Indus und andere Flüsse anschwellen lassen. Der Rückgang der Gletscher ist weltweit zu beobachten. In Pakistan sind die Folgen davon ähnlich wie beim Monsun: Auf lange Sicht wird es viel weniger Wasser geben, aktuell jedoch ein erhöhtes Flutrisiko.

Die Gefahren des Staudamms

Viele pakistanische Beobachter erklären das Ausmaß der Überschwemmungen und Zerstörungen zum Teil mit Entscheidungen des Staates – vor allem mit dem Bau großer Staudämme an entscheidenden Stellen des Verlaufs des Indus.

Staudämme sind das Symbol einer modernen Wasserinfrastruktur schlechthin. Im Bestreben, es den US-Ingenieuren gleich zu tun, die Kalifornien zu einer blühenden Landschaft gemacht haben, versuchen die nachkolonialen Staaten im Mittleren Osten und in Asien, immer noch größere Dämme zu errichten, um Wasser für eine grüne Revolution in jedem Flussbett und elektrisches Licht in jeder Straße aufzufangen.

Umweltverträglichkeit dieser Staudämme – ganz abgesehen von den sozialen Verwerfungen, die bei ihrem Bau entstehen – wird inzwischen jedoch stark bezweifelt. Denn Dämme unterliegen unbeabsichtigten Folgen. In Ägypten verhindert der Assuan-Staudamm die jährlichen Nil-Hochwasser; er erlaubt eine zuverlässige Bewässerung rund ums Jahr und erhöht damit beträchtlich die Produktivität der Landwirtschaft. Doch die jährlichen Hochwasser hatten auch einen reinigenden Effekt; jetzt sind die ländlichen Gebieten mit stehenden Gewässern übersät, in denen sich Parasiten breit machen, die die Wurmerkrankung Bilharziose verursachen.

In Pakistan hat die Stauung des Indus zu einem höherem Salzgehalt und größeren Ablagerungen flußaufwärts geführt. Dem Delta wurde dadurch sein fruchtbarster Boden geraubt, das Flussbett angehoben und was vormals trockenes Land war in einen Teil der Flussebene verwandelt. Bau und Wartung der Dämme sind teuer und anfällig für menschliches Versagen und Fehlplanung.

Mustaq Gaadi schreibt in der pakistanischen Zeitschrift Dawn (16.8.), ein Dammbruch nahe dem Taunsa-Staudamm habe das Hochwasser in Zentralpakistan ausgelöst, etwa auf halber Strecke zwischen dem Hochland und dem Arabischen Meer. Nachdem der Damm gebrochen war, umrundete der Fluss den Staudamm und suchte sich ein neues Bett, überflutete dabei ein Bewässerungswerk und Felder, die das Werk der Ingenieure eigentlich hätte sichern sollen.

Die Bevölkerung von Taunsa warnt seit Jahren vor gefährlich großen Ablagerungen flußaufwärts und fordert bessere Hochwasserschutzmassnahmen, doch die staatlichen Verbesserungsmaßnahmen waren unzureichend. Auf der vielfach verbreiteten Landkarte der OHCA, die das Ausmaß der Überflutungen zeigt, ist zu sehen, dass die am ärgsten betroffenen Gebiete hinter oder neben Dämmen und Staudämmen liegen.

Im Jahr 2004 wurden bei der Weltbank 144 Mio.Dollar für die Reparatur des Taunsa-Staudammes beantragt – auf der Webseite der Bank ist er als «Notprojekt» ausgewiesen. Die Bauarbeiten in Taunsa erzwangen die «Umsiedlung» von 160 Haushalten; lokale Aktivisten waren frustriert, dass die Bank das Problem der Ablagerungen flußaufwärts ignoriert hatte. Die Bank behauptet, ihr Eingreifen habe dazu beigetragen, «dass dieser Staudamm der Sturzflut des Indus widerstand», und legte Pläne vor, in den kommenden Jahren an drei weiteren Stellen ähnliche Reparaturen oder Installationen vorzunehmen.

Nun wird das Hochwasser aber die Skeptiker bei der Weltbank stärken, denn die Kosten von Staudämmen scheinen weitaus höher als ihr Nutzen, insbesondere durch die Brille der Wasserbehörde gesehen. Wegen der Zurückhaltung der Weltbank konnte die Türkei ihren enormen Staudammkomplex in Südostanatolien nicht fertig stellen. Pakistan bekommt die 12 Mrd. Dollar nicht, die es für den Bau des Diamer-Bhasha-Staudamms braucht, der Wasserkraft für die wachsenden Städte und noch mehr Land für bewässerte Landwirtschaft produzieren soll. Die Sorge um die Nachhaltigkeit solcher Megaprojekte ist wohl begründet.

Quelle: Middle East Report, www.merip./org/

Übersetzung: Angela Huemer

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