von Angela Klein
Die Wut ist überall, mal stiller, mal lauter. Wie eine Kugel irrlichternder Funken rast sie durchs europäische Unterholz, legt hier und dort Brände, wie in Frankreich oder zuletzt die Studierenden in England. Die Ablehnung der Sparorgien, die den Kontinent verwüsten, ist einhellig. Doch die Funken springen nicht über. Warum?
Es liegt in diesem Protest eine Hilflosigkeit. Zum Teil ist sie der Tatsache geschuldet, dass längst nicht alle, die die Sparpakete ablehnen, auch die Bankenrettungspakete ablehnen. Die sozialdemokratischen Parteien und die von ihnen beeinflussten Gewerkschaften jedenfalls haben etwas an den Modalitäten auszusetzen, nicht an der Tatsache der Bankenrettung an sich.
Ein Teil der Hilflosigkeit liegt auch darin begründet, dass der Adressat der Proteste nicht mehr allein die nationalen Regierungen sein können, sondern der Verbund der Regierungen der Eurozone und die Institutionen der EU. Denn die unmittelbare Krisenlösung – Geld in den Markt pumpen, um eine Kettenreaktion von Banken- und Firmenzusammenbrüchen zu verhindern –, konnte nur auf europäischer Ebene vereinbart werden.
Hatten die Griechen oder die Iren eine andere Wahl, als das Paket anzunehmen? Was wäre passiert, wenn sie das vergiftete Geschenk abgelehnt und sich geweigert hätten, die Staatsschulden zu bedienen? Nun, dann säßen ihnen jetzt die deutschen oder britischen Gläubiger im Nacken. Sie würden alle Zwangsinstrumente mobilisieren, die der gemeinsame institutionelle Rahmen der EU hergibt: nicht nur den Stabilitätspakt und die Gnade der Kreditgewährung durch einen Rettungsfonds der Mitgliedstaaten oder die EZB, auch den Verlust der Stimmrechte; wirtschaftliche Sanktionen, bis hin zur Verweigerung weiterer Kredite; und Kapitalflucht natürlich – gegen die in einem gemeinsamen Währungsraum kein Kraut gewachsen ist.
Wenn es aber so ist, dass Staaten durch die Schuldenkrise ihre Souveränität und politische Handlungsfähigkeit verlieren, ist es dann nicht besser, sie treten aus der Eurozone aus?
Solche Stimmen werden lauter, und es scheinen eher die sog. Kernländer, Deutschland und Frankreich zu sein, wo sie sich entwickeln.
In Deutschland bereiten Kampagnen wie die von Bild – «Wir zahlen nicht für die Griechen» – den Boden vor für eine andere Kampagne, die noch untergründig schwelt, aber um so plausibler werden wird, je mehr die bisherige Strategie der Krisenlösung an ihre Grenzen stößt: «Raus aus dem Euro! Wir wollen nicht mehr die Zahlmeister Europas sein!»
In Frankreich ist die Abspaltung von Attac, die um Jacques Nikonoff eine eigene politische Organisation gegründet hat (Mouvement politique d’éducation populaire), mit einem «Appell der 1000» an die Öffentlichkeit getreten, der im Namen der Souveränität dasselbe fordert. Noch sind das Minderheiten, und da das Finanzkapital an einer Preisgabe des Euro kein Interesse hat, ist die Gefahr, dass eine populistische Rechte sich dieses Schlachtrufs mit großem Erfolg bemächtigen kann, begrenzt – sofern der Euro nicht zerfällt, was allerdings nicht auszuschließen ist.
Doch die Losung stiftet auf der Linken Verwirrung. Sie argumentiert national, sucht Verbündete im «nationalen» (auf den Binnenmarkt orientierten) Kapital und blendet den Klassencharakter der Auseinandersetzung um die Krisenursachen und ihre Bekämpfung aus. Sie bemächtigt sich des Arguments der Demokratie und behauptet: Im Nationalstaat kann man Demokratie haben, in einem supranationalen Verbund nicht.
Daran ist nur richtig, dass die EU, so wie sie heute verfasst ist, ausschließlich ein Instrument der Banken und Konzerne ist und mit zunehmender Verschärfung der Krise die Tendenz wächst, die Rechte der nationalen Parlamente zugunsten einer Despotie des Verbunds der nationalen Exekutiven auszuhebeln. Das Argument übersieht aber, dass auch die nationalen Parlamente längst in die Fänge der Lobbyorganisationen der Wirtschaft geraten sind, die in den vergangenen Jahren stets dafür gesorgt haben, dass eben diese nationalen Parlamente der Beschneidung ihrer Rechte durch das Konstrukt EU jeweils mit großer Mehrheit zugestimmt haben (zuletzt bei der Annahme des Lissabon-Vertrags).
Die Parole «Raus aus der EU» behauptet, der Nationalstaat sei an sich die demokratischere Einrichtung. Die europäische Geschichte des 20.Jahrhunderts widerlegt das. In Europa hat sich der Nationalstaat überlebt: Für das Bürgertum ist er kein ausreichender Rahmen mehr, und das Proletariat hatte eh nie ein Vaterland. Was Demokratie und Volkssouveränität sein kann, muss neu dekliniert werden – und das auf allen Ebenen, angefangen bei der kommunalen bis hin zur europäischen. Und zwar in einer Weise, dass der soziale Zusammenhang und die demokratischen Rechte auf allen Ebenen gestärkt, und nicht nationale Ressentiments gegeneinander aufgebaut werden.
Nun wird jede Politik, die versucht, das Kreditwesen dem privaten Gewinnstreben wieder zu entziehen und in öffentliches Eigentum zu überführen, von «den Märkten» und den EU-Institutionen mit den oben genannten Zwangsinstrumenten traktiert werden – niemand kann davon ausgehen, dass es in allen Länder Europas gleichzeitig einen Aufstand gibt.
Die Orientierung «Raus aus der EU» führt jedoch in die Isolation. Soziale Proteste und Kampagnen wie die um die Rente, die öffentliche Daseinsvorsorge oder auch die Ablehnung illegitimer Schuldendienste hingegen lassen sich europaweit vernetzen. Soziale Bewegungen müssen europäische Handlungsfähigkeit gewinnen; auf einer solchen Basis lassen sich auch soziale und demokratische Alternativen zur bestehenden EU entwickeln.
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