Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Buch 8. Dezember 2010
Achim Bühl
Islamfeindlichkeit in Deutschland. Ursprünge, Akteure, Stereotype
Hamburg: VSA, 2010, 319 Seiten, 24,90 Euro
von Paul B.Kleiser

Vor ein paar Wochen schrieb der Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges unter dem Titel «Wo der Schweinehund knurrt» (Stern 44/2010) einen kritischen Artikel über Sarrazin und wie die Medien über sein Buch Deutschland schafft sich ab «diskutierten». Er bemerkte, das Buch habe in gebildeten, bürgerlichen Kreisen «eine Migranten- und Islamfeindlichkeit aufgedeckt», «die erschrecken lässt. Die Integrationsdebatte wurde darüber, in ihren hysterischen Entgleisungen, zur kaum noch kaschierten, primitiven Ausländer-raus-Kampagne. Sie hat Ressentiments freigelegt, verfestigt und verbreitet, die lange nachwirken werden.»
«Fast 60% der Deutschen, enthüllte eine Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung, verlangen, dass die (grundgesetzlich garantierte!) Religionsausübung für Muslime ‹erheblich eingeschränkt› wird. Niemals seit der Judenverfolgung wurden Menschen in Deutschland so pauschal, so grobschlächtig und so verletzend ausschließlich nach ihrem Glauben beurteilt und herabgewürdigt.»

Im Gefolge dieser Stellungnahme erhielten Jörges und der Stern ungezählte Zuschriften und E-Mails, aus denen ein so unglaublicher, mit kruder Dummheit gepaarter, Hass spricht, dass einem Angst werden kann (www.stern.de/integration).

Das Buch Islamfeindlichkeit in Deutschland von Achim Bühl kommt also zur rechten Zeit. Es gibt einen guten Überblick über die Geschichte der Islamfeindschaft und kritisiert die verschiedenen Autoren, die in den vergangenen Jahren ihre Abrechnungen mit «dem Islam» auf den Markt geworfen haben.

In sechs Kapiteln handelt es die historischen Ursprünge der Islamfeindlichkeit, «Gegenbilder und Gegenrealitäten», die moderne Islamfeindlichkeit, die Arbeitsmigration, die Islamophobie und ihre Verwandtschaft mit dem Antisemitismus sowie die Frage der wissenschaftlichen Einschätzung (nur Vorurteil oder Rassismus?) ab. Die ganze «Islamdebatte» lässt sich auf etwa zehn mehr oder weniger alte Stereotypen zurückführen.

Das Erbe der Kirche

Zahlreiche Meinungsmacher haben die Behauptung kolportiert, die moderne Islamfeindlichkeit sei ein Produkt des 11.September 2001. Prof. Bühl widerspricht dieser Argumentation entschieden: Die Juden- und die Islamfeindlichkeit des Mittelalters speisten sich aus der gleichen Quelle, sie entstanden ab dem 11.Jahrhundert auf der Grundlage der Kreuzzüge, die das bis dahin geltende Tolerierungsgebot und Tötungsverbot für «Heiden» de facto aufhoben. Der erste Kreuzzug, der in Frankreich 1095 startete, führte in christlicher Nächstenliebe auch dazu, dass in Mainz, Worms und Speyer die Judenviertel überfallen und über tausend Juden umgebracht wurden. Nicht besser erging es vielen Muslimen, derer man in Kleinasien oder Palästina habhaft werden konnte.

Die Frontstellung gleichzeitig gegen Judentum und Islam zeigte sich auch in zahlreichen Kirchenneubauten, in denen es – für ein des Lesens und Schreibens unkundiges Publikum – zahlreiche Darstellungen der «Judensau» (mit dem spitzen Judenhut) gab, damit man sehen konnte, wie der Teufel konkret aussah. Weniger bekannt ist, dass die vielen Darstellungen eines «verdrehten Menschen», bei dem die Füße oben sind, Verunglimpfungen von Mohammed darstellen. Ein griechischer Schriftsteller hatte behauptet, Mohammed sei Epileptiker gewesen; diese ihm zugeschriebene Erkrankung nutzte die Kirche, um ihn zum Teufel zu machen und den Koran als das Werk eines Irrsinnigen darzustellen.

Die zweite große Tradition der Islamfeindlichkeit geht auf die Reconquista zurück – die Rückeroberung Spaniens durch die «allerkatholischste Majestät», den König, im Verlauf des Mittelalters bis zum Fall Granadas 1492. Im 15. und 16.Jahrhundert hatten Juden und Muslime nur die Möglichkeit, zu fliehen oder sich taufen zu lassen. Selbst «Marranen» (getaufte Juden, in dem Begriff steckt das spanische Wort für Sau) und «Moriscos» (konvertierte Mauren) standen fortwährend im Verdacht, insgeheim an ihrer ursprünglichen Religion festzuhalten. Deswegen müsse man sie dem «Gottesurteil» unterwerfen oder aus dem Land jagen.

Die von Tomás de Torquemada gegründete Inquisition erließ bereits 1449 Statuten über die «Reinheit des Blutes», die man durchaus als eine frühe Form von «Rassegesetzen» ansehen kann. Im Grunde schrieben die Nürnberger Gesetze der Nazis diesen Ansatz nur fort. Die Logik dieser Statuten besteht darin, das «Jüdische», «Islamische» oder auch «Christliche» zum Wesen eines Menschen zu erklären. Durch die «Essenzialisierung» der Religionszugehörigkeit wird Religion (oder die Hautfarbe) zu einem Wesensmerkmal eines Individuums oder einer Gruppe und damit zu einem Kriterium der «Aussonderung» – darin ist diese «Logik» rassistisch bis hinein in die Argumente eines Sarrazin. Auch der Begriff «Rasse» fand damals Verbreitung, wobei umstritten ist, ob er auf die arabische Bezeichnung für «Haupt» oder die katalanische für «Webfehler» zurückgeht.

Nachdem die Osmanen Konstantinopel eingenommen hatten und 1529 erstmals vor Wien standen, breitete sich in Mitteleuropa eine neue Welle der Islamfeindschaft aus. Ihr wichtigster Agitator war damals Martin Luther, der im Herbst seines Lebens nicht nur ein extremer Judenhasser, sondern auch ein Islamfeind war und in den «Papisten, Türken und Juden» nur Verkörperungen des Teufels zu erblicken vermochte. Auch die Beschimpfungen der Juden als «verstockt, blutdürstig und rachsüchtig» wurden nun auf die Türken ausgedehnt.

Dunkle Aufklärung

Für die massenhafte Verbreitung der Islamfeindlichkeit waren im Deutschen Reich die Romane von Karl May von großer Bedeutung. Bei ihm sind die Christen immer die Guten und die Muslime die Bösen. Auf soziologischer Ebene theoretisierte Max Weber diese Vorurteile, indem er dem «feudalen Islam» (ähnlich wie dem Katholizismus) umstandslos die Fähigkeit absprach, sich zur «Moderne» weiterzuentwickeln (unter «Moderne» verstand Weber immer den «industriellen Kapitalismus» und seine individualistische Kultur).

Im Zeitalter der Aufklärung entstand auch die Vorstellung, man müsse die islamischen Frauen aus dem Harem befreien. Dutzende Opern feierten den Sieg dieser Befreiung; die heute bekannteste ist Mozarts Entführung aus dem Serail. Vor dem Ersten Weltkrieg verwandte die bürgerliche Frauenbewegung dieses Klischee, als sie gegen das «frauenfeindliche Judentum» polemisierte. Heute bedienen sich Alice Schwarzer und die aus der Türkei stammende Soziologin Necla Kelek dieses Arsenals an Klischees. Gleichzeitig wird «DER Islam» zum einzig determinierenden Einflussfaktor für alle Probleme gemacht. Der Islam, schreibt Bühl, ist «der Moloch, der alles beherrscht, regelt, steuert und folglich auch zu verantworten hat».
Ähnlich argumentieren die meisten Islamkritiker in den hochkapitalistischen Ländern. In Deutschland sind – abgesehen von einem Heer von Journalisten – vor allem Ralph Giordano, Hans-Peter Raddatz und Henryk Broder hervorgetreten. Sie variieren nur die Weber’sche kulturalistische Melodie, wonach der Islam «seinem Wesen nach» nicht modernisierungsfähig sei.

Im Antisemitismusstreit des 19.Jahrhunderts wurde behauptet: «Die Juden sind unser Unglück» (Treitschke), heute heißt es: «Der Islam ist mit Europa nicht kompatibel.» Wenn man die nach wie vor bestehende enge Beziehung zwischen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus studieren möchte, braucht man nur den Hassblog Politically Incorrect aufzurufen, auf dem sich die modernen Islamhasser austoben. Sprach nicht auch Sarrazin von den «jüdischen Genen»?

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