Satirezeitung macht auf Missstände aufmerksam
Die freien Mitarbeiter des WDR – zumindest einige – mucken endlich auf: gegen Billiglohn, Programmverflachung und den neoliberalen Zeitgeist. Ausdruck verliehen haben sie ihrem Unmut mit einer gefälschten WDR-Zeitung, mit viel Witz, Ironie und Bissigkeit.
Die sonst so gelehrig daher kommende Maus aus der Sendung mit der Maus zeigt sich auf dem Titelblatt der täuschend echt gestalteten Hauszeitschrift wdr-print kämpferisch: Mit erhobener Faust setzt sie sich an die «Spitze der Bewegung». Angesichts ihres perfekt geklonten Aussehens muss man zweimal hinsehen, um das gut gemachte Plagiat zu erkennen, das auf vielfältige Weise auf Schieflagen innerhalb des größten deutschen Rundfunksenders WDR hinweist.
Die «Zukunftsausgabe für gutes Programm» vom November 2011 verkündet die Abkehr vom beständigen Schielen auf die Einschaltquoten. Die Intendantin Monika Piel wird mit der Devise scheinzitiert, weniger Quizsendungen und Zoogeschichten zu bringen, dafür aber das Profil des Senders mit mehr «Recherche, Hintergrund, Kultur» schärfen zu wollen.
Eine der wichtigsten «Bohrenden Fragen» der Satire-wdr-print lautet: Wie kann es sein, dass nur rund 6% des Senderbudgets für freie Mitarbeiter aufgewendet werden, obwohl die doch einen großen Teil des Programms gestalten? Tatsächlich sind die Honorare seit Mitte der 90er Jahre weitgehend unverändert und es werden immer mehr Leistungen verlangt – allein wegen des seither entstandenen und beständig erweiterten Internetauftritts. Zudem werden vereinbarte Tariferhöhungen nicht an die Journalisten weiter gegeben, da der Sender die entsprechende Summe nicht auf die Redaktionsbudgets aufschlägt. Das heißt, Sendeplätze werden eingeschränkt – oder es wird für schlechtere Bezahlung die gleiche Leistung verlangt.
Positivverstärkung
Die Macher des Plagiats setzen auf die beflügelnde Wirkung von Utopien. Eine davon ist das Zuschauerparlament: Am 4.Oktober 2011 soll der Rundfunkrat durch ein solches ersetzt werden. Darüber hinaus sollen leitende Redakteure künftig gewählt und die Rechte der freien Autorinnen und Autoren besser gewahrt werden.
Dass die Zeitung durchaus auch von den «Betroffenen» wahrgenommen wurde, zeigte die Reaktion der Intendantin Monika Piel: Laut Süddeutscher Zeitung zollte sie dem Plagiat Respekt: «Die Ausgabe ist witzig und phantasievoll gemacht, mit gelungenen Pointen und einem Layout von hoher Professionalität. Einmal mehr ein klarer Beleg dafür, dass der WDR eine Menge kluger Köpfe hat.»
Sogar der Rundfunkrat blieb von der Utopie nicht unberührt: Ralf Michalowsky, der Anfang November als erstes Mitglied der Partei DIE LINKE in den Rundfunkrat kam, berichtete auf Nachfrage, man habe in der ersten Sitzung nach Erscheinen der wdr-print darüber debattiert, ob das Plagiat wohl in der Arbeitszeit der Redakteure gemacht wurde und damit Kosten für den WDR entstanden seien. Inhaltlich gab es lediglich Seitenhiebe auf einzelne Rundfunkratsmitglieder. Befragt nach den im Plagiat vorgeschlagenen Anregungen für eine Verbesserung des Rundfunkrats, meinte Michalowsky, er könne sich gut öffentliche Sitzungen vorstellen. Das wäre zumindest ein erster Schritt.
Es wäre wünschenswert und vonnöten, dass der Rat möglichst viele der Anregungen der «Zukunftsausgabe für gutes Programm» sorgfältig prüft. Den «klugen» freien und angestellten Redakteuren des WDR ist es zu wünschen – aber auch die Hörer und Zuschauer hätten etwas davon.
Das Plagiat ist im Internet auf der Seite www.freieseiten.de/ abzurufen.
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