von Gerhard Klas
Im Schatten der Verhandlungen zwischen der EU und China fanden Mitte Oktober in Delhi auch Verhandlungen über ein europäisch-indisches Freihandelsabkommen statt. Seit 2007 verhandeln die EU-Kommission und die indische Regierung auf höchster Ebene. Spätestens Anfang kommenden Jahres soll das Abkommen unter Dach und Fach sein.
Europas Wirtschaft kriselt, während Indien mit seinen knapp 1,2 Milliarden Einwohnern Jahr für Jahr ordentliche Wachstumsraten verzeichnet. Das weckt Begehrlichkeiten. Deshalb bezeichnen führende Wirtschaftslobbyisten das geplante Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU als «große Hoffnung» für die europäische Wirtschaft.
Die Wunschliste der Konzerne an den Verhandlungsführer, EU-Handelskommissar Karel de Gucht, ist lang: Supermarktketten wollen in Indien ihre Filialen eröffnen, Pharma- und Agrarindustrie fordern stärkeren Schutz ihrer intellektuellen Eigentumsrechte, Lebensmittelkonzerne wollen keine Zölle mehr zahlen, Finanzjongleure gieren nach neuen Profiten für ihre Hedgefonds, und Versorgungsunternehmen wollen künftig bei der Privatisierung der Wasser- und Energieversorgung, des Transport- und Gesundheitswesens mitfeilschen.
Auf taube Ohren stoßen sie nicht – im Gegenteil: «Wir können die EU-Kommission in den Verhandlungen als unser Sprachrohr nutzen», freute sich noch im März Ansgar Sickert, Hauptgeschäftsführer des Flughafendienstleisters Fraport in Indien. Die Einsprüche europäischer und indischer Umweltverbände und Gewerkschaften blieben ungehört: Ihrem bescheidenen Wunsch, in dem Vertrag auch verbindliche soziale und ökologische Kriterien zu verankern, kommt die EU-Kommission nicht nach.
Dabei ist das Abkommen ökologisch und sozial ein Desaster. Es wird zwar die europäischen Handelsbilanzen aufhübschen und die Aktienkurse in die Höhe treiben, aber zugleich viele Inder in den Abgrund reißen. Schon heute nimmt sich jede halbe Stunde ein indischer Bauer das Leben, weil er mit dem Erlös seiner Arbeit die Familie nicht mehr ernähren kann. Der unbeschränkte Import hochsubventionierter Lebensmittel aus der EU wird noch mehr Bauern in den Tod treiben. Die meisten der 33 Millionen Straßenhändler können einpacken, wenn europäische Supermarktketten wie Carrefour, Tesco und Metro den indischen Markt erobern.
Aber auch in Europa wird das Freihandelsabkommen negative Auswirkungen haben – z.B. werden viele Beschäftigte in der Autoindustrie ihre Arbeit verlieren. Denn dort wird es zu ähnlichen Entwicklungen kommen wie schon vor Jahren im Textilsektor: Forschung, Entwicklung und Design bleiben in der EU, Produktion und Montage werden ins Billiglohnland Indien ausgelagert. Für die Verhandlungsführer der EU-Kommission sind das zweitrangige Probleme. Hauptsache, die europäische Autobranche macht Gewinn.
Schon 2006, vor Beginn der Verhandlungen, ließ der damalige EU-Handelskommissar Peter Mandelson gegenüber Wirtschaftsvertretern verlauten: «Diese Verhandlungen führen wir in Ihrem Interesse.» Der Öffentlichkeit hingegen werden mit Hinweis auf die Verhandlungstaktik Informationen vorenthalten.
Zusammen mit indischen Umweltverbänden und Gewerkschaften fordert die NGO Corporate Europe Observatory (CEO) deshalb den Abbruch der Verhandlungen. Aber das wird nicht passieren. Damit bleibt als letzte Hoffnung das EU-Parlament. Seit der Lissabon-Vertrag in Kraft getreten ist, muss auch es neuen Handelsverträgen zustimmen. Doch die Geschichte des EU-Parlaments ist in dieser Hinsicht kein Ruhmesblatt, denn regelmäßig gelingt es den zahlreichen Brüsseler Wirtschaftslobbyisten, das Abstimmungsverhalten der Mandatsträger in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch in Indien gibt es Lobbyisten, die im Interesse der europäischen Konzerne agieren. Wie der Studie von CEO und FDI-Watch zu entnehmen ist, werden sie sogar mit EU-Steuergeldern finanziert.
Download unter: www.corporateeurope.org/global-europe.
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