Auf Geheiß des Bundesgerichtshofs wird der Fall gegen die diensthabenden Polizisten neu aufgerollt
von Angela Huemer
Fast genau sechs Jahre ist es her, dass Oury Jalloh, ein Asylwerber aus Sierra Leone, in einer Zelle im Dessauer Polizeirevier starb. Er war dort gelandet, weil er frühmorgens zwei Putzfrauen angesprochen hatte, er wollte telefonieren. Die beiden fühlten sich von ihm belästigt und holten Hilfe von der Polizei.
Ihm wird Blut abgenommen, er hat zwei Promille. Da er sich wehrt, fesselt man ihn an Händen und Füssen und sperrt ihn in eine Zelle im Keller des Reviers, in der sich nur eine Liege mit einer schwer entflammbaren Matratze befindet. Nach rund zweieinhalb Stunden gibt es Feueralarm, der Dienstgruppenleiter ignoriert ihn. Er ignoriert den Alarm auch, als er das zweite Mal losgeht. Erst als Hilferufe über eine Sprechanlage dringen, alarmiert eine Beamtin das übrige Revier.
Zu spät. Der Rauch verhindert, dass die Zelle betreten werden kann, und Oury Jalloh ist schon tot. Später fand man in der Zelle Reste eines Feuerzeugs, aber wie Jalloh, der gefesselt auf der feuerfesten Matratze lag, diese selber angezündet haben soll, wurde nie geklärt.
Der erste Prozess
In den Jahren 2007 und 2008 fand der erste Prozess gegen die diensthabenden Polizisten statt. Die Anklage war dieselbe wie heute: unterlassene Hilfeleistung durch den damaligen Dienstgruppenleiter des Polizeireviers Dessau, d.h. Mitschuld am Tod von Oury Jalloh. Rund um diesen Dienstgruppenleiter S. hatte sich im ersten Prozess eine Mauer des Schweigens gebildet. Eine Polizeibeamtin zog noch während des Prozesses ihre Vorwürfe gegen den Kollegen zurück.
Sogar der Richter brachte es damals auf den Punkt: «Der Fall strotzt von Versäumnissen und Schlamperei.» Und nach dem Prozess mahnte auch die Landesregierung ihre Beamten an, «zur Wahrheitsfindung» beizutragen und «Schaden vom Land Sachsen-Anhalt» abzuwenden.
Nachdem Versuche des Richters gescheitert waren, das Verfahren einzustellen, musste er notgedrungen die Angeklagten freisprechen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger gingen jedoch in Revision. Und so hob am 7.Januar 2010, genau am fünften Todestag von Oury Jalloh, der Bundesgerichtshof das erste Prozessurteil auf.
Dass nun ein zweiter Prozess stattfindet, darf als ein Erfolg der Nebenkläger und der vielen Gruppen gewertet werden, die den Ausgang und die Art und Weise, wie der erste Prozess stattfand, nicht akzeptieren wollten. Denn es war nicht nur eine Mauer des Schweigens im ersten Prozess zutage getreten, auch unverhohlener Rassismus.
Dazu gibt es einen ein kurzen Auszug aus einem Telefonat zwischen dem Dienstgruppenleiter und dem zuständigen Arzt: «Ja, piekste mal nen Schwarzafrikaner.» – «Ach, Scheiße, da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen.» S. darauf: «Na, bring doch ne Spezialkanüle mit.»
Offene Fragen
Zu klären ist im Fall Oury Jalloh nach wie vor, wie es möglich war, dass in der Zelle Feuer ausbrach, obwohl der Festgehaltene dort gefesselt auf einer feuerfesten Matratze lag. Sein Leichnam ist zweimal obduziert worden, das zweite Mal auf Drängen von Freunden des Toten – denn beim ersten Mal hatte man auf Röntgenaufnahmen verzichtet. Prompt stellte sich heraus, dass der Tote einen Nasenbeinbruch erlitten hatte. Bleibt abzuwarten, ob das im zweiten Anlauf möglich sein wird. Zum Prozessauftakt gab es in Madgeburg und bundesweit Kundgebungen und Aktivitäten von Flüchtlings- und Migrantenorganisationen.
Genaueres zum Prozessverlauf gibt es auf der Seite der Neuen Rheinischen Zeitung, mit genauen Protokollen zu den einzelnen Vernehmungen: www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=16093.
Es gibt auch einen Dokumentarfilm zum Fall Oury Jalloh, in dem es vor allem um die aussichtslose Lage von Asylwerbern geht, die oft jahrelang bei Residenzpflicht und ohne Arbeitserlaubnis in abgelegenen Asylunterkünften ausharren müssen: www.ouryjalloh-derfilm.de.
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