von Angela Klein
«Die soziale Opposition lebt», schrieb die linke Presse Italiens nach der Demonstration vom 16.Oktober in Rom, wo sich alle sozialen Bewegungen hinter die Fahnen der Metallarbeitergewerkschaft FIOM geschart hatten. Der Kampf gegen die Abschaffung der Arbeiterrechte bei FIAT in den letzten Wochen hat diese Bewegung gestärkt. Für den 28.Januar ist ein Generalstreik angekündigt.
Das industrielle Herz Italiens besteht hauptsächlich aus einem Konzern: dem Autobauer Fiat. Diesem geht es seit langem schlecht; auf dem von Überkapazitäten geprägten Automobilmarkt verliert er stetig Marktanteile, die Krise 2008 hat ihn noch einmal zurückgeworfen. Vom Vorstandsvorsitzenden und Italo-Kanadier Sergio Marchionne stammt das Wort: Sechs (von 13 Autokonzernen weltweit) bleiben übrig. Fiat will nicht zu denen gehören, die unten runter fallen, und Marchionne hat eine eigene Strategie des Überlebens entwickelt:
Als 2009 General Motors und Chrysler in den USA Insolvenz anmelden mussten, bot er sich an, Chrysler zu übernehmen, von dem sich Daimler gerade getrennt hatte. Im Zuge des Insolvenzverfahrens wurde der Pensionsfonds der Belegschaft neuer Mehrheitseigentümer bei Chrysler (gegen den Verzicht auf 57% seiner Ansprüche und die Zustimmung der Autogewerkschaft UAW zu Lohnsenkungen), Fiat erhielt gegen Technologietransfer 20%. Für den Deal kassierte das neue Unternehmen Chrysler Group LLC 3,3 Mrd. Dollar von der Regierung Obama, 4 Mrd. hatte Bush noch kurz vor seinem Amtsende im November 2008 zugesteuert, weitere 4,76 Mrd. stellte Obama in Aussicht – «um das Überleben Chryslers in den kommenden Jahren zu sichern». Fiat kann seinen Anteil bei Chrysler auf 35% aufstocken, wenn es «in den USA die Produkton energiearmer Motoren aufnimmt» (Wall Street Journal, 1.Mai 2009).
Mit dem US-Geld, den niedrigeren Lohnkosten und der sehr geschwächten Position der UAW im Rücken, hat Marchionne sich als erstes daran gemacht, die italienische Produktion zu einer verlängerten Werkbank für die USA umzubauen: denn der Autoabsatz in Italien stagniert und der US-Markt ist unvergleichlich vielversprechender. Im Zuge dessen wird das Werk in Termini Imerese (Sizilien) geschlossen, während die Belegschaften in den anderen Werken nacheinander vor die Wahl gestellt werden, entweder einer drastischen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen oder einer Werksschließung zuzustimmen.
Verlängerte Werkbank
Im Stammwerk Mirafiori in Turin haben die Gewerkschaften am 28.Dezember ein Diktat unterzeichnet, das ihre Rechte im Betrieb auf Null fährt. Ein ähnlicher Vertrag (noch ohne die Abschaffung der gewerkschaftichen Rechte) wurde im Mai 2010 für das Werk Pomigliano unterzeichnet, weitere sind für die Werke Cassino und Termoli vorgesehen. Diktat deshalb, weil die Verträge nicht mit den Gewerkschaften ausgehandelt, sondern von ihnen erpresst wurden mit der Bemerkung: «Entweder das, oder wir machen das Werk zu.»
Die Gewerkschaften FIM, UILM sowie die Vertretungen der Angestellten und Außertariflichen haben unterschrieben – die FIOM, die Metallarbeitergewerkschaft in der CGIL und Mehrheitsgewerkschaft bei Mirafiori – nicht. Deren Vorstandsmitglied Giorgio Cremaschi hat das Diktat als «Rückkehr zu einer faschistischen Unternehmensverfassung» bezeichnet. Es bedeutet auch eine Kampfansage an landesweite Tarifabschlüsse und wird deshalb Folgen für die industriellen Beziehungen insgesamt in Italien haben.
Das Diktat (von einem Vertrag oder einem Abkommen zu reden wäre Hohn) schafft ein neues Unternehmen, Mirafiori Plant. Damit umgeht der Konzern Art.2112 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach «bei Betriebsübergängen die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt bleiben». Fiat fühlt sich an frühere Betriebsvereinbarungen wie auch an die Verpflichtungen des Unternehmerverbands Confindustria nicht mehr gebunden. Marchionne hat folgerichtig den Austritt von Fiat aus der Confindustria in Aussicht gestellt, deren Leitung das Unternehmen jahrzehntelang innehatte.
Alle Beschäftigten werden bis Anfang Februar 2012 in Kurzarbeit geschickt (die aus der Sozialversicherung plus zusätzlichen staatlichen Hilfen bezahlt wird). Danach muss jeder neu Eingestellte das Diktat einzeln unterschreiben. Damit schafft sich Fiat die Möglichkeit, Neinsager, aber auch nicht mehr ganz so Leistungsfähige auszusortieren. In das neue Werk will Marchionne angeblich 1 Mrd. Euro investieren; produziert werden SUVs der Marke Chrysler und Alfa. Die Motoren dafür werden in den USA produziert, nach Italien verfrachtet, dort auf Plattformen eingebaut, die ebenfalls von Chrysler stammen, und in die USA zum Verkauf zurückgeschickt. Das Stammwerk Mirafiori wird keine Autos der Marke Fiat mehr bauen.
Was steht in dem «Schandvertrag»?
Arbeitszeiten: Die Geschäftsleitung kann ohne Rücksprache mit den Gewerkschaften frei zwischen verschiedenen Optionen wählen: 15 Acht-Stunden-Schichten verteilt über fünf Tage; 18 Acht-Stunden-Schichten verteilt über sechs Tage; 12 Zehn-Stunden-Schichten verteilt über sechs Tage. Die Belegschaft ist zu 120 Überstunden im Jahr verpflichtet, die auf bis zu 200 aufgestockt werden können.
Die Pausen werden verkürzt auf 3 mal 10 Minuten pro Schicht, die Essenspause kann auch am Ende der Schicht eingenommen werden; für diese Zeiten erhält der Arbeiter 32 Euro im Monat. Die Arbeitsabläufe am Fließband sind extrem durchgerechnet; ein US-amerikanisches Zeiterfassungsmodell teil die Stunde in 100.000 Einheiten ein.
Krankheit: Die ersten beiden Krankheitstage werden nicht bezahlt – das soll die angeblich zu hohen Fehlzeiten senken. Der hohe Arbeitsdruck und die extrem kleinteiligen Arbeitsabläufe von langer Dauer ziehen einen hohen Krankheitsstand nach sich. Eine Umfrage der FIOM zufolge klagen 68% der Beschäftigten über Bandscheibenbeschwerden, Sehnenscheidenentzündungen u.ä. Das Durchschnittsalter liegt bei 48 Jahren; aber auch Beschäftigte um die 38 leiden zu 45% unter solchen Beschwerden (in der EU sind es 30%).
Arbeitnehmerrechte: Gewerkschaften, die (wie die FIOM) das Diktat nicht unterschrieben haben, haben kein Recht, im Betrieb vertreten zu sein, die FIOM ist im Werk Mirafiori die größte Gewerkschaft. Aber auch jene, die den Vertrag unterschrieben haben, können jederzeit vor die Tür gesetzt werden. Die Eingangsklausel hebt den «integralen Charakter» des Diktats hervor: Wird nur eine der eingegangenen Verpflichtungen von einem Einzelnen oder von einer Gruppe verletzt, fühlt sich die Geschäftsleitung an nichts mehr gebunden. Damit wird auch das Streikrecht aufgehoben.
Vertretung: Die gewerkschaftlichen Vertreter der Beschäftigten dürfen von diesen nicht mehr gewählt werden, sondern werden von den Gewerkschaften ernannt.
Das Referendum
Die Geschäftsleitung hat das Diktat der Belegschaft zur Abstimmung («Referendum» genannt!) vorgelegt; die zur Information der Beschäftigten notwendigen Betriebsversammlungen organisierte sie selbst. Das Schriftstück bekamen die Arbeiter nicht mal zu sehen; allein die FIOM hat es vor den Werkstoren verteilt. Sie hat das Referendum als «illegitim» verurteilt und aufgerufen, mit Nein zu stimmen. Mit Hilfe der ebenfalls im Werk vertretenen Basisgewerkschaft COBAS und unterstützt von zahlreichen Gruppen aus dem Bündnis vom 14.Oktober – u.a. durch verschiedene Aufrufe und Unterschriftensammlungen von Intellektuellen und linken Medien – hat sie eine äußerst intensive Informationsarbeit gegenüber der Belegschaft und der Öffentlichkeit betrieben.
Die Abstimmung fand am 14.Januar statt. Alle gingen davon aus, dass eine große Mehrheit mit Ja stimmen würde – wegen der Gehirnwäsche durch die Unternehmerpropaganda, aber vor allem wegen der Erpressung: Stimmst du mit Nein, bist du deinen Arbeitsplatz los. Doch so kam es nicht: Das Ja hat knapp mit 54%, gegenüber 46% Nein-Stimmen, gewonnen; unter den Arbeitern war das Ja mit nur 9 Stimmen (!) in der Überzahl; an den Montagebändern war das Nein überwältigend. Die FIOM, die bei Mirafiori bislang 600 Mitglieder zählte und deren Vertreter bei Wahlen 900 Stimmen erzielten, hatte fast 2500 Arbeiter hinter sich gebracht. Unter den Arbeitern war die Schwelle von 51%, die Marchionne selbst als Voraussetzung für die Durchführung seiner Pläne genannt hatte, nicht erreicht worden. Es waren auch diesmal wieder die Vorarbeiter, Angestellten und Manager, die den (sehr knappen) Ausschlag für das Ja gegeben haben. Alle, die in diesem Konflikt auf der Seite der FIOM standen, haben das Ergebnis als großen Erfolg gewertert.
Hoffnungsträger
Die FIOM war wegen ihrer Weigerung, das Diktat zu unterzeichnen, einer massiven Kampagne ausgesetzt – nicht nur von Seiten der gesamten Presse und aller im Parlament vertretenen Parteien sowie der Wissenschaftler und Journalisten in deren Schlepptau, sondern auch innerhalb der CGIL, deren Mitgliedsorganisation sie ist. Die Demokratische Partei (PD, ein Überbleibsel der früheren KP) betonte, zur versprochenen Milliardeninvestition gebe es «keine Alternative». Der PD-Bürgermeister von Turin, Piero Fassino, hat rundheraus erklärt: «Ich würde mit Ja stimmen.» Der Flügel in der CGIL, der sich an der PD orientiert, gab zu bedenken, die Gewerkschaften dürften die Unterschrift nicht verweigern, und sei der Vertrag noch so schlecht – sonst wären sie «aus dem Spiel». Selbst noch nach der Abstimmung legten sie der FIOM nahe, nachträglich eine «technische Unterschrift» zu leisten.
Die FIOM hat das konsequent zurückgewiesen. Sie hat dafür vier Argumente ins Feld geführt:
1. Eine nachträgliche Unterschrift wäre ein Canossagang, der die im «Referendum» neu gewonnenen Legitimität und Verhandlungsmacht wieder aufs Spiel setzen würde.
2. Die FIOM verliert durch den Vertrag bedeutende Rechte, darunter das Recht, Betriebsversammlungen einzuberufen, sich frei im Betrieb zu bewegen, Versammlungsräume und Infotafeln zu bekommen, die Mitgliedsbeiträge von der Geschäftsleitung einziehen zu lassen, das Recht auf Information und Beratung. Doch sie ist nicht handlungsunfähig: Das Koalitionsrecht ist nicht aufgehoben, die Arbeiter dürfen sich versammeln und für die Gewerkschaft werben, da die von den Gewerkschaftern zu benennenden Vertreter mindestens 40% der Arbeiter vertreten müssen, kann die FIOM vor den Werkstoren eigene Versammlungen durchführen und Delegierte wählen.
3. Den Gewerkschaften, die unterschrieben haben, sind durch die Präambel die Hände gebunden, ihre Rechte können jederzeit von der Geschäftsleitung widerrufen werden. Sie werden nur als Anhängsel der Geschäftsleitung toleriert, als Agenten des Kapitals.
Die FIOM will den Konflikt offenhalten und erwägt weitere Schritte.
Gerichtlich: Sie will gegen die Präambel klagen und behält sich vor, jeden Schritt der Geschäftsleitung, der «die freie Ausübung der gewerkschaftlichen Betätigung und das Streikrecht be- oder verhindert», vor Gericht zu bringen. Dabei stützt sie sich auf das Arbeiterstatut (Betriebsverfassung) von 1970.
Aber auch politisch: Sie hat den Generalstreik vom 28.Januar einberufen, dem sich auch die Studenten angeschlossen haben – das «Volk der Linken» wird auch diesmal wieder geschlossen auf den Beinen sein. Dieser Streik ist nochmals aktueller geworden, weil der Verband der Metallarbeitgeber, die Federmeccanica, gefordert hat, den nationalen Tarifvertrag ganz abzuschaffen.
Und die FIOM setzt die Auseinandersetzung innerhalb der CGIL fort, indem sie von ihr verlangt, dass sie die Teile der Verträge von Pomigliano und Mirafiori kündigt, die das Streikrecht verletzen.
Der große Erfolg der FIOM in dieser Auseinandersetzung besteht darin, dass sie es geschafft hat, die Linke, die einen kompromisslosen Kampf um die Würde der arbeitenden Menschen und um die Bürgerrechte führt, hinter sich zu vereinen und die Arbeiterfrage wieder in den Mittelpunkt der öffentichen Auseinandersetzung zu rücken. Ein gewerkschaftlicher Kampf erhält wieder eine zentrale strategische Bedeutung für die gesellschaftliche Orientierung des Landes.
Die FIOM ist damit über ihre Rolle als Gewerkschaft hinaus gewachsen und zu einem politischen Hoffnungsträger geworden. Sie hat die Ehre der Gewerkschaft als Instrument der Verteidigung der Arbeiter gerettet.
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