von Ingo Schmidt
Arbeiter sind für Unternehmer ein notwendiges Übel. Einerseits sind sie notwendig, weil ihre Arbeitskraft Waren produziert, die den begehrten Mehrwert enthalten.
In der SoZ vom September 2010 haben wir eine Serie zur Krisentheorie und Krisenpolitik begonnen. Alle Beiträge der Serie gehen jeweils einem Strang der marxistischen Theorie nach und klopfen ihn auf seine historische und aktuelle Relevanz ab. Nichtmarixistische Krisentheorien werden, sofern sie in der linken Debatte ein Rolle spielen, aus marxistischer Perspektive vorgestellt.
Im ersten Teil der Serie haben wir gesehen, dass die Verhandlungsposition der Arbeiterklasse durch periodische Krisen und die damit verbundene Arbeitslosigkeit soweit geschwächt wird, dass eine langfristige, durch steigende Löhne verursachte Profitklemme nicht eintritt. In dieser Ausgabe geht es um die Ersetzung lebendiger Arbeitskraft durch Maschinen.
So unverzichtbar die Arbeitskraft für die Mehrwertproduktion ist, so übel sind ihre Besitzer: Entweder geben sie Widerworte, fordern höhere Löhne und rennen zur Gewerkschaft, oder sie behaupten, ihre Arbeit über alles zu lieben und fangen an zu bummeln, sobald Meister oder Manager ihnen den Rücken zuwenden. Wie viel einfacher ist da der Maschineneinsatz: Knöpfchen drücken und sofort wird ein kontinuierlicher Strom von Waren ausgespuckt.
Kein Wunder also, dass Unternehmer jede technische Neuerung, die den Ersatz lebendiger Arbeitskraft durch Maschinen erlaubt, mit Begeisterung aufnehmen. Dadurch steigt die Produktivität, sinken die Kosten, und einen Teil der lästigen Proleten ist man auch los.
Die Sache hat nur einen Haken: Profit bzw. Mehrwert wird nur durch die Verausgabung lebendiger Arbeitskraft produziert. Das in Maschinen bzw. Produktionsmitteln aller Art angelegte Kapital überträgt zwar seinen eigenen Wert auf die Waren, die mit Hilfe der Arbeitskraft hergestellt werden, produziert aber keinen darüber hinausgehenden Wert. Wird ein steigender Teil des Kapitals für Produktionsmittel statt für lebendige Arbeitskraft ausgegeben, sinkt die auf das Gesamtkapital – Wert der Produktionsmittel plus Wert der Arbeitskraft – berechnete Profitrate.
Im dritten Band des Kapitals argumentiert Marx, dass sich langfristig trotz einer Reihe entgegenwirkender Faktoren der Fall der Profitrate durchsetzt. Zu letzteren rechnete er insbesondere die Intensivierung der Arbeit, Lohnsenkungen, den Import von Waren aus Weltregionen, in denen die Verfügbarkeit billigerer Arbeitskraft den Einsatz von Maschinen auf einem niedrigen Niveau hält, sowie die Tatsache, dass der Produktivitätseffekt eines steigenden Maschineneinsatzes auch die Maschinerie selbst verbilligt. Mit anderen Worten: Der Produktionsmitteleinsatz ist gewaltig gestiegen, das heißt aber nicht, dass sich der Wert der Produktionsmittel entsprechend dem Wert der jeweils eingesetzten Arbeitskraft erhöht hat.
Die Frage, ob es sich beim tendenziellen Fall der Profitrate um ein ehernes Gesetz kapitalistischer Entwicklung oder lediglich um eine logisch denkbare Entwicklungsrichtung handelt, wurde erst während der Nachkriegsprosperität der 50er und 60er Jahre diskutiert. Zweifel an der Gültigkeit des Gesetzes wären allerdings schon bei Erscheinen des dritten Bandes des Kapital 1894 angebracht gewesen: Nach zwei Jahrzehnten Depression war der Kapitalismus gerade in eine Prosperitätsphase eingetreten, die Marxens Krisen- und Zusammenbruchstheorie alsbald als historisch überholt erscheinen ließ.
Bei der Zurückweisung dieses insbesondere von Eduard Bernstein vertretenen Revisionismus spielte das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate allerdings gar keine Rolle; die ökonomische Debatte drehte sich hauptsächlich um die Zirkulationssphäre und die damit verbundene Frage, ob die imperialistische Eroberung neuer Märkte eine unausweichliche Phase kapitalistischer Entwicklung darstelle oder ob Sozialreformen den Binnenmarkt vergrößern und damit den Druck zur äußeren Expansion verringern könnten.
Nachdem der Erste Weltkrieg – und in seinem Gefolge Wirtschaftskrise und Revolution – die Hoffnung auf Sozialreformen, Binnenmarktentwicklung und Klassenkompromiss zerstört hatte, tauchten solche Ideen – von Rudolf Hilferding als «Organisierter Kapitalismus» bezeichnet – während der Stabilisierungsphase Mitte der 20er Jahre wieder auf. Um das bevorstehende Ende dieser Phase samt der damit einhergehenden Verschärfung des Klassenkämpfe zu begründen, griff der kommunistische Ökonom Henryk Grossman auf den tendenziellen Fall der Profitrate zurück und begab sich damit in einen theoretischen Zweifrontenkrieg. Gegenüber der in Ungnade gefallenen Spartakus-Führerin Rosa Luxemburg wollte er zeigen, dass nicht der Mangel an Absatzgebieten zum ökonomischen Zusammenbruch führt. Gegenüber den Sozialdemokraten, die das Problem unzureichender Nachfrage bestritten oder durch Staatsintervention zu lösen hofften, behauptete Grossmann, die fortschreitende Ersetzung lebendiger Arbeitskraft durch Maschinen habe einen Punkt erreicht, an dem die weitere Akkumulation aus Mangel an anlagesuchendem Mehrwert zusammenbrechen werde (Grossmann 1929). Die Faktoren, die laut Marx dem Fall der Profitrate entgegenwirken konnten, hätten sich historisch erschöpft, weshalb der Zusammenbruch der kapitalistischen Ökonomie unmittelbar bevorstünde.
Grossmann hätte sich kein besseres Jahr als 1929 aussuchen können, um seine These in Buchform zu veröffentlichen. Von der Krise betroffene Unternehmer hätten sich über Grossmanns Erklärung allerdings gewundert. Ihr Problem bestand nämlich nicht in einem Mangel an Mehrwert, wie Grossmann behauptete, sondern darin, dass sie nicht wussten wohin mit ihrem anlagesuchenden Kapital. In seinem Kampf gegen Luxemburgs Theorie von der unzureichenden Nachfrage hatte Grossmann nicht nur die Probleme der real existierenden Kapitalisten falsch eingeschätzt, sondern zudem, wie die meisten kommunistischen Theoretiker jener Zeit, die theoretischen und wirtschaftspolitischen Überlegungen von John Maynard Keynes vollkommen unterschätzt.
Erst angesichts des Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit, zu dem der Keynesianismus wie auch die Eroberung neuer Absatzgebiete im globalen Süden und in den kapitalistischen Zentren maßgeblich beigetragen haben, stellten die amerikanischen Marxisten Paul Baran und Paul Sweezy die Gültigkeit des Gesetzes einer tendenziell fallenden Profitrate wieder infrage (Baran/Sweezy 1967). Nicht steigende Kosten des Produktionsmitteleinsatzes seien das Problem des entwickelten Kapitalismus, sondern die Schaffung ausreichender Absatzmöglichkeiten für das stetig anschwellende Warenangebot.
Seit den 70er Jahren auftretende Überkapazitäten sowie eine daraufhin nachlassende Investitionsdynamik in den kapitalistischen Zentren bestätigten Barans und Sweezys Betonung des Nachfrageproblems – nicht aber unbedingt ihre apodiktische Zurückweisung des Gesetzes der fallenden Profitrate. Schon bevor der Kapitalismus in den 70er Jahre von Absatzproblemen geplagt wurde, drückten steigende Kosten des Produktionsmitteleinsatzes auf die Profitrate. Hierin sah eine Generation junger Marxisten in den 70er Jahren den Beleg, dass Marx und Grossmann doch recht gehabt hätten und nunmehr ein Zusammenbruch auf der Tagesordnung stünde, dem kein Keynesianismus beikommen würde.
Dabei hatten sie die Rechnung ohne die klassenpolitische Aktion der Bourgeoisie gemacht. Als habe sie heimlich doch Marx gelesen, machte diese sich an eine aktive Politik zur Erhöhung der Profitrate. Die dabei zur Anwendung gebrachten Mittel, gemeinhin als Neoliberalismus bezeichnet, entsprechen ziemlich genau den Faktoren, von denen Marx sagte, dass sie dem Fall der Profitrate entgegenwirken. Mit dieser Entwicklung hat sich allerdings nur noch eine Handvoll marxistischer Ökonomen beschäftigt (Dumenil/Levy 1993).
P.A.Baran/P.M.Sweezy, Monopolkapital. Ein Essay über die amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, Frankfurt 1967.
G.Dumenil/D.Levy, The Economics of the Profit Rate. Competition, Crises and Historical Tendencies in Capitalism, Cheltenham 1993
H.Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems (1929), Frankfurt 1967.
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