Interview mit Claudia Haydt *
Die Mehrheit der deutschen Deelegation in der Fraktion der Linken im Europaparlament sucht in der Frage des Mindestlohns die Annäherung an die Positionen der Sozialdemokratie.
Sabine Wils, Sprecherin der deutschen Delegation in der Fraktion der Linkspartei im Europaparlament, ist aus dieser Funktion abgewählt worden. Warum? Ist sie zu links?
Nein, sie vertritt keine speziell linken Positionen, sie ist nur eine der wenigen innerhalb der deutschen Delegation, die sich an die Beschlüsse des Essener Parteitags der deutschen LINKEN hält. Auf diesem Parteitag wurden die Europawahlen vorbereitet und ein Europawahlprogramm verabschiedet, Sabine hat sich nur an dieses Programm gehalten – ebenso wie Sabine Lösing; die anderen fünf sind umgefallen, einer ist noch unentschieden.
Welche Beschlüsse waren das?
Sie betreffen u.a. das Verhältnis zur EU-Militärpolitik, zur Mindestlohnpolitik in der Europäischen Union und Fragen der Finanzmarktkontrolle. Diese Beschlüsse werden nun von der Mehrheit innerhalb der deutschen Delegation aufgeweicht.
Was heißt das konkret?
Der Anlass für die derzeitige Auseinandersetzung ist die Frage des Mindestlohns in Europa. Es ist gar nicht so leicht, in dieser Frage eine gemeinsame europäische Position der Linken zu beziehen, denn die südeuropäische Linke betrachtet einen gesetzlichen Mindestlohn bereits als Kapitulation der Gewerkschaften: Weil diese nicht mehr stark genug sind, müssen wir auf einen gesetzlichen Mindestlohn zurückgreifen. Deshalb darf eine Mindestlohnforderung auch eine gewisse Höhe nicht unterschreiten.
Im Essener Wahlprogramm und auch im Programm der Europäischen Linkspartei wird der Mindestlohn auf 60% des Durchschnittslohns des jeweiligen Mitgliedstaats festgelegt. Je nachdem, wie man das berechnet, liegt er damit zwischen 9 und 14 Euro. In Deutschland fordert DIE LINKE 10 Euro, das liegt in dieser Bandbreite.
Was wird jetzt gefordert?
Eine Mehrheit der deutschen Delegation fordert nun, den Mindestlohn auf der Basis von 60% des Durchschnittseinkommens zu berechnen. Das Durchschnittseinkommen liegt deutlich niedriger als der Durchschnittslohn, weil er auch Menschen in Hartz IV oder in Rente umfasst. Ein Mindestlohn auf der Basis von 60% des Durchschnittseinkommens kommt auf 5,60 Euro – das ist fast die Hälfte. Das ist eine ganz massive Aufweichung linker Positionen.
Wie kommt es dazu?
Eine Erklärung ist vielleicht, dass die neue Position kompatibel ist mit denen der europäischen Sozialdemokraten. Die fordern einen Mindestlohn auf der Höhe von 60% des nationalen Durchschnittseinkommens. Wer solche Positionen nun innerhalb der Europäischen Linkspartei durchsetzt, sorgt dafür, dass die Linksparteien Stück für Stück kompatibel wird mit der europäischen Sozialdemokratie und sich damit schlussendlich überflüssig macht.
Wir bekommen also den Kurs auf Regierungsbeteiligung auf dem Umweg über Brüssel durchgesetzt?
Als allererstes bekommen wir eine Spaltung der europäischen Linken. Denn es ist ja nur die Mehrheit der deutschen Delegation, die diese Position einnimmt, keineswegs die Position anderer nationaler Delegationen, nicht der Spanier, nicht der Franzosen, nicht der Portugiesen usw.
Gibt es in der ELP überhaupt jemanden, der das noch vertritt?
Nein, damit ist die deutsche Delegation in der Linksfraktion allein. Das Dumme ist nur, die deutsche Delegation stellt in der Fraktion die größte Gruppe und bislang mit Bisky auch den Vorsitzenden. Durch ihre Größe hat sie auch ein starkes Zugriffsrecht auf Redezeiten und prägt das Außenbild der Fraktion.
Was ist mit den anderen Fragen?
Wichtig ist auch das Verhältnis zum Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), das ist so was wie das zukünftige Auswärtige Amt der EU, das Frau Ashton zuarbeiten wird. Im EAD werden Diplomatie, Entwicklungshilfe und Verteidigungspolitik zusammengefasst und es gibt kaum eine parlamentarische Kontrolle. Die Parteibeschlüsse sagen klar, dass DIE LINKE dieses Konstrukt ablehnt. In Brüssel aber ist zumindest ein Teil der deutschen Delegation der Meinung, man müsse einen positiven Bezug zum EAD entwickeln, weil man an seiner Struktur eh nichts mehr ändern könne.
Hat die Partei Kontrollmöglichkeiten über die Mitglieder der deutschen Delegation im EP?
Nein, dummerweise nicht. Das ist die Freiheit der Parlamentarier, die können tun, was immer sie wollen, es gibt nur die Möglichkeit, parteiintern Druck auszuüben, das versuchen wir gerade.
* Claudia Haydt ist zusammen mit Dieter Dehm in den Vorstand der Europäischen Linkspartei gewählt worden. Helmut Scholz, der bisher der männliche Vertreter aus Deutschland in diesem Vorstand war, wurde abgewählt.
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