von Ingo Schmidt
Zwei Jahr nach dem Krisengipfel in Washington, auf dem sich die Regierenden in seltener Einigkeit darauf verständigt hatten, öffentliche Gelder zu Kriseneindämmung einzusetzen, herrschte auf dem diesjährigen G20-Gipfel bereits wieder neoliberale Normalität.
Die Staats- und Regierungschefs der 20 wirtschaftlich wichtigsten Länder waren sich in Seoul einig, dass Wechselkurse durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden sollen und dafür ein verlässlicher institutioneller Rahmen geschaffen muss. Ansonsten herrschte Uneinigkeit.
Westliche Regierungen fragen sich, ob sie die neuen Wirtschaftsmächte China, Indien und Brasilien als lästige Konkurrenten bekämpfen oder als Absatz versprechende Märkte willkommen heißen sollen. Die Emporkömmlinge beklagen mangelnde Repräsentanz in internationalen Gremien und den Protektionismus des reichen Nordens. Die USA beschweren sich, dass der Rest der Welt sich an der amerikanischen Kaufkraft bereichert; der Rest der Welt – sofern durch die G20 repräsentiert – beschwert sich, dass amerikanische Billigdollars weltweit zu Inflation und Spekulationsblasen führen.
Teure Rohstoffe sind für alte und neue Industrieländer ein Ärgernis, aber keine politische Gefahr mehr. Die antiimperialistischen oder gar sozialrevolutionären Ambitionen, mit denen einige Rohstoffexporteure der Dritten Welt in den 70er Jahren liebäugelten, konnten mit einer Mischung aus Weltmarktintegration, Aufstandsbekämpfung und militärischer Intervention zerstreut, umgelenkt oder unterdrückt werden. Eher sorgen sich alte und neue Industriemächte – wie zu Zeiten des klassischen Imperialismus – um ihren Anteil an den kleiner werdenden Rohstoffvorräten dieser Welt. Das gegenseitige Belauern auf den Rohstoffmärkten kann sich bis zu offen ausgetragener imperialistischer Konkurrenz steigern, muss aber nicht.
Dollars und Gewehre
Auf einem anderen Gebiet – den Devisenmärkten – wurde im Vorfeld des Gipfels in Seoul zwar schon von Währungskrieg gesprochen. Dennoch haben sich die Kontrahenten letzten Endes dazu entschlossen, die Bewertung von Dollar, Renminbi & Co. vorerst den Märkten zu überlassen, statt sie den Militärs zu übertragen. Dass einer der Akteure am Devisenmarkt – die amerikanische Zentralbank – zum gleichen Staat gehört wie die US Army, ist allen bekannt und wird als institutioneller Rahmen der Geschäfte berücksichtigt. In der Sprache der Devisenhändler: Die militärischen Kapazitäten der USA sind im Dollar-Kurs «eingepreist».
Doch auch mit der US Army auf der Rechnung bleiben den Märkten und der Wirtschaftsdiplomatie noch genügend Konflikte, wie das Auf und Ab des Dollar und die verbalen Gefechte im Vorfeld des G20-Treffens zeigten.
Seit dem Ausbruch der US-Immobilienkrise 2007 ist der Preis für den Dollar von 120 auf gut 80 Yen gefallen; die amerikanisch-japanische Diplomatie fand hinter verschlossenen Türen statt. Der Euro ist von 1,30 Dollar auf 1,50 gestiegen, danach wieder gesunken und gestiegen und pendelt gegenwärtig bei 1,35. Die transatlantische Achterbahnfahrt wurde wiederholt und wechselseitig von Vorwürfen des unverantwortlichen Verhaltens begleitet.
Hingegen war die Aufwertung des Yuan von 7,7 Yuan je Dollar im Jahr 2007 auf gegenwärtig 6,6 Yuan je Dollar von üblen diplomatischen Ausfällen begleitet. Bislang konnte die chinesische Regierung eine kohärente Strategie verfolgen. 1994 setzte sie den Wechselkurs von 5,8 auf 8,7 Yuan je Dollar herauf. Durch diese Abwertung wurden chinesische Exporte auf dem Weltmarkt deutlich billiger, zugleich verschaffte sich die Regierung in Peking Spielraum, um den Aufwertungsforderungen aus anderen Ländern wenigstens teilweise nachzukommen.
Ungleiche Interessen
Weitere Schritte in diese Richtung werden allerdings zu Interessengegensätzen führen. Die Exportindustrien, gleich ob sie sich in chinesischem oder ausländischem Besitz befinden, fürchten ohnehin um ihre Wettbewerbsfähigkeit, weil chinesische Arbeiter mit zunehmendem Selbstbewusstsein für eine Aufwertung ihrer Arbeitskraft kämpfen. Da können sie nicht auch noch Währungsaufwertungen gebrauchen.
Dabei sind chinesische Exporteure natürlich an einem billigen Yuan interessiert, ausländische hingegen an einem teuren. Zudem verlieren Devisenreserven und von der neuen chinesischen Bourgeoisie gehaltene Dollarvermögen mit steigendem Renminbi an Wert. Andererseits sind mit den chinesischen Wachstumserfolgen auch Renminbi-Vermögen entstanden, deren Besitzer wiederum an einer Aufwertung Gefallen finden würden.
(West-)Deutschland liefert ein Beispiel dafür, wie sich die Interessen von Exportindustrie und Geldvermögen auseinanderentwickeln können. Nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte die Unterbewertung der D-Mark eine exportorientierte Integration der deutschen Wirtschaft in den Weltmarkt, die seit dem Ende der 60er Jahre zu Leistungsbilanzüberschüssen und zu Forderungen nach einer Aufwertung der D-Mark führten. Ähnlich der chinesischen Exportindustrie heute sahen die Industriellen in Deutschland in den 70er Jahren ihre Profite zwischen einer Aufwertung der Währung und offensiv vorgetragenen Lohnforderungen eingeklemmt. Zugleich saßen sie auf Exporterlösen, die, sobald sie in D-Mark eingetauscht waren, durch steigende Notierungen am Devisenmarkt an Wert gewinnen konnten.
Der Konflikt zwischen dem Interesse an einer billigen Währung, die den Export fördert, und einer teuren Währung, in der Vermögen sicher und rentierlich angelegt werden können, ist auf der Ebene der Geldpolitik nie gelöst worden. Mit der Umbenennung der D-Mark in Euro gingen zwar großspurige Ankündigungen einher, die Eurozone werde den USA auf den Weltfinanzmärkten demnächst Paroli bieten. Außer Sprech- und Spekulationsblasen ist aber nicht viel dabei herausgekommen.
Die deutsche Industrie ist immer noch vom Export abhängig und deutsche Geldvermögensbesitzer haben es gelernt, ihr Portfolio so zu diversifizieren, dass nicht jede Wechselkursschwankung zur Katastrophe führt. Gegen einen geringen Obolus bieten Finanzdienstleister sogar Versicherungen gegen Kursrisiken an.
Die Stabilität des Dollar
Geldvermögen lassen sich allerdings nur solange vor wechselkursbedingten Wertverlusten schützen, wie das Währungssystem insgesamt einen festen Anker bzw. eine Leitwährung besitzt. Dies war und ist der US-Dollar. Regierungs- und Zentralbankchefs von Peking bis Berlin fürchten gegenwärtig, dass die von der US-Notenbank in Umlauf gebrachten Dollarströme den Dollar aus seiner Verankerung reißen und in ein Meer von Inflation und Spekulationsblasen spülen könnte.
Auf einmal sind es die privaten Vermögensbesitzer, die hilflos dastehen. In ihrer Not kaufen sie Gold, Öl und andere Rohstoffe und übersehen sogar, dass die Schuldverschreibungen, die ihnen das US-Finanzministerium verkauft, in jenem Dollar ausgestellt sind, dessen Wertverlust sie so fürchten.
Nebenbei führen diese Vermögensumschichtungen in vermeintlich sichere Anlageformen Spekulationsblasen auf Rohstoff- und Anleihemärkten herbei. Ohne sich dessen bewusst zu sein, spielen sie der US-Zentralbank, die sie doch so scharf kritisieren, in die Hände. Deren Strategie besteht nämlich darin, durch neue Spekulationsblasen wenigstens soviel Kauflaune unter privaten Haushalten und Unternehmen zu schaffen, dass der Rückfall in eine Rezession verhindert werden kann.
Das Spiel ist nicht neu: Spekulationsblasen waren Bestandteil aller Konjunkturzyklen, seit der Kapitalismus in seine neoliberale Phase eingetreten ist. Ganz gewiefte Finanzstrategen und Wirtschaftspolitiker denken allerdings schon über die gegenwärtige Spekulationskonjunktur und die Krise, die sie beenden wird, hinaus und suchen nach Spekulationsobjekten fürs nächste Spiel.
Die Frage ist, ob dem Kapitalismus irgendwann die Spekulationsobjekte ausgehen, mit deren Erwerb Vermögensbesitzer die Illusion kaufen, ihr Vermögen sei wertstabil und rentabel angelegt – oder ob die vermögenslosen Klassen dieser Welt diesem Spiel vorher ein Ende bereiten.
E.Helleiner/J.Kirshner, The Future of the Dollar, Ithaca/London 2009.
Machtverschiebungen im Weltsystem, Prokla 161, Dezember 2010.
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