von Uwe Bitzel
Nach ihrem Scheitern in Dresden hätten die Nazis am 4.September in Dortmund dringend einen Erfolg gebraucht. Stattdessen gab es eine weitere Niederlage.
Rund 800 Faschisten, eine – geschätzt – fünfstellige Zahl von Gegendemonstranten aller Couleur bei mehreren Dutzend Veranstaltungen gegen Rechts, 4000 Polizeibeamte und 160 Festnahmen. Das ist in knappen Zahlen die Bilanz des Naziaufmarschs in Dortmund am 4.9.
Wäre es eine andere Jahreszeit, könnte man titeln: «Alle Jahre wieder.» Schließlich war es das sechste Mal, dass die Nazis zu ihrem sog. «Nationalen Antikriegstag» nach Dortmund aufgerufen hatten. Alle Jahre wieder der gleiche Ablauf: Die Nazis kündigen Monate vorher ihren Aufmarsch in zeitlicher Nähe des Antikriegstags an – in diesem Jahr unter dem Motto: «Gegen Kriegstreiberei und lebensvernichtende Gleichmacherei! Für eine zukunftsfähige Welt in den Farben der Völker!»
Die Proteste dagegen werden ebenfalls Monate vorher vorbereitet, der Polizeipräsident wird zum Verbot der Demonstration aufgefordert, tut er es (wie in diesem und manchen Jahren zuvor), holt er sich spätestens beim Bundesverfassungsgericht eine blutige Nase.
Doch das vermeintliche Déja-vu stellte sich in diesem Jahr nicht ein. Einiges war anders: Die Nazis hatten eine Großdemonstration durch den Dortmunder Norden geplant – es ist ihnen deutlich nicht gelungen, dieses Ziel zu erreichen. Weder «groß» noch Demonstration: Es blieb bei der Kundgebung auf einem abgelegenen Parkplatz am Dortmunder Hafen – mit genau 483 Teilnehmern. Weiteren dreihundert gelang es nicht mal, zur Kundgebung zu kommen. Zwar versuchen die Nazis jetzt, dieses Ergebnis schön zu reden, doch selbst in ihren Internetforen kommt Unmut auf. Festzuhalten bleibt: Nach dem Scheitern in Dresden hätten sie dringend einen Erfolg gebraucht. Stattdessen gab es eine weitere Niederlage. Ihre Mobilisierungsfähigkeit ist – zumindest zunächst – an Grenzen gestoßen.
Terror
Das ist zwar erfreulich, doch das Naziproblem in Dortmund lässt sich nicht auf jährliche Kundgebungen beschränken. Erzählen wir deshalb von Angelika. Sie wohnt zusammen mit Dirk, ihrem Mann, in Dortmund-Dorstfeld. Das ist der Stadtteil, den die Nazis gern zu einer «national befreiten Zone» erklären. Deshalb zeigen sie sich hier mit faschistischen T-Shirts, rassistischen Meinungsäußerungen und mit der Reichskriegsflagge, die aus ihren Wohnungen hängen. Überall sind Naziaufkleber, selbst auf Schaufenstern von Geschäften. Und dort bleiben sie auch. «Weil die Ladeninhaber Angst haben, sie abzumachen», so Angelika.
Die Angst ist begründet. Das haben Dirk und Angelika erfahren, als sie Naziaufkleber von ihrer Haustür abgeknibbelt haben. Dabei wurden sie von Nazis zunächst beobachtet, und dann bedroht: Nachts gingen Fensterscheiben zu Bruch, ihr Auto wurde demoliert, sie selbst verfolgt. «Die Polizei haben wir immer wieder alarmiert. Aber die haben uns nicht ernst genommen.» Nach Monaten wandten sie sich an die Presse. Das Ergebnis: Allerortens ein Strohfeuer der Empörung – bis hinauf zum Oberbürgermeister. An der tatsächlichen Situation hat niemand etwas geändert.
Angelika und Dirk wohnen heute nicht mehr in Dorstfeld. Die beiden sind wohlsituierte Bürger aus der gerne zitierten «Mitte der Gesellschaft». An ihnen haben die Nazis beispielhaft vorgeführt: Es trifft nicht nur die organisierten Antifaschisten, es trifft jeden, der nicht für uns ist. Die Nazis hier sind «Autonome Nationalisten». Sie sind jung, gewalttätig und gefährlich. Für bundesweite Furore haben sie im letzten Jahr mit dem Überfall auf die 1.-Mai-Demonstration gesorgt. Zu ihrem festen Kern gehören maximal 20 Personen. Sie sind allerdings in der Lage, zu Aktionen schnell deutlich mehr Personen zu mobilisieren.
Wichtig ist: Die Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus spielt eine erheblich geringere Rolle, als die Linke sich vorstellt. Immer wiederkehrende Themen sind der Sozialabbau und die Machtlosigkeit des normalen Bürgers: Die «da oben» machen ohnehin, was sie wollen, und «der kleine Mann» wird mit seiner Meinung ignoriert. Damit knüpfen sie an den Erfahrungshorizont der Bevölkerungsmehrheit an.
Es entsteht was Neues
Dortmund ist eine Hochburg der Nazis. Weil die Stadtspitze und der Polizeipräsident sie jahrelang ignoriert und ihnen den Weg geebnet haben. Das ist zumindest die Erklärung der Dortmunder Antifaschisten. Verbunden wird sie mit der Forderung, Nazidemonstrationen im Keim zu ersticken. So honorig diese Meinung auch sein mag, am Kern der Sache geht sie jedoch vorbei. Soziale Misere, Strukturwandel, Arbeitslosigkeit, Verlust von Identifikation – all das ist in Dortmund besonders ausgeprägt. Ganze Stadtteile versinken in Armut. Und deshalb ist der Boden für faschistische Rekrutierungsversuche gut gedüngt.
Grob und ungenau, aber kurz und bündig, gibt es zwei große Gruppierungen, die sich gegen Nazis engagieren. Die eine umfasst auch organisatorisch («Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus») so ziemlich alles von CDU über Wohlfahrtsverbände und Kirchen bis hin zu den Grünen und der SPD. Alles links davon macht die andere Gruppierung aus. Beide wollen eher nichts miteinander zu tun haben. Doch auch hier ist etwas in Bewegung geraten. Ein Symbol dafür ist, dass ein prominentes Mitglied der MLPD auf der Protestkundgebung des «Arbeitskreises» reden durfte.
Mehr als ein Symbol ist die – nach den Erfahrungen mit den Nazibrutalitäten des letzten Jahres – beginnende Öffnung einiger Personen innerhalb des «Arbeitskreises» gegenüber Aktionsformen wie Blockaden gegen Naziaufmärsche. Auch hier: kein Déja-vu. Beides wäre noch im letzten Jahr undenkbar gewesen.
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