Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Amerika 4. November 2010
…aber auch einiges verloren
von Antonio Moscato
Berücksichtigt man die schwierige wirtschaftliche Situation, die Unruhe angesichts der steigenden Kriminalität und die Unzufriedenheit mit der verbreiteten Korruption, ist das Wahlergebnis für Chávez’ PSUV bei den Parlamentswahlen in Venezuela am 26.9. zufriedenstellend.

[Die PSUV hat bei den Wahlen 98 von 165 Sitzen errungen, aber die Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verloren.]
Zwar können Chávez und seine Partei nun die geplanten Verfassungsreformen nicht durchführen, das ist jedoch nicht wirklich negativ. Denn die aktuelle Verfassung ist von Chávez gewollt und wurde von ihm bereits mehrfach modifiziert. Eine weitere Reform hätte unnötigerweise die Spannungen im Land verschärft, das weiterhin in zwei ungefähr gleich große Lager gespalten ist.

Die Diskrepanz zwischen der großen Beteiligung an den Präsidentschaftswahlen und den vielen Nichtwählern bei den Regionalwahlen – wenn es darum geht, die «Mitarbeiter» von Chávez zu wählen, von denen ein beträchtlicher Teil an der Basis auf Opposition stößt – ist eine Konstante in der Wahlgeschichte der Ära Chávez. Die europäische Presse, die stets zur Hand ist, die «bolivarianische Revolution» schlecht zu machen, war deshalb überrascht vom erneuten Erfolg von Chávez.

Der Erfolg ist jedoch relativ. Tatsächlich hat Chávez’ Koalition 5.447.198 Stimmen und 98 Sitze erhalten, während die heterogene Mesa de Unidad Democrática 5.330.754 erhielt, jedoch nur 65 Sitze. Die PPT (Patria para todos – Vaterland für alle), früher Teil der Chávez-Koalition, konnte 320000 Stimmen auf sich vereinen, was zu 2 Sitzen reichte.

Diese Aufteilung auf Parlamentssitze ist das Ergebnis eines zweifelhaften Wahlmodus, der im Übrigen vor den Wahlen erneut verändert wurde. Das Kräftegleichgewicht, das aus diesen Wahlen resultiert, ist nicht dazu angetan, dass man in ein Triumphgeheul verfällt. Man sollte sich hüten, jedwede Abweichung als inakzeptabel abzutun, und sich lieber darauf konzentrieren, zumindest die Wählergruppen zurückzugewinnen, die erst kürzlich mit Chávez gebrochen haben, wie die PPT.

Es ist wahr, die Opposition ist sich lediglich in der Ablehnung von Chávez einig, und sie wird große Schwierigkeiten haben, für die Präsidentschaftswahlen 2012 einen gemeinsamen Kandidaten und ein Programm zu finden. Eine der möglichen Kandidaten ist María Corina Machado, die an der Seite von Pedro Carmona war, als er im Jahr 2002 einen Staatsstreich versuchte; sie sitzt im Vorstand des Metallunternehmens, das ihrem Vater gehört. Sie wurde mit 230.000 Stimmen gewählt, aber ihr Anliegen, die gesamte Anti-Chávez-Koalition zu vertreten, wird die Überläufer aus dem bolivarianischen Lager auf eine harte Probe stellen: Dieses Mal haben sie die unzusammenhängende Allianz unter der Bedingung der Aufteilung der Sitze akzeptiert.

Es wäre wünschenswert, dass der Präsident die Niederlage seines Lagers in einigen wichtigen Regionen wie Zulla bedenkt – dort hat sich die Opposition konsolidiert und zwölf Sitze erlangt, die PSUV hingegen nur drei –, oder Anzoategui, dessen sehr umstrittener Gouverneur Tark Williams von der PSUV kommt, die hier nur einen Sitz erlangen konnte, die Opposition hingegen fünf.

Wenn er sich nicht mit der sog. «Bolibourgeoisie» (der bolivarianischen Bourgeoisie) anlegt, wird der bolivarianische Prozess große Risiken eingehen.

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