von May Elmahdi
Am 7.April zogen erneut Hunderttausende (anderen Meldungen zufolge eine Million) nach dem Freitagsgebet durch die Stadt und warfen der Militärführung vor, sie sei «Teil des korrupten Regimes» gewesen und habe von Mubarak profitiert. Die Armee hat scharf geschossen, zwei Männer starben. Zwei Tage später strömten wieder Tausende auf den Tahrir-Platz.
Jahrzehntelang kämpften die Ägypter gegen das autoritäre Regime, unter dem das Land politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich stagnierte, Menschenrechte und Meinungsfreiheit systematisch verletzt wurden. Im Februar erreichten sie nach18 Tagen Volksaufstand und Protesten, die 365 Opfer forderten, das so lang Ersehnte: den Sturz des Diktators. Zu einer wirklichen Demokratie ist es jedoch noch ein weiter Weg.
Vor kurzem hat das Volk eine in Eile überarbeitete Verfassung angenommen. Die Übergangsregierung verabschiedete zudem ein neues Gesetz, das Proteste, die im privaten und öffentlichen Sektor zu Arbeitsniederlegungen führen, unter Strafe stellt. So wurde am 11.April ein ägyptischer Blogger wegen seiner Kritik an der Armee vor einem Militärgericht zu drei Jahren Haft verurteilt. Gegen eine Demonstration am Freitag, dem 8.April, für den sofortigen Prozess gegen den gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak und die alte korrupte Machtelite wegen Verbrechen, Amtsmissbrauchs und Menschenrechtverletzungen ging die Armee brutal vor – ein Demonstrant wurde getötet, zahlreiche weitere verletzt.
Vielen Ägyptern ist bewusst, dass der Weg zur Demokratie lang und zäh ist. Schon während der Revolution ließen sie sich nicht mit den «Anti-Protest-Pillen» des alten Regimes besänftigen: Auch nachdem Mubarak angekündigt hatte, dass er nicht für eine neue Amtszeit kandidieren werde, seinen Sohn von der Parteispitze entfernte, die Löhne für Arbeiter im öffentlichen Sektor um 15% erhöhte und ihnen eine feste Anstellung versprach, setzten sie ihre Proteste fort.
Als Mubarak gestürzt war und der Militärrat keinerlei Anstalten machte, die alte Machtelite zur Rechenschaft zu ziehen, gingen die Ägypter wieder auf die Straße und forderten einen Prozess gegen Mubarak, seine Söhne und die alte Elite, die Auflösung der Stadträte (Gemeindevertretungen) und der National-Demokratischen Partei, die das Land Jahrzehnte lang regiert hatte. Am Sonntag, den 10.April, forderten die Demonstranten den Sturz von Marschall Hussein Tantawi, den Vorsitzenden des Militärrats, denn nun ist auch die Armee im Visier der Kritik. Mubarak kam von der Armee und hat noch zahlreiche Anhänger in der Luftwaffe, die vom alten Regime profitieren. Die Armee spielt eine Schlüsselrolle in der ägyptischen Wirtschaft und ist nicht an einem tiefgreifenden politischen Wandel interessiert.
Doch die Protestierenden üben weiter Druck aus, um die Konterrevolution zu verhindern. Sie wollen einen Rechtsstaat mit intakten Institutionen und die komplette Beseitigung der Korruption. Das Militär, das diesen Wandel herbeiführen soll, wurde unter dem Druck der Demokratiebewegung gezwungen, entschiedener zu handeln. Erst nach den letzten Protesten wurden Mubarak und seine Söhne in eine 15-tägige Untersuchungshaft genommen und die seit 1978 alleinherrschende Partei der National-Demokraten aufgelöst.
Der Weg zu den Parlamentswahlen
Trotz dieser positiven Entwicklungen dank der friedlichen Demonstrationen, stehen dem Land noch viele Gefahren bevor: Im nächsten September sollen Parlamentswahlen stattfinden. In dieser kurzer Zeit können sich keine Parteien bilden und etablieren. Hier können nur die islamischen Kräfte an Boden gewinnen, weil sie durch ihre lange Erfahrung im politischen Leben sehr gut organisiert sind.
In einem Land, wo Notstandsgesetz und Versammlungsverbot jahrzehntelang das politische Leben bestimmten, waren die Moscheen die einzigen Orte, wo man sich versammeln, politische Meinungen äußern und Anhänger mobilisieren konnte. Zudem waren die islamischen Kräfte dort aktiv, wo der Sozialstaat versagte. 40% der Ägypter leben unter der Armutsgrenze, und viele von ihnen nutzen die sozialen Einrichtungen der Muslimbrüder.
Diese haben den bewaffneten Kampf in den 90er Jahre aufgegeben und wollen in nächster Zeit eine neue Partei gründen und am demokratischen Wandel teilhaben. In islamistischen Gruppen auf die herkömmliche Art nur ein Sicherheitsproblem zu sehen und ihren Ausschluss aus dem politischen Leben zu fordern, würde sie lediglich radikalisieren. Dennoch müssen sie zeigen, inwieweit sie im Rahmen demokratischer Grundsätze agieren können. Ihre Verurteilung der Kandidatur von Kopten und Frauen für das Präsidentenamt und der Ausschluss von Bürgern wegen ihrer Religions- und Geschlechtszugehörigkeit ist menschenrechtswidrig und diskreditiert sie; sie bestätigen damit Sorgen der säkularen Kräfte, die eine Übergangsphase von zwei Jahren bis zu den nächsten Wahlen fordern.
Man darf nicht die wirtschaftlichen Aspekte außer Acht lassen, die zur Revolution beigetragen haben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass autoritäre Regime keine Garanten für eine florierende Wirtschaft sind und dass sich unter einer trügerischen Stabilität eine explosive Kraft entwickelt. Nur demokratische und politische Stabilität kann der Wirtschaft zum Erfolg verhelfen. In Ägypten wird die Errichtung der Demokratie allein jedoch nicht ausreichen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die hohe Arbeitslosenquote von 25%, das enorme Bevölkerungswachstum von jährlich 2%, die hohe Analphabetenrate von 27%, die schlechte Infrastruktur des Landes und der Abzug ausländischer Investitionen nach den jüngsten Ereignissen werden in den nächsten Jahren das Wirtschaftswachstum eher bremsen. Langfristig aber wird die Errichtung der Demokratie, die Schaffung von Transparenz, die Bekämpfung der Korruption und der Willkür des bürokratischen Staatsapparats zu einer positiven Entwicklung der Wirtschaft beitragen.
Fest steht, dass dem Land noch ein schwieriger politischer und gesellschaftlicher Prozess bevorsteht. Doch unabgängig von den derzeitigen und künftigen Machtverhältnissen und politischen Entwicklungen steht fest: Die Ägypter sind für ihre Rechte auf die Straße gegangen und haben ihre Angst überwunden. Sie gaben sich nicht mit einer halben Revolution zufrieden und werden sich auch nicht mit einer halben Demokratie zufrieden geben.
Der Kampf geht weiter, über die Politik und die Zukunft des Landes entscheiden nicht mehr korrupte Staatsleute in ihren Elfenbeintürmen unter Ausschluss des Volkswillens, sondern die einfachen Bürger auf der Straße – und dies wird auch die Zukunft des Landes bestimmen.
May Elmahdi lebt seit 2006 in Deutschland und arbeitet als freie Autorin für verschiedene arabische Medien.
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