Vom 16. bis 19.April fand in Havanna der erste Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas nach 14 Jahren statt.
Von den 115 Mitgliedern des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) hatten 78 schon einmal nationale Führungspositionen inne, 18 kommen aus den Streitkräften und aus dem Innenministerium; 20 haben in Provinzleitungen gesessen, 8 in Vorständen auf kommunaler Ebene; 2 sind Universitätsrektoren, nur 7 arbeiten in der Produktion und im Dienstleistungssektor. Bei den 15 Mitgliedern des Politbüros liegt das Durchschnittsalter bei 70 Jahren; es gibt nur eine Frau, niemand ist jünger als 45 Jahre. Im Sekretariat des ZK, das aus vier Personen besteht, gibt es eine Frau; unter den zehn Ersten Provinzsekretären sind zwei Frauen; zwei von acht Ministern sind Frauen.
Man kann also sagen, dass es sich bei diesem ZK um eine Führung aus Militär-, Staats- und Kulturbürokraten handelt, die das mittlere Alter überschritten haben, angereichert um ein paar jüngere Technokraten und Mitglieder des Staats- und Parteiapparats, die sehr wenige Frauen und junge Menschen zählt.
Auf dem Parteitag setzte sich der effizienteste und produktivste Sektor der Bürokratie, das Militär, gegenüber dem konservativsten und dogmatischsten – der Parteibürokratie – durch und ordnete diese den staatlichen Belangen unter – im Namen der Effizienz und des bürokratischen Wandels der Bürokratie.Das Wichtige ist jedoch, dass die breite Diskussion der Bevölkerung über das von den Führungsspitzen präsentierte Reformprojekt – obgleich bereits ausgeheckt und zum Teil schon in Umsetzung begriffen – dazu verhalf, dass die Sorgen der Bevölkerung auf dem Parteitag einen verzerrten Ausdruck fanden.
Diese Diskussionen führten bspw. dazu, dass einige der abwegigsten Aspekte des Reformprojekts aufgegeben wurden, z.B. die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen mit voller Freiheit für das Kapital nach chinesischem Vorbild, oder die Unverschämtheit, Golfplätze einrichten zu wollen, in einem Land, das wenig Wasser hat und zudem unter Wohnungsnot leidet, oder der Vorschlag, Unternehmern, wie in jedem beliebigen kapitalistischen Land, die Beschäftigung von Lohnarbeitern zu erlauben. Es gab den Vorschlag, die libreta (das Büchlein mit den Bezugsscheinen) als staatliches Instrument der Preiskontrolle zu beizubehalten – nun wird sie nicht sofort abgeschafft, sondern graduell.
Ihre Abschaffung bereitet der Bevölkerung große Sorge, denn die libreta wurde von den «Reformern» – ebenso wie die staatliche Fürsorge für die Ärmsten – bereits als deutliches Beispiel für «schädliche Gleichmacherei» angeprangert, die im kollektiven Bewusstsein aber sehr verankert ist, weil sich die Bevölkerung weigert, eine Verteilung nach Marktkriterien, nach dem Geldbeutel, als «ethisch» zu akzeptieren.
Der Parteitag zog nicht einmal in Betracht, dass die Beteiligung der Werktätigen ein entscheidendes politisches und wirtschaftliches Element ist. Keine Rede von Beteiligungshaushalten als Resultat einer freien Diskussion der Werktätigen, keine Rede davon, wie Selbstverwaltung zu organisieren sei, die zweifellos zur Steigerung der Produktivität und Kreativität und zur Einsparung von Material führen würde, das jetzt importiert werden muss.
Keine Rede auch davon, wie Arbeitsverträge zwischen Unternehmen oder dem Staat, und demokratisierten Gewerkschaften, unter bewusster Beteiligung der Arbeiter entwickelt werden können. Stattdessen wurde weiter davon gesprochen, den Plan mit dem Markt zu verbinden, wo doch Letzterer, per Definition, unkontrollierbar ist und es folglich nicht möglich ist, ihn zu planen, sondern höchstens unverbindliche Teilpläne zu erstellen, die nach dem Verfahren von trial and error kontrolliert werden.
Es gab keine ernsthafte Diskussion, in welchem internationalen (ökonomischen, politischen und ökologischen) Kontext die Entschließungen des Parteitags stehen. Auch wurde keine Selbstkritik dazu geleistet, warum der Kongress Anfang des vergangenen Jahrzehnts, im schwierigsten Moment der kubanischen Revolution, um neun Jahre verschoben wurde; auch nicht dazu, dass dieselben Führer, die in der Vergangenheit große Fehler gemacht haben, jetzt einen extremen Kurswechsel vornehmen, und dies ohne die mindeste theoretische Begründung.
Wohin wird Kuba gehen, wenn die Importe von Nahrungsmitteln und Erdöl zunehmen? In Richtung von mehr Staatskapitalismus? Denn das, was die Regierung als sozialistische Staatsbetriebe bezeichnet, beruht auf Lohnarbeit, es sind einfach nur Staatsbetriebe und basta. In die Richtung eines unmöglichen und reaktionären chinesischen Wegs – Freiheit des Marktes, «sozialistische» Millionäre und Einheitspartei –, wie es die Unterstützung Pekings für die kubanische Regierung zu suggerieren scheint? Werden wir dann auch die unbeweglichen Dogmatiker mit ihren Repressalien und Schikanen erleben? Werden dann nicht die Diskussionsräume geschlossen werden?
Der Schlüssel der Situation liegt in den Händen der kubanischen Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich bis heute nicht rühren und die Maßnahmen erleiden, die von oben auf sie herabregnen. Das Fehlen sozialistischer Anreize, revolutionärer Ideale und Perspektiven bewirkt Enttäuschung und Demoralisierung und führt zur Flucht in individuelle Auswege, statt nach kollektiven Lösungen zu suchen. Dem Pragmatismus von oben muss eine Diskussion über die Grundlagen und die Geschichte der kubanischen Revolution gegenübergestellt werden.
Guillermo Almeyra ist ein argentinischer Marxist und Kolumnist der mexikanischen linken Tageszeitung La Jornada. Er lehrt politische Wissenschaften an der Nationalen Autonomen Universität (UNAM) in Mexiko-Stadt.
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