von Hartwig Hohnsbein
Bald nach dem Weihnachtsmann guckt, wie in jedem Jahr, in einer Sondersendung des Fernsehens der Bundespräsident in die Wohnzimmer der Bundesbürger. Vor einem Jahr noch tat das ein Herr Köhler. Seine weihnachtliche und weinerliche Botschaft, die er 2009 verkündete, lautete: «Das wichtigste Buch, das ich kenne, ist die Bibel, denn ihr Inhalt ist heute genauso aktuell wie damals.»
Deren aktuelle Weisung für sein Amt spricht der Apostel Paulus in seinem ersten Korintherbrief (1.Kor. 7,20), aus: «Jeder bleibe seiner Berufung treu, so wie er berufen wurde.» Sie konnte ihm selbst ein halbes Jahr später nicht mehr helfen, und so haben wir nun, seit dem 30.Juni 2010, einen neuen Bundespräsidenten, den Christian Wulff aus Niedersachsen.
Wulff, ein katholischer Christ aus Osnabrück, war einige Jahre lang eines der 35 Kuratoriumsmitglieder der «ProChrist-Evangelisation», die mit ihrer «Satellitenmission» und ihrem «Christival» alle paar Jahre unsere Gesellschaft belästigt. «ProChrist» gehört zur evangelikalen «Weltweiten Evangelischen Allianz» mit 420 Millionen Mitgliedern, deren amerikanischer Flügel schon mal, wie 2004, eine Präsidentschaftswahl entscheiden kann. Für sie alle gilt als unverrückbarer Grundsatz, die «göttliche Inspiration der Heiligen Schrift und ihre Irrtumslosigkeit in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung» anzuerkennen und weltweit zu verbreiten.
Dieser Glaubenssatz verpflichtet alle «Allianzanhänger» als Erstes, für den sog. Kreationismus zu werben. Danach wurde das Leben auf der Erde von dem biblischen Gott in sechs Tagen so geschaffen, wie es auf den ersten Seiten der Bibel beschrieben wird. Eine andere Verpflichtung für alle Evangelikalen ist der Kampf gegen Homosexualität und gegen Schwangerschaftsabbruch. Die göttliche Weisung dafür findet sich im 3.Mose 20,13: «Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist. Beide sollen des Todes sterben. Blutschuld lastet auf ihnen.»
Ihre «christlichen Grundüberzeugungen» wissen die deutschen Evangelikalen auch an ihrem Mitglied Christian Wulff zu schätzen. Bis auf weiteres müssen sie aber auf ihn verzichten; während seiner Amtszeit ruht nämlich seine Mitgliedschaft. Es bleiben ihnen aber für ihr «ProChrist-Kuratorium» so bibeltreue Abendländer wie Peter Hahne, Altbischof Wolfgang Huber, die Minsterpräsidentin des Freistaats Thüringen, Christine Lieberknecht, der Ministerpräsident a.D. und stellvertretende Präsident der EKD-Synode, Günther Beckstein, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, der neugewählte stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende und sächsische Landesbischof Joachim Bohl, und viele andere aus Wirtschaft und Politik.
Die Niedersachsen hingegen müssen auf Wulff und seine Politik verzichten. Worin bestand diese?
Nach seiner Wahl zum niedersächsischen Ministerpräsidenten 2003 setzte er von Anfang an auf eine rigide Sparpolitik: Er kürzte die Aufgaben im Hochschulbereich und schaffte die Lernmittelfreiheit ab.
Ganz im Sinne seines Vorvorvorvorgängers im Ministerpräsidentenamt, des Erfinders von Gorleben und des «Celler Lochs», «Atom»-Ernst Albrecht, trat Wulff schon 2008 in einer Talkshow bei Anne Will, für eine Verlängerung der Laufzeit deutscher Atomkraftwerke ein. Man darf gespannt sein, ob er als Bundespräsident das nun verabschiedete und möglicherweise grundgesetzwidrige Verlängerungsgesetz, die sog. Atomgesetznovelle, demnächst mit seiner Unterschrift in Kraft setzen wird. Dass er Erfahrung damit hat, verfassungswidrige Gesetze zu machen, wissen die Niedersachsen. So wurde 2003 sein Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz zur «präventiven Telefonüberwachung» 2005 verfassungswidrig gekippt.
Weihnachten steht vor der Tür und der Bundespräsident wird in seiner Ansprache von «christlichen Werten» sprechen, denen es nachzustreben gilt und dabei, wie neuerdings üblich, auch die «jüdischen Wurzeln» «unserer Zivilisation» hervorheben, so als hätten die christlichen Abendländer nicht mindestens 1700 Jahre lang versucht dieselben auszurotten. Vielleicht wird er auch die muslimischen Menschen erwähnen, die, wie er nun weiß, «inzwischen zu Deutschland gehören».
Die rund 35% Konfessionslosen wird er wohl nicht erwähnen, obwohl sie sich mit Hinweis auf ihre Tradition zu Recht zugute halten können, dass erst durch ihren Kampf gegen die abendländischen Amtskirchen und Religionen Toleranz und Aufklärung möglich wurden. So wundert es nicht, dass der Vatikanstaat, gemeinsam mit Weißrussland, bis heute die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterschrieben hat.
Ob der Bundespräsident die weihnachtliche Friedensbotschaft anspricht – siehe Lukas 2,14 oder Jesaja 2,4 («Schwerter zu Pflugscharen») – und damit die imperialen Kriegsabenteuer deutscher Politik brandmarkt – in Afghanistan und bald vielleicht auch woanders, wenn es um die Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen geht –, das sei dahingestellt, ist aber unwahrscheinlich, es sei denn, es geschieht ein Weihnachtswunder. Doch wo hat es das jemals im Umfeld eines christlichen Politikers gegeben?
Der Autor war Gemeindepastor und Mitinitiator eines Bürgerantrags «Zur Erforschung der Wolfsburger NS-Vergangenheit und der Zwangsarbeit im VW-Werk» (1985).
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