Sonderjustiz für Ausländer beschlossen
von Paolo Gilardi
Am 28.November haben in der Schweiz 53% der Wählerinnen und Wähler«Ja» zur direkten Abschiebung sog. «krimineller Ausländer» gesagt. Die von der rechtspopulistischen SVP lancierte Gesetzesvorlage sieht die umgehende Abschiebung von Ausländern vor, die sich des Mordes, Raubs oder des «illegalen Bezugs von Sozialleistungen» schuldig gemacht haben.
Ein Jahr nach der Abstimmung, die den Bau von Minaretten verhindert hat, erreicht die fremdenfeindliche Grundstimmung einen neuen Höhepunkt. Tatsächlich wäre noch ein schlimmerer Wahlausgang möglich gewesen, denn vor rund einem Monat hatte dieser Gesetzesvorschlag in den Umfragen noch 68% Zustimmung gefunden, während nun tatsächlich «lediglich» 52,8% mit Ja gestimmt haben.
Einen großen Teil der Verantwortung dafür tragen die anderen bürgerlichen Parteien und die Sozialistische Partei. Anstatt sich entschlossen gegen den Gesetzesvorschlag zu stellen, haben sie im Parlament einem Gesetzentwurf der SP zugestimmt, das wesentliche Vorgaben des SVP-Entwurfs übernahm, dabei aber die internationale Rechtsprechung berücksichtigte; damit machten sie das Vorhaben EU-kompatibel. Aber auch der Gegenentwurf enthielt die Forderung nach einer automatischen Abschiebung «krimineller Ausländer», damit verlieh er dem fremdenfeindlichen Vorschlag der SVP eine Art Legitimität.
Gegen die Abstimmung kann keine Berufung eingelegt werden. Überall dort, wo die Linke sich für das «geringere Übel», nämlich den Parlamentsentwurf, entschieden hat, ist sie gescheitert, denn dieser Entwurf ist in der Volksabstimmung unterlegen. Die Wähler haben sich für das Original und gegen die Kopie entschieden.
Dort aber, wo die sozialen Bewegungen eine offensive Kampagne gegen die Grundannahmen beider Entwürfe geführt haben, wurde ein doppeltes Nein erzielt – so geschah es in den Kantonen Genf und Waadt und in großen Städten wie Basel und Zürich.
Trotzdem muss man feststellen, dass in einer Bevölkerung, die zu mehr als 20% ausländischer Herkunft sind, die Fremdenfeindlichkeit tief verankert ist. Die Gesellschaft ist durch die Krise stark verunsichert, 10% der Bevölkerung der reichen Schweiz lebt heute unterhalb der Armutsgrenze, während der Vorstandsvorsitzende von Nestlé fast 20000 Franken täglich einnimmt.
Auf diesem Boden gedeiht der Rassismus prächtig, hier kann die SVP in Ermangelung solidarischer, klassenkämpferischer Antworten ihre Saat des Hasses und der Suche nach einem Sündenbock ausbringen.
Die Mehrzahl der Bevölkerung ist ratlos. Sie wird von der bürgerlichen Offensive überrollt: die Gesundheitskosten auf Kosten der Versicherten explodieren, junge Lohnabhängige sind massenhaft mit prekären Arbeitsverhältnissen konfrontiert, und das System der solidarischen Altersvorsorge wird frontal angegriffen – all das ohne Opposition der Regierungslinken, die seit 1941 gemeinsam mit den bürgerlichen Parteien an der Macht ist. Es ist diese Bevölkerung, die für die fremdenfeindliche Initiative gestimmt hat.
Leider hat sich die Linke, auch links von der SP, vor der Abstimmung auf grundsätzliche ethische und moralische Appelle gegen den Rassismus beschränkt. Auf der Suche nach einer Allianz mit den «akzeptablen» Teilen des bürgerlichen Lagers, hat sie vor allem vermieden, sich mit der sozialen Befindlichkeit der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Das hätte man tun können, das zeigt die Tatsache, dass die Genfer, die am selben Tag zur Abstimmung über längere Ladenöffnungszeiten aufgerufen waren, sich dagegen entschieden und der Kanton Tessin ein Leistungsgehalt für Beamte abgelehnt hat.
Nach der Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse haben mehrere hundert Menschen, darunter viele junge Leute, auf den Straßen von Genf, Lausanne und Zürich demonstriert. Sie folgten einem Aufruf der Antikapitalistischen Linken, der SP-Jugend, der jungen Grünen und antirassistischer Gruppen.
Der Autor ist Mitglied der Gauche Anticapitaliste, Genf.
www.gauche-anticapitaliste.ch/
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