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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2010
Arbeiterinnen fordern existenzsichernde Mindestlöhne
von Lutz Getzschmann

In der asiatischen Textilindustrie scheinen sich die seit einiger Zeit immer wieder aufflammenden Streiks zu einem kontinentalen Kampfzyklus der Textilarbeiterinnen zu verdichten, Sie bestätigen damit die vor einigen Jahren von Beverly Silver in ihrer Studie Forces of Labor aufgestellte Devise: «Where capital goes, conflict goes».

Angeheizt wird die Kampfbereitschaft der Arbeiterinnen länderübergreifend durch die Strategie der westlichen Textilkonzerne, in Ländern wie Bangladesh, Vietnam oder Kambodscha auf einem Lohnniveau produzieren zu lassen, das angesichts auch dort steigender Nahrungsmittelpreise unterhalb des zur Reproduktion der materiellen Existenz Nötigen liegt. Hinzu kommen die Auswirkungen der globalen Krise, die auch die Textilindustrie schwer getroffen und zu Arbeitsplatzunsicherheit und in vielen Fällen Lohnsenkungen durch den Wegfall von Überstunden geführt hat.

So sind etwa 2009 die kambodschanischen Textilexporte nach Europa und in die USA um 23% zurückgegangen, was zur Schließung von 90 Textilfabriken und zur zeitweiligen Entlassung von 60.000 Arbeiterinnen geführt hat. Auch der Anstieg der Exporte in den ersten drei Quartalen 2010 um 7% konnte diese Verluste nicht ausgleichen.

Überausbeutung

Nachdem im Sommer die Textilarbeiterinnen Bangladeshs einen verzweifelten Kampf für einen existenzsichernden Mindestlohn geführt haben (siehe SoZ 10/2010), kam es im September in Kambodscha zu einem ganz ähnlich gelagerten Streik, doch deutlich größeren Ausmaßes.

Im Juli hatte die Regierung angekündigt, den gesetzlichen Mindestlohn in der Textilindustrie von umgerechnet 50 auf 61 US-Dollar anzuheben. Die Geringfügigkeit der seit langem erwarteten Entscheidung löste in den Gewerkschaften breite Empörung aus; sie hatten eine Erhöhung auf mindestens 93 US-Dollar gefordert. Ihre Forderung steht durchaus im Einklang mit regierungsoffiziellen Angaben: So hatte etwa im letzten Jahr eine Studie des Cambodian Development Institute festgestellt, beim gegenwärtigen Lonniveau in der Textilindustrie könne das Überleben der Arbeiterinnen nur durch exzessive Überstunden gesichert werden, und einen gesetzlichen Mindestlohn von umgerechnet 90 US-Dollar vorgeschlagen. Besondere Dringlichkeit erhielt der Vorschlag durch die Tatsache, dass durch die Krise diese überlebensnotwendigen Überstunden seit 2009 weitgehend weggefallen sind.

Am 13.September begannen die Streikaktionen, an ihnen beteiligten sich zunächst 68.000 Arbeiterinnen. Innerhalb von drei Tagen weiteten sich die Streiks jedoch auf mehr als 90 große Textilfabriken und über 200.000 Streikende aus – bei insgesamt 358.000 Bechäftigten in der kambodschanischen Textilindustrie. Aufgerufen hatten die Textilgewerkschaften CCAWDU und NIFTUC, die verschiedenen gewerkschaftlichen Dachverbänden angehören und mit 45.000 bzw. 30.000 Mitgliedern eine relativ große Organisationsmacht aufweisen – zumindest gemessen an der notorisch gewerkschaftsfeindlichen Polik der auf Marktliberalisierung setzenden poststalinistischen Regierung.

Unnachgiebig

Gewerkschaftliche Aktivitäten werden von der Regierung und ihr nahestehenden Gruppen seit Jahren mit großer Härte und undurchsichtigen Methoden bekämpft. So wurde etwa 2004 der Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes Free Trade Union of Workers of the Kingdom of Cambodia (FTUWKC) auf offener Straße erschossen, die Aufklärung des Mordes inklusive der Verurteilung zweier angeblich Beteiligter fand unter derart dubiosen Umständen statt, dass Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International von einem fingierten Verfahren ausgehen, das die eigentlich Verantwortlichen decken sollte.

Mit 80.000 Unterschriften von streikenden Arbeiterinnen verliehen die beiden Gewerkschaften ihrer Forderung nach Aufnahme von Lohnverhandlungen Nachdruck. Für den 27.September lud die Regierung die Gewerkschaften tatsächlich zu einem Gespräch ein, setzte aber zugleich die Einschüchterung und gewaltsame Eindämmung der Streikbewegung fort. Ab Mitte September wurden mehr als 300 Gewerkschaftsaktive und 3300 streikende Arbeiterinnen wegen des Arbeitskampfs entlassen, 261 von ihnen wurden festgenommen. Die von der Regierung angesetzten Lohnverhandlungen wurden ergebnislos abgebrochen, die Gewerkschaften drohten mit weiteren Kampfmaßnahmen, wenn die Entlassungen nicht zurückgenommen würden.

Bis Mitte Oktober war erst ein Teil der Kündigungen zurückgenommen worden – und dies überwiegend aufgrund gerichtlicher Entscheidungen. Über 100 betriebliche Gewerkschaftsvertreter waren einem Bericht der Phnom Penh Post vom 13.10. zufolge immer noch ausgesperrt und mit ihnen fast 700 Arbeiterinnen, die nach Protesten gegen die Kündigungen entlassen worden waren.

Schlechtes Image

Unterdessen hat der friedliche, aber massenhafte Streik einige Konzernvorstände ernsthaft beunruhigt. In einem gemeinsamen Offenen Brief an den kambodschanischen Unternehmerverband GMAC äußerten die Bekleidungskonzerne Adidas, Gap, H&M und Levi’s sowie die Walt Disney Company, die von kambodschanischen Firmen für ihr Sortiment fertigen lassen, ihre Besorgnis über die Eskalation der Arbeiterunruhen und riefen Unternehmer und Gewerkschaften zu einer «langfristigen Lösung» und «geregelten konstruktiven Arbeitsbeziehungen» auf – ganz so als hätten sie mit den in Kambodscha praktizierten Formen der Überausbeutung nichts zu tun. GMAC-Generalsekretär Ken Loo wollte das Schreiben  nicht kommentieren, wies aber Forderungen nach einer weiteren Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns kategorisch zurück. Zugleich äußerte er Verhandlungsbereitschaft über mögliche Bonuszahlungen und Lebensmittelgutscheine für die Arbeiterinnen.

Angesichts der unbeugsamen Haltung der Unternehmer und der unabweisbaren Notwendigkeit für die Arbeiterinnen, einen Lohn zu erkämpfen, der zum Leben reicht, scheinen weitere Auseinandersetzungen vorprogrammiert. In eine solche Richtung weist auch eine Erklärung der Gewerkschaft CCAWDU, die Anfang November angesichts der immer noch nicht wiedereingestellten Gewerkschafterinnen und der Versuche des zuständigen Ministeriums, den Konflikt auszusitzen, mit einem neuen Massenstreik drohte.

CCAWDU-Generalsekretär Ek Sopheakdey rechnete für Anfang Dezember mit erneuten Arbeitsniederlegungen, falls die Forderungen nach Wiedereinstellung der Arbeiterinnen und Anhebung des Mindestlohns bis dahin nicht erfüllt seien. Zugleich kündigte er an, in diesem Fall auch Kundgebungen und Blockaden vor Bekleidungsgeschäften zu organisieren.

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