von Angela Huemer
Die Leute von Filminitiativ erwerben sich seit Jahren große Verdienste für ihre unermüdliche Verbreitung des afrikanischen Kinos. Mitglieder des Kollektivs reisten im Oktober zu den 23.Kinotagen von Karthago, Tunesien, und im Dezember zum 34.Internationalen Filmfestival von Kairo – also jeweils unmittelbar vor den Revolutionen.
Die warfen ihre Schatten schon voraus – bei so manchem Film gab es demonstrativ Szenenapplaus.Dies war insbesondere bei einem Film der Fall, der im Mai in Köln zu sehen war, Le voyage à Alger (Die Reise nach Algier), eine arabisch-französische Koproduktion des Regisseurs Abdelkrim Bahloul aus 2010. Der Film spielt im Jahr 1962, kurz nach Ende des Befreiungskrieges in Algerien. Die Witwe eines von den Franzosen erschossenen Befreiungskämpfers, die selber aktiv war und durchreisende FLN-Kämpfer unterbrachte und versorgte, erhält von einem französischem Kolonialbeamten, der die Exekution ihres Mannes erlebt hatte und nach Frankreich zurückgerufen wird, sein Haus. Der korrupte Polizeichef des Ortes, der mit den französischen Kolonialherren kollaboriert und jetzt die Seiten gewechselt hat, beansprucht das Haus jedoch für sich. Die Witwe wehrt sich. Sie fährt bis in die Hauptstadt, um ihr Anliegen Staatspräsident Ben Bella vorzutragen. Mit ihr reist ihr 11-jähriger Sohn, denn sie ist Analphabetin.
Der Film ist wie eine Parabel aufgebaut und zeigt die Verwerfungen des Übergangs von der Revolution zum neuen Staat. Im Programmheft erfährt man, bei der Szene, in der die Witwe dramatisch die Korruption von Staatsbeamten und den Verrat der Unabhängigkeit durch selbstsüchtige Funktionäre anprangert, sei auf dem Festival in Tunis spontan applaudiert worden – der Film erhielt zudem den Zuschauerpreis.
Augenzeugenberichte der Revolution
Die Filmemacher waren auch zu einer Diskussionsveranstaltung über die jetzigen Revolutionen in Nordafrika eingeladen, dabei wurden kurze Collagen und Animationsfilme gezeigt, vor allem aber viel und ausführlich erzählt, wie es war.
Refka Ben Ali, die in Paris Schauspiel und Bildjournalismus studiert hat und für Radio France Inter arbeitet, hat die Revolte zunächst aus der Ferne verfolgt. Sie nutzte ihre Position, um Material, das sie über Telefon, Internet usw. erreichte, so weit wie möglich zu verbreiten. Am 14.1. fuhr sie jedoch nach Tunis, sie erinnert sich, wie grau ihr die Straßen bei ihrer Ankunft vorkamen, und an die vielen Graffitis, die den Aufruhr illustrierten – es gibt wohl den Plan, einige davon zu bewahren, als Zeugnis für die Revolution.
Fitouri Belhiba, der schon seit Jahrzehnten im französischen Exil lebt, fühlte sich an seine Jugend erinnert, als man noch Flugblätter druckte und von Facebook oder Twitter noch nicht mal träumte. «Eine Revolution ist nicht ein singuläres Ereignis, sondern braucht viel Zeit», meinte er und erzählte, wie stolz er darauf war, weil es in Europa schon lange keine solchen Freiheitsbewegungen mehr gegeben hat, «in Europa», so Filhouba Belhiba, «demonstriert man für ein Steak, nicht für die Freiheit».
Ahmed Abdalla, ein junger ägyptischer Regisseur (er hat den weit beachteten Film Microphone gemacht, der beim Festival in Tunis den Hauptpreis gewann), hat wochenlang auf dem Tahrir-Platz ausgeharrt; er erzählte, wie allein gelassen sich die Menschen fühlten in den ersten Tagen, als es viele Tote gab und die Welt nicht auf das Geschehen in Kairo reagierte. «Die Revolution war Teil meines Lebens, größer als mein Leben.»Besonders für junge Regisseure seien die Umwälzungen ganz wichtig. Früher waren oft 30 bürokratische Eingaben notwendig, um einen Film drehen zu können, jetzt könnten sie in viel freierer Atmosphäre realisiert werden, die Ergebnisse würde man bald zu sehen bekommen.
Über die Rolle des Internet sagte er, zunächst sei es sehr wichtig gewesen, damit der Funke überspringt und die Leute auf die Straße gehen, dann jedoch wurden sowohl Internet als auch das Mobilfunknetz abgeschaltet, nur direkte Kommunikation war möglich.Der Animationsfilmer Mohamed Ghazala berichtete eindrücklich von der Vorbildwirkung Tunesiens. Für ihn war es zunächst schwer vorstellbar, dass die Revolte auch in Ägypten möglich sein würde.
Danach gefragt, was ihnen im Moment das Wichtigste erscheint, gab es interessante Antworten. Refka Ben Ali schilderte, wie privilegiert sie sich fühlt, weil sie im Ausland studieren konnte und Möglichkeiten hatte, die ihren Landsleuten verwehrt blieben. «Wir haben noch keine politische Kultur, in den Medien gab es nur falsche Informationen und ganz viele Komplizen der Lügen des Regimes. Wir werden Zeit brauchen, um neue Gesetze und Institutionen aufzubauen. Vor allem müssen wir Vertrauen aufbauen.»
Ihr Landsmann Fitouri Belhiba betonte, dass es eine neue politische Kultur gibt. Im tunesischen Topf hat es geköchelt, der Deckel ist weggeflogen und nun lautet die Frage: «Wer putzt die Küche?» Wirtschaftliche Förderprogramme beispielsweise können nur Erfolg haben, wenn man wirklich versteht, warum die Leute auf die Strasse gingen. Zuversichtlich zeigte er sich, was die Rolle der Frauen anbelangt. «Wenn die Frauen keine Angst mehr vor den Polizisten haben, dann fürchten sie auch ihre Männer nicht mehr.»
Der junge ägyptische Regisseur Ahmed Abdallah arbeitet mit dem Kulturministerium an neuen Gesetzen arbeitet, vor allem an Festivals und kulturellen Räumen besteht Bedarf. Und – er kündigte eine «zweite Revolution» an, die am 27.Mai starten soll. Ghazala, auch Dozent für Animationsfilm an der El-Minia-Universität, betonte, trotz der desolaten wirtschaftlichen Lage sei entscheidend, Hoffnung zu haben. «Früher wollte ich weggehen, nun bin ich meinem Land sehr verbunden.»
Die im Anschluss gezeigten Anmationsfilme präsentierten ein gerade jetzt sehr vitales und aufregendes Filmgenre – prägnant, skurril und ausgezeichnet gemachte kleine Kunstwerke – von der Ästhetik her für mich das Spannendste an der Filmschau.
Zu sehen sind auch auf der Internetseite www.Kharabeeesh.com, die Seite wird in Tunesien gemacht, der Name, «Kharabeesh» (Gekritzel), ist zugleich das Motto. «Das Team von Kharabeesh besteht aus jungen, engagierten Kritzel-Künstlern und Erzählern, denen es darum geht, neue Stile und Ideen auszuprobieren», so die Macher über sich selbst.
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