Rainer Balcerowiak
Das demokratische Weinbuch
Augsburg: Mondo Communications, 2010
128 S., 14,95 Euro
von Dieter Braeg
Es gibt so Diskussionen in jenen Kreisen, Indiesemihremland, die sich große Sorgen machen, wie man nun den Spargel essen solle – mit Messer und Gabel, mit Spezialbesteck oder gar, ohpfui, mit den Händen. Menschen, die über solche und ähnliche Probleme schreiben, erzeugen dann Sätze wie: «Die Feinschmeckerei als Ausdruck einer hedonistischen Lebensweise gehört mittlerweile zum gängigen Lebensstil.» Ähh, geht‘s denn noch?
Rainer Balcerowiak, Redakteur der jungen Welt kann nicht nur das politische Tagesgeschehen kritisch und auf den Punkt gebracht kommentieren. Nein, er schreibt auch sehr pointiert Gescheites zum Wein. Menschen, die eine andere Gesellschaft wollen, das Wort «Kommunismus» ohne Scheu aussprechen können und dazu auch Kluges zu sagen haben, trinken gerne Wein, und da ist die leider viel zu selten erscheinende Kolumne von Rainer Balcerowiak in der jungen Welt immer wieder eine Freude, denn hier dokumentiert sich der Sieg des menschlichen Weingeistes über die in vielen Hochglanzmagazinen «schön geschriebene» Materie der Traube. Hier kämpft einer mit viel Erfolg gegen die endgültige Befreiung der Weinherstellung von der Rebe.
Es gibt so Standardweinbesprechungstexte, die dürfen nie fehlen, die lesen sich dann so: «Der eher kühle Jahrgang 2008 passt perfekt zur Sorte (Blaufränkisch/Rotwein). Ein Hauch Mineralik, gepaart mit den typisch saftigen Beerenaromen der Golser Rieden (eines der größten Weinanbaugebiete Österreichs im Burgenland), macht diesen Wein zu etwas Besonderem.»
Das «Besondere» ist, dass dieser in einem Nachrichtenmagazin besprochene Wein pro Flasche ab Hof 30 Euro kostet und man ihn, soll man dem «Genusstipp» Glauben schenken, zu «mit Gänseleber gefüllten Wachteln im Heu mit Essigzwetschken» trinken soll.
Fesch! Balcerowiak lüftet einmal kräftig durch, um dann ab Seite 19 mit dem «Versuch einer politischen Ökonomie des Weingenusses» einige «gängige Meinungen» zum Wein auf die Beine zu stellen. Da wird auch Karl Marx zitiert, der sich in Das Kapital mit den Problemen der Moselwinzer beschäftigte.
«So manche bei Discountern erhältliche Spätlese» für 1,99 Euro oder die im gleichen Preissegment angesiedelte Resteverwertung in Deutschland abgefüllter, nicht mehr hochpreisig mit Markennamen verkäufliche Überseeweine ist angesichts ihrer Qualität alles andere als «preiswert».
Wer beim Wein jenen üblichen «Auszeichnungen» vertraut, Medaillen auf dem Etikett braucht, auch sonst dem Weinwerbegesäusel verfällt, für den hat der Autor eine Erkenntnis:
«Ich trinke übrigens einen großartigen, preiswerten Landwein der Mosel. Keine Anerkennung als ‹Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete›, kein Prädikat, keine Medaille, keine Aromencheckliste im Prospekt. Auf dem Etikett steht ‹nur› der Name des Winzers (Stefan Steinmetz), die Rebsorte (Auxerrois), der Charakter (trocken) und der Jahrgang (2008). Laut deutschem Weingesetz könnte es eine mit einem nichtssagenden Lagenamen versehene Spätlese sein, und ein paar Medaillen und Siegel hätte er sicherlich auch abstauben können, doch Steinmetz hat sich das Geld für diese Schaumschlägerei gespart. Er ist in der glücklichen Lage, auf das Urteilsvermögen seiner Kunden vertrauen zu können. Aufgeklärte Weintrinker brauchen keine Medaillen.»
Weingenuss ist nix für Eliten, Wein soll das Volk trinken, guten Wein! Dabei vermittelt Balcerowiak eine ganze Menge Wissen zum anderem Umgang mit einem Getränk, das eine lange Geschichte hat, und da soll das Volk nicht Plörre trinken.
Hier wird dem Einheitsgeschmack der notwendige Tritt in den Hintern verpasst, Verbraucherin und Verbraucher bekommen endlich eine andere Sicht der Weinwelt vermittelt. Da schlägt der Autor zu, wenn er den drei «Geißeln der Menschheit», als da sind «Pseudo-Prosecco, Federweißer und Beaujolais Primeur» wenig Schmeichelhaftes zugesteht. Mensch sollte nicht nach dem «Großen Wein an und für sich» suchen, sondern nach optimalen und für jedermann erschwinglichen Trinkweinen für alle Jahreszeiten und kulinarischen Anlässe. Da braucht es keine Weinimporte aus Überseegebieten.
Balcerowiak bietet in diesem unterhaltsam und spannend geschriebenen Buch nicht herkömmliches Weinwissen. Hier gibt es auch für Linke was zu lernen: «So genannte Linke, die sich dem Genuss verweigern, können mir mal», denn was da oft bei Feten oder am 1.Mai an den Fresssständen angeboten wird, erfreut wenig! Klassenkampf und Revolution verträgt Genuss und gschmackigen Wein!
Wer das unterhaltsam vermittelt bekommen will, der wird nach der Lektüre sicherlich nicht nur ein wenig mehr über Weinwissen verfügen, natürlich demokratisches, sondern auch gelernt haben, einen guten von einem schlechten Wein zu unterscheiden, ohne dabei den unteren und mittleren Weinpreisbereich zu verlassen.
Erst lesen, dann Wein kaufen und trinken!
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