Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2010
Eine Zwischenbilanz der Programmdebatte der LINKEN
von Thies Gleiss

Seit neun Monaten widmet sich DIE LINKE ihrer Debatte um ein Grundsatzprogramm für die Partei, in zehn Monaten soll sie zum Abschluss kommen.

Es gibt unterschiedliche Maßstäbe, Wert und Nutzen eines Programmentwurfs zu beurteilen, sie haben alle ihren Sinn und geben nur in der Summe ein komplettes Bild ab. Am wichtigsten ist darunter die Sicht der politischen Gegner und allgemein der Außenwelt auf die Partei und ihr Programm. Geht es danach, bestünde Anlass zu Stolz und darauf aufbauender Gelassenheit: DIE LINKE wird als Linke verortet.

Sie und ihre Forderungen sind in den Augen der bürgerlichen Parteien, einschließlich SPD und Grünen, und der  Kampfverbände des Kapitals die schärfsten Kritiker der Verhältnisse, die grundlegende Alternative und die Botschafter eines anderen Gesellschaftsmodells. Dank ihres Programmsentwurfs vom März diesen Jahres wird DIE LINKE eher etwas übertrieben zum Outlaw erklärt, dem der Zugang zu den Salons der Herrschenden verboten ist.

Verantwortlich dafür ist vor allem ihre Respektlosigkeit vor dem Herzstück kapitalistischer Klassenherrschaft, dem Privateigentum an Produktionsmitteln, und ihre Nichtbereitschaft, die bewaffneten Abteilungen des bürgerlichen Staates in Armee und Polizei als unersetzlich anzuerkennen. Dass es letzten Endes diese beiden Fragen sind, die Links von Nichtlinks unterscheiden, wissen alle Beteiligten. Deshalb dreht sich die Kritik von außen an der LINKEN vor allem um die Forderung, sie müsse endlich in der Gegenwart ankommen und die ökonomische und militärische Herrschaft des Kapitals anerkennen.

Ja zum Privateigentum an Unternehmen, Ja zur Bundeswehr und ihren Einsätzen – und alles könnte gut werden. Über alle anderen Themen – soziale Gerechtigkeit, Arbeitsplätze, mehr Bildung, bessere Gesundheitsversorgung, Schutz der Umwelt – darf dann beliebig geschwätzt werden.

Radikalität gewünscht

Der bisherige Verlauf der Programmdebatte hat erfreulich viele Widerstandskräfte mobilisiert, die verhindern wollen und verhindern können, dass diese klare Außensicht auf DIE LINKE durch eine Selbstkorrektur in Richtung sozialdemokratischer Salonfähigkeit abgeschwächt wird. Die vielen lokalen, regionalen und bundesweiten Foren zur Programmdiskussion sind fast immer außerordentlich gut besucht. Die Mitgliedschaft mischt sich ein, und wie kaum anders zu erwarten, wenn lebendige Menschen sich zu Wort melden, wünscht eine große Mehrheit an der Basis genau diese glasklare Wiedererkennbarkeit und Radikalität in den Schlüsselfragen linker Politik.

In dieser Haltung bestätigt sie ja auch Tag für Tag die Wirklichkeit des real existierenden Kapitalismus. Sein politisches und ökonomisches System ist in der Krise und wenn es vermag, sich daraus zu befreien, geht dies nur mit brachialen Mitteln des Klassenkampfs von oben, der Ausplünderung der Armen und der militärisch-repressiven Beherrschung der Welt.

Der Spielraum für politische Kräfte, die auf Versöhnung, auf schrittweise Milderung des Üblen, auf den berühmten Mittelweg oder auch nur auf die politisch entwaffnende Überdifferenzierung in der Analyse der Welt setzen, will einfach nicht größer werden. Unversöhnlicher Widerstand, wie in den Streiks in Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland, Irland, aber auch bei den Protesten gegen den Stuttgarter Bahnhofsumbau und die Atomenergie, gewinnt an Attraktivität und Wirkmächtigkeit. DIE LINKE ist in diesen Auseinandersetzungen fast vollständig auf der richtigen Seite.

DIE LINKE liegt in politischen Meinungsumfragen konstant bei gut 10%. Die vielen parteiinternen Vorkommnisse, die aus Innensicht zum Teil nur noch erschüttern können – wie die elende Pöstchenstreiterei in manchen Kreisverbänden, da zeichnet sich ein wahrer Durchmarsch der Gartenzwerge ab, wie seinerzeit bei den Grünen; wie sterile Strömungsstreitereien, die nicht diskutieren, sondern parteiintern diskreditieren wollen; wie die notorische Ideenlosigkeit des Führungstrios in Berlin nach dem Weggang von Oskar Lafontaine – all dies verursacht keine nennenswerten Ausschläge in den Umfragen.

Das bedeutet zweierlei: Der Wunsch nach einer wirklichen und glaubwürdigen Alternative ist deutlich tiefer verankert, als es so Mancher wahrhaben will. Die Anhänger der LINKEN wollen, dass die Partei klare Kante zeigt und in der Tagespolitik radikaler wird. Und: DIE LINKE wird überwiegend in der Gesamtheit ihrer Haltung, weniger durch konkrete Texte und Parlamentsauftritte wahrgenommen. Und dieser Gesamtauftritt, nicht zuletzt auch dank des Entwurfs zum Parteiprogramm und dessen öffentlicher Resonanz, ist links und sollte auch links bleiben.

Die Parteirechte scharrt mit den Füßen

Auch die Parteikräfte in der LINKEN, die ihr persönliches und politisches Fortkommen mit dem Kapitalismus verbinden, registrieren, dass der Programmentwurf und die bisherige Diskussion darüber, wie auch die gesamte Außenwirkung der Partei, nicht zu ihren Wünschen passen, die Partei vom linken Ballast zu befreien und salonfähiger zu machen. Sie strampeln sich lautstark und bevorzugt in den großen bürgerlichen Medien ab, der LINKEN eine Debatte um angeblich zuviel Starrsinn, zuviel Schwarz-Weiß-Denken und zuviel Antikapitalismus aufzuzwingen.

Auf dem jüngsten bundesweiten Programmkonvent in Hannover wurde deutlich, dass sie sich dabei bis zu einem gewissen Punkt auf die Unterstützung der beiden Vorsitzenden verlassen können. Auch diese forderten in ihren Reden mehr «Realitätssinn» und Zugang zu angeblichen Bündnispartnern. Das so genannte «Strategiepapier» von Gesine Lötzsch, Gregor Gysi und Klaus Ernst reduziert gleichfalls alles auf eine Linie der parlamentarischen Allianz mit SPD und Grünen, um «regierungsfähig» zu werden. Das Papier ist so lustlos und uninspiriert wie es eine solche Orientierung in heutiger Zeit halt hergibt. Der Landesvorstand der LINKEN in Sachsen hat beschlossen, den Programmentwurf komplett zurückzuweisen und fordert einen neuen Text.

Die 13 Thesen des FdS

Einen groß angelegten Versuch zur Kritik des Programmentwurfs hat das parteirechte «Forum demokratischer Sozialismus» mit seinen «13 Thesen zum Entwurf des Programms» vorgelegt. Dieser Text kritisiert den vorliegenden Programmentwurf in moderner Szenesprache von links, um bei altbekannten rechtssozialdemokratischen Positionen zu enden.

Die Autoren gehen davon aus, es gebe in der LINKEN zwei grundsätzlich verschiedene strategische Ansatzpunkte: die radikale Systemopposition mit einer revolutionären Perspektive und der reformerische Ansatz, der von einem lang dauernden Prozess der Umwandlung und schließlicher Überwindung des Kapitalismus ausgehe. Das FdS bezeichnet sich dabei selbst als linksreformistisch und Anhängerin des zweiten Weges.

Der Grundkonflikt ist treffend beschrieben, doch ob die allzu geschwind nach Ministerposten strebenden FdS-Führungskräfte noch das Etikett linksreformistisch verdienen, sei dahingestellt.

Im weiteren Text wird der Programmentwurf sehr klug und treffend kritisiert: Er ist ökonomistisch und voller Illusionen in die Wiederholbarkeit eines kapitalistischen Wohlfahrtsstaats der 70er Jahre; der Entwurf ist klassisch zweigeteilt, indem er diesen Ökonomismus mit mehr oder weniger staatsfixierter politischer Kontrolle und Enteignung kombiniert; der Entwurf ist letztlich altmodisch, weil er die Klassendifferenzierungen der letzten Jahrzehnte sowie die Frauen- und Umweltbewegung mit ihrer systematischen Kritik an Geschlechterdiskriminierung und dem bürgerlichen Wachstumsbegriff nicht oder zu wenig aufgreift.

All das ist richtig und wird vom FdS mit den auf linken Parties so beliebten Theoriehappen des Dekonstruktivismus, der Differenztheorie und des Antietatismus sowie mit der aktuellen Wachstumskritik eines Teils der Ökologiebewegung garniert und aufgetischt. Einem solchen Text werden die Herzen zufliegen – und das scheint seine wichtigste Funktion zu sein, weil die konkrete Politik der FdS-Regierungsozialisten nun wirklich nicht neu, sexy und genderkorrekt ist.

Die Schlussfolgerungen des FdS sind deshalb auch komplett irreal und, soweit sie sich auf kluge Theorien der Linken und neue Klassenanalysen beziehen, oftmals eine wirkliche Verhohnepipelung solcher Autoren wie Gramsci, Lukács, Poulantzas und anderer. Die Herrschaft des Kapitals wäre mehr eine Zustimmung der Unterdrückten und Besitzlosen als  Ausbeutung und Repression durch die Besitzenden. Nicht das Eigentum sei entscheidend, sondern die Verfügung darüber. Die Differenzierung innerhalb der Arbeiterklasse würde den Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht etwa verschärfen, sondern relativieren. Der Kapitalismus sei prinzipiell friedensfähig und die NATO auch Ausdruck des Friedenswunsches von Millionen. Terrorismus, ethnische Konflikte und Staatszerfall seien vom Kapitalismus und Imperialismus unabhängige Entwicklungen. Alles nur starker und dummer Tobak.

Auf den Kopf gestellt

Das FdS stellt auch den in der revolutionären Arbeiterbewegung so wichtigen strategischen Ansatz eines Programms von Übergangsforderungen auf den Kopf. Ihre «transformatorischen Reformprojekte» werden nur als individuelle Fluchten analysiert und propagiert. So verkommen die schönen Ziele Arbeitszeitverkürzung, Wiedergewinnung des Öffentlichen und ökologischer Umbau zu individuellen Träumen.

Wer sich allerdings weigert, wie das FdS, den Kapitalismus als ein System der systematischen und täglichen Enteignung zu analysieren, der oder die kann sich den Prozess der Gesellschaftsveränderung auch nur als eine Mixtur aus wissenschaftlichem Diskurs und Bettelei um den Katzentisch der Herrschenden vorstellen. Eine linke Strategie setzt dem stattdessen einen Kampf um systematische Wiederaneignung – von Zeit und materiellem Besitz – entgegen, der in der Tat einen Übergangsprozess mit wachsenden Formen der gesellschaftlichen Gegenmacht hervorbringen wird. Gegenmacht, die den Kapitalismus blockiert und außer Kraft setzt – das ist die Alternative zum lähmenden Mitmachen.

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