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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2011
Hände weg vom Arbeitsrecht!
von Norbert Kollenda

Am 22.März fand eine Solidaritätskundgebung mit den Krankenschwestern vor dem polnischen Parlament (Sejm) in Warschau statt, daran nahmen einige hundert Personen teil. Gleichzeitig erklärten fünf der im Sejm protestierenden Krankenschwestern, dass sie in den Hungerstreik treten.
Neun Tage und Nächte besetzten Krankenschwestern der Gewerkschaft der Krankenschwestern und Hebammen (OZZPiP) die Galerie des Sejm – einige traten sogar in den Hungerstreik. Gespräche mit der Ministerin für Gesundheit, Korpacz, der Ehefrau des Staatspräsidenten und anderen Persönlichkeiten führten zu keinen Ergebnissen.
Nach neun Tagen wurde der Protest abgebrochen. Wie eine Teilnehmerin erklärte, sei diese Regierung es ihr nicht wert, durch weiteren Hunger gesundheitlichen Schaden zu erleiden.

Das polnische Parlament hatte am 18. März 2011 ein Gesetz beschlossen, nachdem Krankenschwestern auch auf Grundlage des Zivilrechts, dem sog. «Kontrakt», eingestellt werden können, das entspricht in etwa einer Ich-AG, die bei uns propagiert werden. Bisher galt diese Regelung nicht für Pflegekräfte im stationären Dienst. Wie Kommentatoren der Gazeta Wyborcza – die einmal aus der Solidarnosc entstanden ist –, aber auch die Ministerin für Gesundheit, Korpacz, meinen, wird den Beschäftigten damit die freie Wahl gelassen, auf der Grundlage des Zivil- oder des Arbeitsrechts eingestellt zu werden. Das entspreche der polnischen Verfassung und demokratischen Grundsätzen, die Beschäftigen sollten nicht bevormundet werden, so die Ministerin. Die Zeitung weist zudem darauf hin, dass nach der Privatisierung bzw. die Kommerzialisierung der Kliniken den Eigentümern mehr Spielraum gegeben werden müsse, damit sie die Kliniken finanziell gut absichern können. Somit hätten sie auch die Möglichkeit, mit dem Personal flexibler umzugehen.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft der Krankrenschwestern und Hebammen, Dorota Gardias, ist hingegen der Auffassung, dass im Bereich der stationären Pflege dieses Konstrukt der Versorgung der Patienten schaden wird. Denn eine Begrenzung der Arbeitszeit gebe es nicht, und ihnen stehe auch kein Urlaub zu, dies führe zur Überbelastung der Schwestern zu Ungunsten der Patienten. Auch bestünde eventuell die Gefahr, dass festangestellte Schwestern zu Kontrakten genötigt würden. Sie betont darüber hinaus, ihrer Auffassung nach seien allein die Krankenschwestern in den Kliniken betroffen, nicht auch andere Berufsgruppen.

Der Landesverband der Gewerkschaft Arbeiterinitiative hat sich mit den protestierenden Krankenschwestern solidarisiert. Er sieht in dem Gesetz eine Gefahr für die Rechte der Arbeitnehmer und auch für die Bürgerrechte. Damit würde die Regierung einen Präzedenzfall schaffen, der allerdings in der Praxis bereits angewendet würde. In der Praxis gebe es keine Begrenzung der Anzahl der Arbeitsstunden und keinen Anspruch auf Urlaub und freie Tage mehr. In der Praxis habe sich gezeigt, dass diese Form der Beschäftigung allein den Arbeitgebern diene und den Beschäftigten ihre Rechte raube.
Die Gewerkschaft Arbeiterinitiative ist der Auffassung, dass nur der gemeinsame Kampf aller Beschäftigten gegen die Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte zu einem Erfolg führen kann. Das Arbeitsrecht muss für alle Beschäftigten gelten, in allen Branchen.

Auch der Ärzteverband hat betont, eine Beschäftigung von Krankenschwestern in Kliniken auf der Grundlage von sog. Kontrakten sei unsinnig. Hier gehe es vielmehr darum, rund um die Uhr mit Engagement und Professionalität Kranke zu betreuen. Die Beschäftigung nach dem Zivilrecht bringe den Kolleginnen vordergründig zwar mehr Geld, aber die fehlende soziale Absicherung würde sich auch subjektiv auswirken, weil an den Versicherungen gespart würde. Die Regierung müsse vielmehr die Löhne erhöhen oder die Sozialabgaben minimieren, damit das Nettogehalt höher wird.

Warum hat die OZZPiP nur die Krankenschwestern im stationären Bereich im Blick und nicht die grundsätzliche Gefahr für Beschäftigte? Nun ja, die OZZPiP gehört zum Forum der Gewerkschaften, und das Forum der Gewerkschaften gehört, wie die Solidarnosc und die ehemalige Staatsgewerkschaft OPZZ, zu den etablierten Gewerkschaften, die zusammen mit Unternehmern und Regierungsvertretern am Tisch sitzen dürfen. (In Polen gibt es tri-, nicht bilaterale Gespräche.)

Sie verlieren immer mehr ihre Basis aus dem Auge und haben dafür die netten Arbeitgeber und Regierung im Auge. Und kämpferische Gewerkschaften wie die Arbeiterinitiative und August ’80, werden an den Rand gedrängt, wenn nicht gar bekämpft, oft gar von allen drei Seiten.

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