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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2011
Bericht von der Tagung der Initiative zur Verteidigung der Gewerkschaftsrechte
von Jochen Gester
Noch weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit geht die Verschärfung der Krise mit systematischen Angriffen auf die gewerkschaftlichen Rechte einher.
Am Wochenende des 1.Mai lud die Initiative zur Verteidigung der Gewerkschaftsrechte in Berlin zu einem Treffen mit Gewerkschaftsaktivisten aus den Nachbarländern Polen, Italien, Spanien und Frankreich ein. Obwohl die Veranstaltung selbst, wohl vor allem durch das große Angebot von Aktionen zum 1.Mai, nur eine kleine Zahl Interessierter anzog, vermittelte sie einen guten Überblick darüber, wie derzeit die gewerkschaftliche Bewegungsfreiheit von den Herrschenden in Europa angegriffen wird.

Eine erste und sehr wirksame Methode ist die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, die es erschwert, gewerkschaftliche Strukturen zu entwickeln. Die polnischen Kollegen berichteten, dass es vielen Beschäftigten nicht gelingt, länger als ein halbes Jahr am gleichen Arbeitsplatz zu bleiben, in bestimmten Bereichen sind es nicht einmal mehr als drei Monate. Der entdeckte Versuch, sich dagegen gewerkschaftlich zu organisieren, endet oft mit der Kündigung.

Alle drei anwesenden polnischen Aktivisten sind bereits einmal, oder mehrmals, wegen ihrer Gewerkschaftstätigkeit fristlos entlassen worden. Die Gewerkschaft August ’80 ist deshalb dazu übergegangen, sich auf den Aufbau von Wohngebietsstrukturen zu konzentrieren, die dann wieder in die Betriebe zurückwirken.

In wachsendem Maße wird auch versucht, Beschäftigte aus Arbeitsverhältnissen zu entfernen, die dem Arbeitsrecht unterliegen. Sie werden sie dann als scheinselbstständige Marktakteure wieder eingestellt, für die nur noch das Zivilrecht (das Bürgerliche Gesetzbuch) gilt – aktuell lässt sich das gerade am Beispiel der sich wehrenden polnischen Krankenschwestern verfolgen.

Eine zweite Methode besteht darin, gewerkschaftliche Organisationen mit Strafverfahren zu überziehen. So versucht die französische Justiz Basisaktivisten, die an Blockaden während des Streiks gegen die Rentenreform teilgenommen haben, mit Strafverfahren zu überziehen. Ein besonders krasses Opfer dieser Methode ist die andalusische Landarbeitergewerkschaft SAT, die, teils durch fingierte Anklagen – z.B. wegen unerlaubten Eingriffs in den Straßenverkehr – zur Zahlung von insgesamt 400.000 Euro Bußgeldern verurteilt wurde, die sie nicht zahlen kann.

Es gibt aber auch Angriffe auf das Recht von Gewerkschaften, die Beschäftigten zum Streik aufzurufen und diesen zu organisieren. Dies geschieht auf zweierlei Weise. Zum einen werden neue Hürden in Form eines geforderten Mindestorganisationsgrads aufgebaut. Ein Gesetzesentwurf der italienischen Regierung fordert 20%.

Zum anderen wird die Wahrnehmung des Streikrechts an die Einhaltung von Vorankündigungsfristen gebunden – in Italien sind das z.B. 12 Tage. Andere Gewerkschaften dürfen in dieser Zeit nicht streiken. Gelbe oder konkurrierende Gewerkschaften haben so die Möglichkeit, zum Schein einen Streik anzukündigen um zu verhindern, dass andere tatsächlich streiken.

Ähnliche Entwicklungen gibt es auch im öffentlichen Sektor in Frankreich. Hier sollen die Gewerkschaften zudem sicherstellen, dass eine Notbesetzung der Dienste in einem Umfang erfolgt, dass Arbeitsniederlegungen ihre Wirkung verlieren.

In Italien ist bereits von einem «virtuellen Streik» die Rede, bei dem offiziell gestreikt, in Wirklichkeit aber weiter gearbeitet wird. Er bildet auch den Kern einer Klausel des Vertrags, den FIAT den Gewerkschaften aufgezwungen hat. Sie verpflichtet die Gewerkschaft, bei Arbeitsniederlegungen dafür Sorge zu tragen, dass die Produktion nicht gefährdet wird. Der Unternehmerverband Confindustria möchte diese Regelung in der gesamten Industrie einführen.

Ein viertes Instrument ist die «Wisconsin-Methode». Um Widerstände gegen die Abwälzung der Krise auf die Beschäftigten aus dem Weg zu räumen, wird das Koalitionsrecht einfach suspendiert. Statt Verhandlungen mit den Gewerkschaften gibt es Regierungsdekrete, wie es die italienische Regierung auch schon versucht hat.

Die Teilnehmenden des Treffens haben vereinbart, die Ergebnisse der Konferenz zu dokumentieren. Sie sollen in allen vier Sprachen auf der Webseite des europäischen Netzwerks der Basisgewerkschaften verfügbar sein. Es werden weitere Veranstaltungen in Berlin, Hamburg und Köln folgen, auf denen Vertreter der spanischen SAT über ihre Arbeit und die staatliche Verfolgung berichten werden, der sie ausgesetzt sind. Am 10.September wird es in Kassel ein bundesweites Treffen von deutschen Gewerkschaftern geben, auf dem sie beraten, wie der Kampf gegen die drohende Gesetzesinitiative zur «Tarifeinheit» weitergeführt werden kann.

 

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