Die Demonstration gegen die industrielle Landwirtschaft am 22.1. war ein großer Erfolg. Rund 22.000 Menschen, aufgerufen von einem breiten Bündnis, darunter viele Bauern vor allem aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg, aber auch Erwerbslose und Umweltschutzorganisationen, demonstrierten anläßlich der Grünen Woche für eine Reform der Agrarpolitik, die Abkehr von der industrialisierten Landwirtschaft und für besseren Verbraucherschutz. Über diese Themen sprach Boris Schulz mit Reinhild Benning, Agrarexpertin des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland).
Abgesehen von Forderungen nach mehr Kontrolle der Futtermittelindustrie sowie einem Verbot der parallelen Herstellung von Industrie- und Futterfetten, ist von Ministerin Aigner im Dioxinskandal wenig zu hören. Wie beurteilst du ihr Krisenmanagement?
Aigners Krisenmanagement ist mangelhaft. Sie reagiert immer nur auf Druck, und ihre Maßnahmen gehen nicht weit genug. Die Trennung der Produktionsströme reicht nicht aus, wir brauchen dringend einen Haftungsfonds, in den die Futtermittelindustrie dauerhaft einzahlen muss. Sie ist die Verursacherin der Lebensmittelskandale der letzten Zeit.
Das ist der vierte Dioxinskandal in zehn Jahren. Tausende landwirtschaftliche Betriebe wurden über einen langen Zeitraum gesperrt, was sie sehr hart getroffen hat. Die Höfe sollen nicht schließen müssen, weil die Futtermittelindustrie immer wieder Fehler macht. Der erwähnte Haftungsfonds sollte sowohl Landwirte als auch Verbraucher entschädigen. Das ist in den bisherigen Vorschlägen von Frau Aigner nicht enthalten.
Außerdem sind die Kontrollen längst nicht eng genug. Frau Aigner beließ es in ihrem 14-Punkte-Papier bei einer einigermaßen weichen Formulierung. Der Verband der Kontrolleure erklärte jedoch, es fehlten rund 1500 Mitarbeiter, um die Selbstkontrollen der Industrie nachprüfen zu können.
In der Öffentlichkeit wird der Futtermittelindustrie fast die Alleinschuld am Skandal zugesprochen. Aber was ist mit der industriellen Landwirtschaft, insbesondere der Massentierhaltung?
Mit der massiven Ausweitung der Massentierhaltung in den letzten Jahren gehen erhöhte Risiken einher. Wenn wir über Massentierhaltung sprechen, reden wir z.B. über Mastschweineanlagen mit bis zu 68000 Schweinen in Haßleben/Brandenburg oder über Geflügelmastanlagen mit 600000 Masthähnchen – das sind tickende Zeitbomben. Diese Tierfabriken verwenden kaum regionales Futter, sondern importieren Futter, das viele industriell verarbeitete Zutaten enthält. Das ist ein Milliardengeschäft. Es werden immer die billigsten Zutaten auf dem Weltmarkt gekauft. Gerade weil dieser Sektor wächst, reichen Selbstkontrollen keineswegs aus, um die Sicherheit der Lebensmittel zu garantieren.
Welche Gründe gibt es für diese Entwicklung? Ist es allein die Geiz-ist-geil-Mentalität der Verbraucher oder steckt mehr dahinter?
In der Landwirtschaft gibt es eine von der Ernährungsindustrie und dem Deutschen Bauernverband vorangetriebene Entwicklung. Die Ernährungsindustrie will billige Rohstoffe. Unserer Meinung nach sind es weniger die Landwirte selbst, die diese Entwicklung vorantreiben, aber sie wehren sich zu wenig. Erst nach und nach bilden sich neue Bauernverbände.
Bis jetzt hatten wir einen monolithischen Deutschen Bauernverband, der angeblich die Interessen aller deutschen Bauern vertrat. Doch seine Funktionäre sitzen in der Nahrungs- und Futtermittelindustrie. Ein Beispiel ist der Vizepräsident des Bauernverbands, Franz Josef Möllers, der im Aufsichtsrat der zweitgrößten Futtermittelindustrie Deutschlands, Agrarvis, sitzt. Bei den Molkereien sieht es ähnlich aus. Der Bauernverband vertritt also nicht mehr die Interessen der Urerzeuger, sondern die Interessen der verarbeitenden Industrie, die billige Rohstoffe verlangt und die Landwirte zwingt, immer billiger zu produzieren.
In Europa wurde unter dem Einfluss des Bauernverbands und der Industrie die Lebensmittelproduktion extrem vorangetrieben, so dass wir heute in Deutschland eine Überproduktion von 10% bei Schweinen haben. Bei Geflügel sind es europaweit 4%. Diese Überproduktion ermöglicht es dem Handel und der Industrie, die Erzeugerpreise gegenüber den Bauern zu drücken, da die Preise sinken, wenn zu viel am Markt ist.
Die Politik ist verantwortlich, weil sie die Überschüsse zugelassen hat, anstatt eine Produktionsobergrenze einzuführen, die in etwa dem Konsum in Europa entspricht.
Unzulänglich ist auch die Kennzeichnung. Verbraucher werden für dumm verkauft. Auf den Verpackungen sind Fachwerkhöfe, glückliche Tiere, Wiesen und Weiden zu sehen, so will man uns eine idyllische Landwirtschaft vormachen, obwohl das allermeiste Fleisch aus Massentierhaltung stammt und nicht aus Weidehaltung. Verbraucher können dies aber nicht erkennen, denken: Alles ist gleich gut, da nehme ich doch das Billigste. Außerdem führt die aggressive Billigwerbung der Discounter dazu, dass wir in Deutschland extrem auf den Preis achten statt auf Qualität, in anderen europäischen Ländern ist das nicht so.
Wie sieht das die Fleischindustrie?
In Europa kann der Fleischkonsum nicht mehr gesteigert werden. Deshalb setzt die Fleischindustrie auf den Export. Richtigerweise wollen aber Landwirte auf der ganzen Welt ihre regionalen Märkte mit ihren Produkten selbst versorgen. Die Zielländer wollen oft selbst ihre Landwirtschaften entwickeln, um unabhängiger von Importen zu werden. Die Europäische Agrarpolitik forciert jedoch Exporte zu Dumpingpreisen und ruiniert die regionalen Märkte.
Wir sollten die EU-Produktion dem Konsum anpassen. Dann bräuchten wir nichts mehr in den Export stecken und könnten eine ökologische Produktion voran bringen.
Welche Rolle spielt die Politik?
Sie hat die Weichen gestellt, dass die Fleischindustrie diesen Weg nehmen konnte. Europa zahlt jährlich 60 Mrd. Euro an die Land- und Ernährungswirtschaft, 15% davon direkt an die Industrie in Form von sog. Marktbeihilfen. Der Rest geht in Millionenhöhe an Industriebetriebe, Großunternehmen und Agrarfabriken. Die Beihilfen werden nach Hektar bezahlt und nicht nach ökologischen und sozialen Kriterien. Bauernhöfe erhalten oft nur ein Taschengeld.
Die Bundesregierung spielt eine besondere Rolle, da es in Deutschland sehr große Nahrungsmittelkonzerne gibt. Wie die Autoindustrie sollen auch Schlachthöfe und Molkereien mehr Exporterfolge erzielen, auch wenn Umwelt und Tierschutz damit den Bach runter gehen. Der Haushalt des Landwirtschaftsministeriums wurde in diesem Jahr auf 10 Mio. Euro aufgestockt, was auf den ersten Blick nicht viel ist. Damit werden jedoch in Schwellenländer Messen veranstaltet, die Werbung machen für deutsches Schweinefleisch. Zudem wurden neue Agrarattachés entsandt, um in den Zielländern, teils mit erpresserischen Methoden, die Zölle für Schwein und Geflügel aus Deutschland zu senken. Das ist sozial mehr als unverantwortlich. Denn durch die Dumpingexporte werden die regionalen Märkte gefährdet und die Armut noch vergrößert.
Bald wird die neue Agrarpolitik verhandelt, die neuen Richtlinien sollen ab 2015 gelten. Müssten da nicht soziale und ökologische Standards stärker berücksichtigt werden?
So ist es. Die EU-Kommission hat auf Druck der NGOs direkte Exportsubventionen gekürzt. Die Indirekte Exportförderung hat unterdessen eine größere Bedeutung erhalten. So gehen ca. 330 Euro pro Hektar und Jahr direkt an die Landwirtschaft. Der Landwirt liefert an die Ernährungsindustrie, und diese exportiert inzwischen ein Fünftel ihrer Produktion. Das heißt, die Direktzahlungen kommen letztendlich der Industrie zugute, weil diese dadurch weniger für landwirtschaftliche Rohstoffe zahlen muss. Wir Steuerzahler zahlen einen Teil des Einkommens an den Landwirt, das macht seine Produkte billiger. Billige Lebensmittel kommen uns dabei teuer, wie wir am Dioxinskandal sehen, weil die Standards nicht stimmen, die für die Subventionen einzuhalten sind.
Was können wir tun?
Wir können unser Konsumverhalten ändern, weniger Fleisch und Milchprodukte, dafür mehr Gemüse essen und uns so ab und an auch Bioprodukte leisten. Wir können Druck auf die Politik machen. Die EU-Kommission hat einen brauchbaren Vorschlag gemacht, dass nur noch diejenigen Betriebe Subventionen erhalten, die sich an bestimmte Umweltstandards halten und etwas für Klima- und Artenschutz tun. Das wollen wir umgesetzt sehen, und die Bundesregierung soll noch den Tierschutz mit einbeziehen. Man kann unsere Kampagne dazu unterstützen (www. meine-landwirtschaft.de).
Dazu müssten dann aber auch die Einkommen und die Sozialleistungen steigen?
Das ist richtig. Wir haben ein Preisproblem. Deshalb ist eine Agrarreform auch sehr wichtig. Wir wollen, dass das Geld in eine bäuerliche, ökologische Landwirtschaft fließt. Von den EU-Agrar-Subventionen fließen jährlich rund 6 Mrd. (ein Zehntel) nach Deutschland. Käme das Geld der ökologische Landwirtschaft zugute, würden Ökoprodukte kostengünstiger werden und gleichzeitig würden Tier- und Wasserschutz gefördert.
Auf der anderen Seite wollen wir, dass die Verursacher von Umweltschäden haftbar gemacht werden, damit deren Produkte teurer werden. Der BUND fordert außerdem eine Besteuerung von Pestiziden und Düngemitteln und die Senkung der Mehrwertsteuer auf ökologische Produkte.
Wir sind sehr stolz darauf, dass bei der Demonstration heute eine Gruppe von Erwerbslosen unter dem Motto «Krach schlagen, statt Kohldampf schieben» dabei war, die ein höheres Grundeinkommen fordern, damit sie sich wertvollere Lebensmittel leisten können. Diesen tollen Ansatz unterstützen wir.
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