Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2011
Der Konflikt zwischen der IG Metall und den Alternativen Metallern
Ein Gespräch mit Vincenzo Sicilia und Erich Bauer von den Alternativen Metallern.
In der SoZ 3/2011 berichteten wir vom Disziplinarverfahren gegen oppositionelle Listen innerhalb der IG Metall. Wir riefen zur Solidarität mit den Kollegen der Alternativen Metaller bei der Daimler AG in Kassel auf. Gegen sie hat die IG Metall ein Untersuchungsverfahren wegen einer nicht autorisierten Liste für die Betriebsratswahlen angekündigt.
Um die Geschichte dieses Konflikts besser zu begreifen, hat Jochen Gester zwei Kollegen der Kasseler Alternativen Metaller um ein Interview gebeten.
Vincenzo Sicilia wurde bereits zu Beginn seiner Ausbildung 1974 erstmals zum Vertrauensmann gewählt.
Erich Bauer ist gelernter Energienanlagenelektroniker und arbeitet als Techniker und Meister fast ebenso lang im Betrieb.

Das Kasseler Werk der Daimler AG ist zentraler Standort für die Achsenproduktion in Europa und hat aktuell 2900 Beschäftigte, davon 1700 in der Fertigung.

Bereits in den 90er Jahren wurde in Kassel ein erstes Ausschlussverfahren eingeleitet. Nachdem dieses wegen Formfehlern scheiterte, gab es 2002 einen Neuanlauf mit dem Ergebnis, dass die Gründer der Liste, ein Teil der örtlichen IG Metall, die auch in die gewerkschaftliche Bildungsarbeit vor Ort eingebunden waren, ausgeschlossen wurden. Von den Mitgliedern dieser Gruppe, die danach für den Betriebsrat kandidierten,  sind jetzt noch drei in der IG Metall. Gegen sie läuft das aktuelle Verfahren. Zwei haben das bereits resigniert hingenommen. Übrig bleibt ein Kollege, der seinen Widerspruch formuliert hat und aufrecht erhält. Der Termin für das Zusammentreten des Untersuchungsausschusses steht nicht fest. Die IG Metall hofft wohl, dass auch der letzte Kollege das Handtuch wirft.

Bemerkenswert ist, dass der Betriebsratsvorsitzende, früher DKP-Vorsitzender von Kassel und einer der Gründer der Alternativen, jetzt als Hardliner bei der Verfolgung seiner ehemaligen Kollegen agiert. Die Mehrheitsfraktion wurde aufgeschreckt durch das BR-Wahlergebnis 2006, bei dem der 2002 ausgeschlossene Vincenzo Sicilia in einer Persönlichkeitswahl die meisten Stimmen bekam, 200 Stimmen mehr als der BR-Vorsitzende.
Was waren die Themen, an denen sich die Konflikte im Betrieb und innerhalb des Betriebsrats entzündeten und zuspitzten?

Vincenzo Sicilia: Wir wollten mehr Arbeit nach Kassel bringen. Es wurde zu viel nach außen verlagert. Ein weiteres Thema waren die Anträge, in der Montage drei Schichten einzuführen und Sonderschichten am Samstag. Die Geschäftsleitung wollte den Samstag als Regelarbeitstag und ein 17-Schichten-Modell durchsetzen. Wir wollten das nicht akzeptieren.

Erich Bauer: Dazu kam die Verschärfung der Taktzeiten. Dann ging es mit diesen Standortsicherungsverträgen los, in denen immer wieder erkämpfe Leistungen geopfert wurden. Denn auch bei Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen ging der Personalabbau weiter. Auch gab es immer mehr befristete Arbeitsplätze bis hin zur Leiharbeit. Für die Zauberformel «Erhalt der Arbeitsplätze» wurde das Letzte aufgegeben. Das war auch eine Kritik an der Globalisierung. Wir können uns ja nicht mit China vergleichen. Wenn ich betriebswirtschaftlich denke, habe ich verloren. Doch dieses Denken hat sich leider Gottes die IG-Metall-Mehrheit angeeignet. Wir haben ein Konzernbewusstsein entwickelt. Alle anderen sind Mitbewerber, Gegner.
Ein weiteres großes Thema war und ist natürlich ERA (Entgeltrahmenabkommen) und der Dienstleistungstarifvertrag.

Vincenzo Sicilia: Wir haben keine Angst, das ERA als Entgeltreduzierungsabkommen zu bezeichnen. Das bringt uns Sympathie und Zuspruch ein, und zeigt, dass wir nicht klein beigeben. Das gleiche gilt für den Dienstleistungstarifvertrag.

Erich Bauer: Mit dem wurde eine massive Spaltung der Belegschaft durchgesetzt. Es gab zwar eine Verpflichtung, diese Arbeitsplätze – Logistik etc. – nicht outzusourcen, aber die Arbeitsbedingungen wurden von denen der anderen Mitarbeiter entkoppelt und verschlechtert. Das wird von den Leuten nicht akzeptiert und nicht honoriert,  sie sind sehr deprimiert, resigniert, und viele von ihnen sind ausgetreten.

Vincenzo Sicilia: Als das mit den 17 Schichten angefangen hat, wurde auch der Bruch im Betriebsrat sichtbar. Das zeigte sich dann auch bei der Wahlen, bei denen auch der Kommunismus zum Dauerthema wurde.

Das war Thema vor und während der Wende. Ist das heute auch noch aktuell?

Erich Bauer: Ja, teilweise schon. Es wird immer wieder Angst gemacht wegen dieser Altkommunisten. Ich habe da nie dazugehört, ich bin, wenn überhaupt, eher ein Sozialist und habe damals alle Einladungen, zu den DKP-Parteitreffen zu gehen, ausgeschlagen. Doch heute hat mich Seidel (der Betriebsratsvorsitzende) ganz rechts überholt. Heute wird die Position, die ich damals vertreten habe, als Altkommunismus dargestellt.

Vincenzo Sicilia: Ich wollte auch nie in die DKP. Die einzige rote Fahne, die ich in meinem Leben bisher getragen habe, war die Ferrari-Fahne.

Wie geht ihr generell damit um in eurer Gruppe?

Erich Bauer: Als Arbeitnehmer bist du – sage ich mal in Anführungszeichen – links orientiert. Der eine oder andere hat ja noch ein Parteibuch. Ich bin noch in der SPD, war nur nie aktiv und bin eigentlich inhaltlich nicht mehr bei denen. Den Ruf eines Kommunisten, den wirst du sowieso nicht mehr los, wenn du links orientiert bist. Doch wir waren uns immer einig, uns nicht vor den Karren einer politischen Institution oder Partei spannen zu lassen. Das war auch nie ein ernstes Problem.

Vincenzo Sicilia: Wir hatten nie das Bedürfnis, uns irgendwo anschließen zu wollen, das war bei den Vorgängern in unserer Gruppe schon anders. Die sind ja immer noch bestrebt, uns dieses politische Denken aufzuzwingen. Doch wir sind nicht diese Politikfreaks. Wir handeln eher aus dem Bauch und dem Herzen raus. Natürlich gehört Politik dazu. Komischerweise sehen wir das alle so.

Erich Bauer: Ich will nicht irgendjemanden in eine bestimmte Richtung drängen, das wäre für mich eine Beeinflussung. Ich will eine Willensbildung und keine Beeinflussung.

Könnt ihr das noch ein wenig konkretisieren?

Erich Bauer: Wir wollen, dass die Kollegen über ihre eigene Situation nachdenken, sie dazu bringen, selber Positionen zu entwickeln.  Entscheidend ist, die Belegschaft mitzunehmen. Denn es betrifft immer sie. Das Überstülpen von Meinungen – das geht nicht. Dann ziehen sich die Leute zurück und sagen: Macht was ihr wollt!

Vincenzo Sicilia: Wir sind eigentlich die Kümmerer. Wir holen uns die Probleme der Leute ab und dann die Prügel dafür. Wir kriegen sehr viel mit und wissen viel mehr als die, die nur im Betriebsratsbüro sitzen. Deshalb können wir auch handeln. Das möchte die IG Metall gerne verhindern, was ihr aber nicht gelingt.

Was habt ihr für eine Einstellung gegenüber der IG Metall?

Vincenzo Sicilia: Wir sprechen uns ja niemals gegen die Gewerkschaft aus. Wir sind Gewerkschaftssympathisanten, wir wollen eine starke Gewerkschaft haben. Nur haben wir etwas gegen diese Funktionäre. Die vertreten uns ja auch nicht mehr.

Erich Bauer: Wir wollen, dass man in dieser ganzen Organisation der IG Metall eine Diskussion darüber führt, wie man generell mit Meinungen umgeht, die ein bisschen kritisch sind gegenüber der offiziellen Gewerkschaftsmeinung. Wenn das darauf hinausläuft, dass diese Meinungen dahingehend mundtot gemacht werden, dass man die Leute ausschließt, dann fehlt mir ein wenig der Glaube an das Demokratieverständnis dieser Vereinigung. Die ganze Gewerkschaftsbewegung, wenn man sie über Jahrzehnte, ja über Jahrhunderte hinweg betrachtet, hat doch davon gelebt, dass es verschiedene Meinungen und verschiedene Strömungen gab, diese eingefangen wurden und daraus neue Beschlüsse entstanden sind. Das geht verloren. Wir haben dann nicht das, wie man so schön sagt, «Bottom up»- (von unten nach oben) sondern das «Top down»- (von oben nach unten) Prinzip. Es geht nicht mehr darum, dass die Mitglieder sich eine Meinung bilden, sondern dass die Funktionäre eine Meinung vorgeben.

Vincenzo Sicilia: Was wir wissen, ist, dass es nicht mehr diese Art von Vertrauensleutesitzungen gibt, wie wir sie von früher kennen. Eine Diskussion wird schon gar nicht mehr zugelassen, weil aus der Diskussion sich ja Widerspruch ergeben könnte. Sehr viele Vertrauensleute, ja VK-Leiter, sind darüber frustriert. Auch die Listenplätze werden teilweise nicht von allen festgelegt, sondern zugeschanzt. Das kriegen wir mit. Früher, wenn wir Vertrauensleutesitzungen hatten, wir hatten annähernd 300 Vertrauensleute, war die Kantine immer voll (wir haben eine große Kantine). Jetzt ist es so, dass es schon viel ist, wenn von den 300 Vertrauensleuten 10% anwesend sind. Das ist eine Katastrophe, und die IG Metall unternimmt auch gar nichts dagegen. Denen ist das sogar angenehm, dass da nur so wenige kommen. Das ist ganz schlimm, und da frage ich mich: In welcher Demokratie lebe ich eigentlich? Das ist wie in einer Behörde, und eigenartigerweise wird das von jemandem angeführt, der früher immer gefordert hatte, es muss demokratisch zugehen und alle müssen mitziehen.

Macht in eurer Gruppe auch demnächst der Letzte das Licht aus? Wie sieht eure Zukunft aus?

Erich Bauer: Die Angst geht um. Natürlich ist es auch ein Problem, dass jeder, der sich zu uns bekennt, an den Rand gedrängt wird. Es gehört Mut dazu, bei uns zu sein. Wir bräuchten so ein akutes Thema wie die AKW-Problematik, wenn es so etwas wieder mal  innerhalb des Betriebes gäbe, könnten wir hoffen, dass sich die Situation ändert.

Wie sieht es denn bei den jungen Leuten aus?

Vincenzo Sicilia: Die Geschäftsleitung gibt sich große Mühe zu verhindern, dass nicht erneut Leute wie wir nachwachsen. Man versucht deshalb, sie schon früh an die Kandare zu nehmen. Auch die IG Metall ist hier nicht untätig. Die sagen den Jungen: Wir kümmern uns um euch. Wir sind es, die all die tollen Voraussetzungen für euch im Betrieb geschaffen haben. Das erzeugt Verpflichtung und Dankbarkeit.

Erich Bauer: Die Jungen haben ja auch keine Erfahrungen und sind zum Teil froh, wenn sie an die Hand genommen werden.

Vincenzo Sicilia: Nach Auftritten unserer Mitglieder bekommen wir aber auch schon mal Reaktionen wie: Eigentlich habt ihr ja recht. Doch dann werden die wieder gerade gerückt, und sie sagen uns dann: Wir brauchen die IG Metall, sonst kriegen wir keinen Vertrag nach der Lehre, oder andere Dinge.

Erich Bauer: So passt das, was das Unternehmen will, und das, was die Gewerkschaft will, gut zusammen: Ihr braucht euch um nichts zu kümmern, nur arbeiten, handelt nur nach dem, was wir euch sagen. So ein Verhalten erzeugt natürlich auch ein riesiges Problem in der Gesellschaft.

Vincenzo Sicilia: Mir geht es furchtbar gegen den Strich, wenn ich diese Duzgesellschaft sehe, wenn sich Betriebsräte mit Führungskräften der Unternehmensleitung duzen. Da reißt mir die Hutschnur, kommt Ekel hoch. Das ist so eine Friede-Freude-Eierkuchen-Gesellschaft.

Wie weit geht euer Einfluss in der Belegschaft?
Vincenzo Sicilia: Wir sind in der Belegschaft akzeptiert. Es ist eigentlich allen klar, dass es einen Gegenpol wie uns geben muss. Direkt unterstützt werden wir immer von 20–25% der Belegschaft. In den indirekten Bereichen ist es etwas niedriger, in der Produktion entsprechend höher.

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