Christian Haasen, Hamburg
Hat die libysche Bevölkerung das Recht, von imperialistischen Nationen Hilfe im Kampf gegen Gaddafi zu fordern?
In der Diskussion um den Einsatz der NATO in die militärische Auseinandersetzung gegen Gaddafi und seine Söldner gibt es eine Polarisierung, die die Gefahr birgt, Prinzipientreue vor eine konkrete Analyse der spezifischen Situation zu stellen.
In der Beteiligung der NATO sehen viele Linken ausschließlich eine zielführende imperialistische Einmischung zum Zwecke der Sicherung von Ölquellen. Der NATO-Angriff wird dann das primäre Ziel linker Kritik, die Auseinandersetzung zwischen vermeintlichen Rebellen und Gaddafi-Anhängern wird zum Bürgerkrieg erklärt, die Berichterstattung der «bürgerlichen» Presse über den fortschrittlichen Charakter der Rebellen wird in Frage gestellt. Einige Linke gehen sogar soweit (auch gefördert von Kommentaren wie denen von Fidel Castro) und erklären Gaddafi zum eigentlichen Antiimperialisten. Die Realität ist leider jedoch etwas komplexer und es lohnt sich, einige Aspekte der Diskussion etwas genauer zu analysieren.
1. Fangen wir mit der wohl eindeutigsten Frage an, ob Gaddafi als Anti-Imperialist bezeichnet werden darf. Will man ihn heute als Antiimperialisten bezeichnen, reicht es nicht, dass er vor über 50 Jahren fortschrittliche Positionen vertrat. In den letzten zehn Jahren hat Gaddafi alle möglichen kapitalistischen Großkonzerne ins Land geholt, hat Bush und Blair indirekt beim Irakkrieg durch eine Verzichtserklärung auf Atomwaffen unterstützt und hat für das Bollwerk Europa eine wichtige polizeiliche Position in der Abwehr von afrikanischen Migranten übernommen. Der Feind meines Feindes ist nicht automatisch mein Freund.
2. Sehr viel komplizierter ist die Bewertung der militärischen Einmischung der NATO als rein imperialistische Einmischung zum Zwecke der Sicherung der Ölquellen. Selbstverständlich hätte die NATO-Militäraktionen nicht stattgefunden, wenn dadurch das Gegenteil erreicht worden wäre. Es ist jedoch falsch, die Sicherung des Öls als das primäre Ziel der NATO, oder der imperialistischen Nationen, darzustellen. Der Imperialismus hätte viel lieber einen Status quo in der arabischen Welt, auch in Libyen, gesehen – Gaddafi wurde noch vor wenigen Jahren von Condoleezza Rice als Modell für die arabische Welt bezeichnet, die Geschäfte mit Libyen liefen prächtig, und nicht ohne imperialistische Hintergedanken entstand die Männerfreundschaft zwischen Gaddafi und Berlusconi.
Die UNO, und dann die NATO, wurden aber von der bürgerlichen Weltöffentlichkeit gezwungen, etwas gegen die Brutalität des Gaddafi-Regimes zu unternehmen. Das primäre imperialistische Interesse an einer Kontrolle der libyschen Ölfelder durch das Gaddafi-Regime musste ersetzt werden durch eine noch ungewissen Kontrolle der Ölfelder via Unterstützung einer möglicherweise bürgerlichen künftigen libyschen Regierung. Es war die Weltöffentlichkeit, die ein Ende der Brutalität des Gaddafi-Regimes forderte und nicht zulassen wollte, dass die libyschen Rebellen durch Gaddafis Söldnerarmee massakriert werden. Den imperialistischen Staaten blieb nichts anderes übrig, als dieser Forderung nachzukommen. Deutschlands Enthaltung im UN-Sicherheitsrat wurde nicht von imperialistischen Strategen, sondern von der bürgerlichen Mehrheit der deutschen Bevölkerung kritisiert. Imperialistische Strategen, z.B. Rechte in den USA, haben eher vor der Intervention gewarnt, da sonst in Zukunft eine Flugverbotszone auch über Israel/Gaza und andere Gebiete gefordert werden könnte – genau das sollten wir nämlich jetzt fordern!
3. Arbeitet die «bürgerliche» Presse nur im Interesse des Imperialismus, und muss somit die Berichterstattung über die Verhältnisse in Libyen in Frage gestellt werden? Einige Sendern, vor allem CNN und BBC, gehen eindeutig auf die imperialistischen Interessen ein und stellen sie dem Streben nach Menschenrechten und Freiheit gegenüber. Es gibt aber kaum eine Differenz zwischen bürgerlichen Medien und anderen, auch gerne mal vom Imperialismus bekämpften Medien (z.B. Al-Jazeera), bis auf die (einzige) Ausnahme der Gaddafi-nahen libyschen Medien. Die amateurhaften Aufnahmen aus Libyen, die im Internet noch vor Beginn des Interesses der bürgerlichen Medien auftauchten, zeigen ebenfalls die Brutalität des Gaddafi-Regimes und seiner Söldner gegen friedliche Demonstrationen in allen Städten Libyens.
Diese Demonstrationen wurden im Westen Libyens, vor allem in der Hauptstadt Tripolis, im Keim erstickt, während es im Osten Libyens dank der vielen, die mit dem Regime brachen, zu einer temporären Befreiung aus den Klauen Gaddafis kam. Die nun selbsternannten Führer im Osten Libyens sind, wenn auch nicht demokratisch legitimiert, größtenteils politische und intellektuelle Dissidenten, die teilweise wegen ihres Eintreten für Demokratie und Menschenrechte viele Jahre in Gaddafis Kerkern verbrachten. Ihr Programm basiert auf drei Prinzipien: politische Freiheit, Menschenrechte, freie Wahlen – Forderungen, die derzeit in allen arabischen Bewegungen zu hören sind. Wie können wir als Linke diese Bewegung in Libyen nur als eine Partei in einem Bürgerkrieg abtun und ihre Legitimität in Frage stellen?
Unsere Analyse muss ausgehen von der Situation der libyschen Bevölkerung und ihren Forderungen. Ist die Forderung nach Verteidigung durch imperialistische Staaten, um ein militärisches Abschlachten zu verhindern, berechtigt?
Ich denke schon. Hätte es eine Alternative zu den NATO-Angriffen gegeben? Waffenlieferungen hätten weniger imperialistische Einmischung bedeutet, wären aber in den verbleibenden 24 Stunden nach der UN-Resolution 1973 nicht durchführbar gewesen.
Die NATO-Angriffe haben nun das Ziel der Verteidigung erfüllt, jede weitere Einmischung der NATO muss ganz klar bekämpft werden. Die Resolution 1973 muss politisch kritisiert werden, weil sie gerade eben nicht die Grenze zwischen der Verteidigung libyscher Zivilisten und weitergehenden militärischen Zielen zieht. Diese Aufgabe muss die Linke übernehmen und gegen weitere militärische Ziele der NATO in Libyen demonstrieren.
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