von Guido Strack
Ein Arbeitnehmer war fristlos entlassen worden, weil er bei der Staatsanwaltschaft als Zeuge über seinen Arbeitgeber und dessen Geschäftsführer ausgesagt hatte. Im Arbeitsrechtsweg war seine Klage – getreu der bis dahin vorherrschenden Rechtsprechung – rechtskräftig abgewiesen worden, Begründung: er hätte zunächst eine innerbetriebliche Klärung versuchen müssen.
Das Bundesverfassungsgericht gab 2001 der Verfassungsbeschwerde jedoch statt und hob die Kündigung auf: «Auch die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren kann – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen, daraus einen Grund für eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses abzuleiten.»
Zu den staatsbürgerlichen Rechten zählen das Petitionsrecht aus Artikel 17 des Grundgesetzes, also «das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden», ebenso wie das Recht, eine Strafanzeige zu erstatten. Aus der Wahrnehmung jener Rechte sollte demnach also, jedenfalls solange nicht «wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden» niemand, auch nicht im Arbeitsverhältnis, ein Nachteil erwachsen dürfen.
Doch schon 2003 klammerte sich das Bundesarbeitsgericht an das Wort «Regelfall», um neue Anforderungen zu Lasten von Arbeitnehmern zu formulieren. Demnach müssen Arbeitnehmer vor einer Strafanzeige zunächst eine interne Klärung versuchen, soweit ihnen dies «zumutbar» ist, außerdem seien auch ihre Motive und die Gefahren für den Arbeitgeber zu berücksichtigen. Kurz, es wurden jede Menge Kriterien aufgestellt, die es heute letztlich niemandem möglich machen, im Vorfeld sicher zu wissen, wann eine Strafanzeige zulässig ist – ähnliches gilt wohl auch für andere Informationen zuständiger Behörden über Rechtsverletzungen im Betrieb. Macht der Arbeitnehmer bei dieser Beurteilung einen Fehler, kann er trotzdem fristlos gekündigt werden.
Was sagt das Bundesverfassungsgericht nun dazu? Nichts! Jedenfalls hat es im Fall von Brigitte Heinisch, einer Altenpflegerin aus Berlin, die ihren Arbeitgeber wegen Betrugs im Zusammenhang mit schlechter und gefährlicher Pflege anzeigte, die Entscheidungen von Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht, welche die Kündigungen bestätigten, nicht aufgehoben. Frau Heinisch ist kein Einzelfall! Sie klagt jetzt in Straßburg.
Nachdem vor einigen Jahren immer wieder Gammelfleischfälle den Abscheu der Öffentlichkeit erregten, dämmerte selbst Horst Seehofer, dass hier etwas getan werden müsse: Arbeitnehmer/Informanten sollten geschützt werden, wenn sie auf derartige Missstände in ihrem Betrieb aufmerksam machen. 2008 machte er hierzu sogar einen Gesetzesvorschlag. Allerdings wimmelte dieser von Ausnahmen, unklaren Formulierungen und ließ die Arbeitnehmer hinsichtlich der Beweisproblematik völlig im Regen stehen.
Aber selbst dies ging der Wirtschaftslobby zu weit. Es gelang ihr, die CDU/CSU-Fraktion dazu zu bringen, den Gesetzesentwurf ihres eigenen Ministers im Bundestag scheitern zu lassen.
Folgerichtig erleben wir derzeit den nächsten, diesmal einen Futtermittel- und Dioxin-Skandal. Während Ministerin Aigner und die Länder diesen Punkt nicht aufnahmen, erinnert sich immerhin die SPD-Bundestagsfraktion an die Forderung, einen besseren Informantenschutz einzuführen.
Und die Union? In der Debatte vom 19.1.2011 erwiderte deren verbraucherpolitischer Sprecher, Peter Bleser, der SPD: «Sie haben … verlangt, dass wir den Denunziantenschutz in Deutschland einführen.» Außerdem behauptete er fälschlich, jeder Mitarbeiter habe bei der Anzeige von Straftaten Kündigungsschutz. Einsicht klingt anders.
Kann eine demokratische Rechtsordnung, die den Namen verdient, es sich wirklich leisten, dass diejenigen, die zuständige Stellen über Rechtsbrüche informieren, dafür mit Billigung der Rechtsordnung abgestraft werden? Wer wird sich dann noch für die Einhaltung des Rechts einsetzen?
Stattdessen passiert folgendes: Entweder die möglichen Hinweisgeber machen beim Rechtsbruch mit, oder sie stehen tatenlos daneben. Das Unrecht kann gedeihen und die Schäden wachsen. Oder aber diejenigen die dennoch agieren wollen, tun dies, soweit möglich, im Verborgenen. CDU/CSU scheinen sich dafür entschieden zu haben, Wikileaks und ähnlichen Plattformen neue Informanten in die Hände zu treiben, statt Whistleblower gesetzlch zu schützen. Wohl an!
Guido Strack ist Jurist und Vorsitzender des Whistleblower-Netzwerk e.V.
Eine aktuell laufende E-Petition «für bestmöglichen gesetzlichen Whistleblowerschutz» sucht noch Mitzeichner (www.whistleblower-net.de/content/view/227/1/lang.de/).
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.