Die Hauptkriegstreiber sitzen diesmal nicht in den USA, sondern in Europa: Vor allem die alten Kolonialmächte Frankreich, Großbritannien und – nach einer spektakulären Kehrtwende – auch Italien wittern ihre Chance, den Einfluss, den sie durch die Unabhängigkeitsbewegungen der 50er Jahre verloren haben, wieder zurückzugewinnen. Frankreich wollte schon im Januar losballern – damals noch auf der Seite des tunesischen Diktators («Wenn Sie unsere polizeiliche und militärische Kompetenz brauchen, Herr Ali, müssen Sie es nur sagen»). Von den Amerikanern zurückgepfiffen, muss dem ungeduldigen Sarkozy die Sackgasse des libyschen Bürgerkriegs wie ein Geschenk Allahs vorgekommen sein: Jetzt kann er dasselbe machen und darf sich dafür als Held und als Verteidiger der Werte der Französischen Revolution feiern lassen.
Der Wind der Geschichte hat sich gedreht, Gaddafis «beste Freunde», mit denen er die meisten Geschäfte gemacht hat, entpuppen sich als Opportunisten der Macht. Wen wundert’s. Doch ist dies ein Grund, ihnen den abgegriffenen Nickel ihrer Schäbigkeit mit dem Gold der «humanitären Intervention» aufzuwiegen? Welche Glaubwürdigkeit haben sie noch – nach Kosovo, nach Irak und Afghanistan, nachdem all diese Interventionen viel größeres Leid und unermeßlich mehr Zerstörung über die Menschen gebracht haben, als ihre eigenen Potentaten ihnen jemals zumuten konnten? Und gehören Sarkozy und Berlusconi, oder auch der dänische NATO-Chef Fogh Rasmussen nicht zu den Rechtsaußenpolitikern in Westeuropa, die die Unabhängigkeit der Justiz attackieren, Flüchtlinge ins Meer treiben und die Vorstädte «mit dem Kärcher» von Migranten säubern? Ausgerechnet die sollen jetzt die Menschenrechte entdeckt haben?
Die Schlimmsten sind die Gutmenschen, sie verhelfen dem schnöden Machtkampf um das libysche Öl zu moralischem Glanz. Frau Heidemarie Wieczorek-Zeul etwa, das linke Feigenblatt der Regierung Schröder, wäre im Bundestag am liebsten persönlich dem Wüstling in die Arme gefallen, nur um zu sagen: Welch eine Schande, dass Deutschland nicht an vorderster Front mit dabei ist. Sie sagt nicht: bei der Neuaufteilung der Machtsphären, sie sagt: bei der Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ja, wenn sie doch konsequent wäre in ihrer Moral und in einem Atemzug eine ähnliche UN-Resolution auch für Saudi-Arabien, Bahrain und den Yemen fordern würde – da sind auch Despoten, die auf friedliche Demonstranten scharf schießen lassen und Forderungen nach freien Wahlen und einem parlamentarischen Regime geflissentlich überhören. Aber da ist Washington vor, das geht nicht, man muss ja Rücksichten nehmen…
In Libyen gibt es zwar ein UN-Mandat für den Krieg, er ist trotzdem völkerrechtswidrig: Denn Gaddafi, so erklärt Richard Falk, Sonderbeauftragter des UN-Menschenrechtsrates, ist immer noch im Amt, er ist nicht «total isoliert», wie Tom Koenigs, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im Bundestag behauptet. Er hat im Gegenteil seinen engeren Machtbereich so sehr unter Kontrolle, dass es den Aufständischen nicht gelungen ist, in dieses Revier einzubrechen. Das Land ist gespalten – das ist etwas anderes. Die jetzt Krieg führenden Staaten ergreifen Partei in einem Bürgerkrieg, das dürfen sie laut Völkerrecht nicht. Mit militärischen Mitteln intervenieren dürften sie nur, wenn es einen Genozid gegeben hätte, den gab es nicht.
Dann gibt es noch die, die sich ehrliche Illusionen machen, zwei an der Zahl:
Die Illusion, so ein Kampfbomber oder Marschflugkörper (der ist sogar unbemannt, die Amis gehen kein Risiko ein), wirft eine kleine, saubere Bombe schön abgezirkelt über Gaddafis Stellungen ab, nimmt ihm die Waffen weg und, haste nicht gesehn, ist der Mann entmachtet. Abrakadabra. Man kann das die Illusion in die Technik nennen, mit deren Kollateralschäden verhält es sich wie mit dem Restrisiko bei der Atomkraft. Bombardiert wird das dicht besiedelte Tripolis, Menschenrechtsorganisationen klagen jetzt schon über eine hohe Zahl an zivilen Opfern. Und natürlich ist «regime change» das Ziel – allen offiziellen Behauptungen zum Trotz, auch Gaddafis Residenz wurde bombardiert.
Die zweite ist die Illusion in die Täter, und jetzt schauen wir uns die Sache mal durch die Brille der Aufständischen an: Haben sie nicht die Flugverbotszone gefordert? Müssen wir ihnen nicht beistehen? Ja, wir müssen, sie hatten recht, sich gegen Gaddafi zu erheben, die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen hat sich nicht in Luft aufgelöst, nur weil imperialistische Mächte jetzt ins Geschehen eingegriffen haben. Aber mussten wir damit so lange warten, bis die Opposition in die Ecke gedrängt war und kurz vor ihrer Niederlage stand? Seit einem Monat ist der Bürgerkrieg im Gang, wo waren da die Konvois, die sie von Ägypten aus mit modernen Waffen versorgt hätten, als sie immer weiter nach Westen vordrangen? Kämpfer haben sie genug, haben die Rebellen immer wieder gesagt, es fehlen ihnen die Waffen. Da hat sich der Westen aber geziert: Wir wissen ja gar nicht, wer die Übergangsregierung ist… Und hat seelenruhig zugewartet, bis die Schlacht fast verloren war.
Den Krieg entscheidet, wer die Waffen führt. Hätten die Rebellen den Kampf bis zu Ende durchfechten können, hätten sie ihr weiteres Geschick allein bestimmt. Der Westen hätte ihnen mit Waffen geholfen, aber nichts dafür bekommen. Seit die Geschichte eine von Klassenkämpfen ist, gibt es so etwas nicht, gibt es keine selbstlose Hilfe aus «humanitären Gründen». Da ist das lange Zögern, das am Ende ein umso massiveres militärisches Aufgebot notwendig macht, kein Mangel an Moral oder Menschlichkeit, sondern ein nachvollziehbares Kalkül: Wenn du nicht mehr kannst, übernehm ich dein Spiel, ich trete in deine Fußstapfen, aber zu meinen Konditionen. Du hast nichts mehr zu sagen.
Die Aufständischen sind ihres Aufstands enteignet worden, man hat ihnen das Heft aus der Hand genommen. Um Gaddafi zu entfernen, natürlich. Aber auch deshalb, weil damit zum erstenmal die Seuche der arabischen Revolution gestoppt werden konnte. Von nun an marschiert die Konterrevolution.
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