von Boris Schultz
Der Dioxin-Skandal im letzten Winter hat die Bevölkerung aufgerüttelt. Es war nicht der erste Skandal dieser Art in der Landwirtschaft. Auf der Demonstration «Wir haben es satt» im Januar waren über 22000 Teilnehmenden. Sie wollen keine verseuchten Lebensmittel und keine umweltzerstörende Landwirtschaft mehr.
Die gemeinsame Agrarpolitik der EU soll nun reformiert werden. Was ist angedacht und werden die Reformen die notwendige Agrarwende herbeiführen?
Die sog. Luxemburgischen Beschlüsse, Ergebnis der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Jahre 2003 und 2004, haben die Agrarpolitik grundlegend verändert. Statt Prämien für bestimmte Produkte, wie Weizen und Speisekartoffeln, oder der Bullen- oder Mutterkuhprämie gibt es nun Direktzahlungen pro Hektar, unabhängig vom Produkt, das nennt sich Entkopplung.
Die Direktzahlungen sind an die Einhaltung von Standards gebunden, die in 19 EU-Verordnungen und -richtlinien beschrieben sind und die Bereiche Umweltschutz, Lebensmittel- und Futtersicherheit, tierische Gesundheit und Tierschutz sowie Vorschriften zur Erhaltung von Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand betreffen.
Letzteres meint z.B. Maßnahmen zur Vermeidung von Erosion oder Erhalt der organischen Substanz im Boden. Außerdem sollen Landschaftselemente wie Hecken, Baumreihen usw. erhalten bleiben.
Die Direktzahlungen wurden gekürzt, Markt- und Preissubventionen weiter abgebaut. Der ländliche Raum soll gefördert werden – durch Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft, Modernisierung der landwirtschaftlichen Infrastruktur, Verbesserung der Umwelt und der Landschaft, Agrarumweltmaßnahmen, Tierschutz und Wasserschutz, Lebensqualität im ländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft, z.B. durch Förderung des Fremdenverkehrs oder Dorfverschönerungsmaßnahmen.
Grundsätzlich wurde die Agrarförderung in zwei Säulen aufgeteilt: die erste beinhaltet die Direktzahlungen und die Maßnahmen zur Markt- und Preisstützung. Diese wird komplett aus dem EU-Haushalt finanziert. Die zweite, und das war zu dem Zeitpunkt neu, ist die Förderung des ländlichen Raums. Sie wird zusätzlich von den Regionen kofinanziert.
Entkopplung
Die Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion ist nicht unproblematisch. Denn sie bewirkt, dass nur das angebaut wird, was sich wirtschaftlich für die Landwirte lohnt und wofür es einen Markt gibt. Dies führte u.a. zum weiteren Rückgang des Anbaus von Eiweißpflanzen, Leguminosen (Erbsen, Bohnen, Lupinen usw.) Der Import von (genmanipuliertem) Soja aus Brasilien und anderen Staaten ist für die Futtermittelindustrie günstiger, und so gibt es keinen Markt.
Auch der Roggenanbau in Deutschland ging zurück. Neben dem fehlenden Markt hängt das auch damit zusammen, dass die EU den Roggen nicht mehr aufkauft. Weizen bringt auf dem Weltmark mehr Erlös als Roggen, der aber gerade auf ärmeren Böden, wie Sand, gut wächst.
Die Entkopplung ist von der industriellen Landwirtschaft mit ihren großen Flächen und ihrem Rationalisierungspotenzial leichter zu verkraften als von den Kleinbauern. Damit ist das große Problem benannt.Die Bindung der Direktzahlungen an die Einhaltung von Standards (Cross Compliance) geht in eine richtige Richtung, jedoch sind die Vorschriften viel zu weich, als dass sie den ökologischen Landbau wirklich fördern würden. Über soziale Anforderungen, wie z.B. ein Mindestlohn, schweigt sich die EU vollends aus.
Katastrophale Auswirkungen hat das schrittweise Auslaufen der Milchquote bis zum Jahr 2015. Die Milchbauern versuchen jetzt, immer mehr Milch immer günstiger zu produzieren und sparen u.a. eben auch am Futter.
Die Förderung der Konzerne
Die Exportförderung der EU steht jetzt auf dem Index. Sie hatte zu Dumpingexporten geführt, mit negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft der Zielländer. Doch auch wenn die direkte Exportförderung durch die EU nicht mehr so eine große Rolle spielt, gibt es noch jede Menge nationale Mechanismen, den Export zu fördern (siehe dazu auch das Gespräch mit Reinhild Bending in SoZ 2/11).
Dazu gehören auch Direktzahlungen an die Agrar- und Lebensmittelkonzerne. Sie versetzen sie in die Lage, unter Weltmarktpreisen zu produzieren. So werden jene Dumpingpreise möglich, welche für die regionale Landwirtschaft und die Kleinbauern in den Ländern der Dritten Welt ein so großes Problem darstellen.Die bisherigen «Reformschritte» der GAP haben keine Agrarwende herbeigeführt. Das war auch nicht ihr Ziel. Von der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik profitieren ausschließlich Großbetriebe und Konzerne.
Bis 2013 soll die GAP vollständig neu verhandelt sein. Bis jetzt gibt es keine konkreten Ergebnisse. Jedoch sind Vorschläge der EU-Kommission bekannt. Sie definiert drei Ziele: 1. Rentable Nahrungsmittelerzeugung, 2. nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und Klimaschutzmaßnahmen sowie 3. die Erhaltung der räumlichen Ausgewogenheit und der Vielfalt der ländlichen Gebiete.
Im Rahmen dieser Zielsetzungen erwägt sie, folgende Bedingungen für Direktzahlungen aufzustellen: Allen Landwirtinnen einer Region wird eine Grundsicherung der Einkommen gewährt durch eine einheitliche, entkoppelte Basis-Direktzahlung. Die Zahlungen an Großlandwirte werden unter Berücksichtigung der entlohnten Arbeit gedeckelt.
Die GAP soll eine Ökologisierungskomponente erhalten, um die Umweltleistung zu verbessern. Hierbei könnte es sich um einfache, allgemeine, nicht vertragliche, jährliche, über die Bindung der Direktzahlungen an die Einhaltung von Standards (Cross Compliance) hinausgehende Umweltmaßnahmen in der Landwirtschaft handeln – z.B. Dauergrünland, Gründecke, Fruchtfolge, ökologische Flächenstilllegung. Ferner soll die nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft an Grenzstandorten wie Hochgebirgsregionen, Überschwemmungsgebieten usw. dadurch gefördert werden, dass sie ergänzend zur 2.Säule eine Flächenzahlung erhalten.
Weiterhin darf in bestimmten Regionen eine gekoppelte Unterstützung innerhalb klar definierter Grenzen gewährt werden, wenn aus wirtschaftlichen bzw. sozialen Gründen bestimmte Formen der Landwirtschaft als besonders wichtig eingestuft werden. Außerdem sollen die Cross-Compliance-Bestimmungen vereinfacht werden, ohne sie aufzuweichen.
Bei den marktunterstützenden Maßnahmen ist bis jetzt nicht viel Konkretes bekannt. An der Marktorientierung will die GAP festhalten. Mögliche Anpassungen wären eine Verlängerung des Interventionszeitraums, die Anwendung von Störklauseln und die Ausweitung der privaten Lagerhaltung auf andere Erzeugnisse. Neben der Milchquote laufen 2014/15 auch die Quotenregelungen für Zucker und Isoglucose aus. Hier ist ein sanfter Übergang für die Zeit danach geplant. Der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfungskette soll steigen.
Bei der ländlichen Entwicklung sollte stärker als bisher auf Umwelt, Klimawandel und Innovation gesetzt werden. Erwünscht ist der verstärkte Zuschnitt der Umweltmaßnahmen auf den besonderen Bedarf der Regionen und der lokalen Gebiete (z.B. Natura-2000-Gebiete und Gebiete mit hohem Naturwert). Förderungswürdig sollte ebenfalls der Ausbau von Direktverkäufen und lokalen Märkten sein.
Die Direktzahlungen und die marktbezogenen Maßnahmen verbleiben in der 1.Säule, während die Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung, welche langfristige Maßnahmen sind, weiter die 2.Säule bilden.Wie das alles mit welchen Maßnahmen genau umgesetzt werden soll, ist derzeit noch in der Diskussion. Im Gespräch sind drei Politikoptionen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
Keine Agrarwende
Festzustellen ist aber, dass all diese Maßnahmen in eine grünere Richtung gehen, was zu begrüßen ist. Dennoch bilden sie definitiv noch lange nicht die dringend erforderliche Agrarwende. Zwar soll die Förderung von Großbetrieben gedeckelt werden, aber sie werden halt nach wie vor gefördert, und damit auch die exportorientierte Agrarwirtschaft mit all ihren negativen Auswirkungen. Es ist auch gut, dass Klimaschutzmaßnahmen und lokale Märkte gefördert werden. Aber das alleine schafft auch keine Agrarwende.
Es fehlen z.B. konkrete Richtlinien, wie der ökologische Landbau gefördert werden kann. Dabei wäre dies eigentlich über die Bindung der Direktzahlungen an Standards problemlos möglich. Die Ökobasisverordnung 834/2007 nennt Richtlinien zum ökologischen Landbau, die durchaus für die Gewährung von Direktzahlungen herangezogen werden könnten. Dadurch würden auch die Verbraucherpreise günstiger. Aber dies würde ja praktisch einem Verbot der Förderung der industriellen Landwirtschaft und der Agroindustrie in Europa gleichkommen und ist mit den neoliberalen Vorgaben der EU nicht vereinbar.Auch fehlen jegliche Vorschläge, wie die prekäre Lage der Landarbeiter verbessert werden kann.
Innerhalb der EU ist eine Wende hin zu einer sozialen, umweltverträglichen und gerechten Landwirtschaft so gut wie gar nicht durchsetzbar. Denn die großen Bauernverbände, wie der Deutsche Bauernverband, vertreten nur die industrielle Landwirtschaft; sie üben mit ihren Verbindungen zu den Parteien einen sehr großen Einfluss in der EU aus und setzen auf diese Weise ihre Interessen weitestgehend durch. Sie wollen ihre Profite ja nicht geschmälert sehen.
Die Rede vom «umweltverträglichen Wachstum» im Papier der EU-Kommission zur zukünftigen GAP umschreibt das ganze Dilemma am besten. Diese Vorgabe bestimmt die Ausrichtung aller Maßnahmen und leitet die Interessen. Eine ökosoziale Agrarwende ist mit den Mitteln der GAP nicht möglich.
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