Am 1.Mai wurde Osama Bin Laden in seinem unbewachten Haus von einem Kommando von 79 US-Navy Seals getötet, die per Hubschrauber auf pakistanisches Territorium eingedrungen waren.
Aus den zahlreichen, zum Teil widersprüchlichen und widerrufenen Versionen, die die US-Administration darüber in Umlauf setzte, geht am Ende zweifelsfrei hervor, dass die Operation eine geplante Hinrichtung war und dass sie zahlreiche Völkerrechtsnormen verletzt hat, angefangen bei der Invasion Pakistans.*
Bin Laden wurde im Schlaf überrascht und in Kopf und Brust geschossen. Nach Recherchen des Nahostexperten und früheren Kriegsberichterstatters der US-amerikanischen Tageszeitung Wall Street Journal, Yogi Draezen, hat es «keinen Versuch gegeben, das unbewaffnete Opfer lebend zu ergreifen, was vermutlich mit 79 schwer bewaffneten Männern möglich gewesen wäre, da sie auf keinen Widerstand stießen – mit Ausnahme seiner Frau, die, ebenfalls unbewaffnet war, aber ‹in Notwehr› erschossen wurde, als sie ‹einen Satz nach vorn› tat».
Es scheint, dass Bin Laden keine Zeit gegeben wurde, sich zu ergeben, laut (Ex-)CIA-Chef Leon Panetta «hat sich alles innerhalb von Sekundenbruchteilen abgespielt». Draezen schreibt: «Die US-Regierung hat gegenüber dem geheimen Militärkommando Joint Special Operation Command klargestellt, dass sie Bin Laden tot wollte, das berichtet ein US-Offizier a.D., der von den Diskussionen Kenntnis hatte. Ein weiterer hochrangiger Offizier, der zum Überfall befragt wurde, wusste, dass der Auftrag nicht lautete, ihn lebend zu fangen … Für viele im Pentagon und beim CIA, die fast ein Jahrzehnt damit verbracht haben, Bin Laden zu jagen, war dessen Tötung ein notwendiger und gerechtfertigter Akt der Rache.»*
Nach «erfüllter Mission», die Obama im Kreis seiner Mitarbeiter live mit ansehen durfte, trat er vor die Presse und sprach: «Gerechtigkeit wurde geübt.» 65 Jahre nach den Nürnberger Prozessen und der Charta der Vereinten Nationen hält die Rechtsauffassung des Alten Testaments wieder Einzug in die zwischenstaatlichen Beziehungen: Auge und Auge, Zahn um Zahn. Diesmal ganz offen, ohne die Verrenkungen konstruierter Zwischenfälle, Scheinangriffe der Gegenseite, vermeintlicher Rufe nach humanitärer Hilfe oder Verhinderung eines Völkermords.
Dazu Draezen: «Die Entscheidung, Bin Laden auf der Stelle zu töten, ist bislang der deutlichste Beweis für einen bislang wenig beachteten Aspekt der Konterterrorpolitik der Regierung Obamas. Die Regierung Bush hat Tausende verdächtiger Kämpfer gefangengenommen und in Afghanistan, Irak und Guantánamo in Lager gesteckt. Die Obamaregierung aber verlegt sich darauf, individuelle Terroristen zu liquidieren, statt sie lebend zu fangen.»*
Das ist ein bedeutender Unterschied. Während Frau Merkel nicht von Gerechtigkeit, sondern von ihrer «Freude» darüber sprach, dass Osama endlich getötet wurde, hat die Hinrichtung Osamas in weiten Teilen der internationalen Öffentlichkeit Empörung ausgelöst.
In einem Kommentar auf seinem Blog zitiert Noam Chomsky den renommierten britischen Anwalt Geoffrey Robertson, der den US-Krieg in Afghanistan ausdrücklich unterstützt: «Das Gesetz erlaubt, Verbrecher im Akt der Notwehr zu erschießen, wenn sie Widerstand gegen ihre Verhaftung leisten und damit ihre Häscher in Gefahr bringen. Wenn möglich, muss ihnen erlaubt sein, sich zu ergeben, aber selbst wenn sie nicht mit erhobenen Händen herauskommen, müssen sie lebend ergriffen werden, wenn dies ohne Risiko möglich ist. Es bedarf deshalb einer Erklärung, wie es dazu kam, dass Bin Laden durch Kopfschuss erledigt wurde. Dasselbe gilt für die ‹Seebestattung› ohne die vorherige Obduktion, die das Gesetz verlangt.»
Robertson weiter: «Das war nicht immer so. Als die Zeit gekommen war, über das Schicksal der Männer nachzudenken, die viel tiefer im Dreck standen als Osama Bin Laden – namentlich die Naziführung –, wollte die britische Regierung sie innerhalb von sechs Stunden nach ihrer Festnahme hängen sehen. Präsident Truman erhob Einspruch, eine Hinrichtung im Schnellverfahren vertrage ‹sich nicht mit dem amerikanischen Gewissen und unsere Kindern würden nicht mit Stolz daran zurückdenken … Der einzige Weg ist, Schuld oder Unschuld des Angeklagten festzustellen, nach einer Anhörung, die so leidenschaftslos sein sollte, wie die Zeiten es erlauben, und auf einer Grundlage, die unser Urteil und unsere Motive begründet.›»*
Die Nürnberger Prozesse haben Völkerrecht geschrieben. Der amerikanische Hauptanklagevertreter in Nürnberg, Robert Jackson, stellte damals den Grundsatz auf: «Wenn gewisse Gewaltakte Verbrechen darstellen, dann sind es Verbrechen, gleich ob diese von den Vereinigen Staaten oder von Deutschland begangen werden. Wir sind nicht bereit, an andere einen Verbrechenskodex anzulegen, den wir nicht bereit wären, auch auf uns selbst anwenden zu lassen.»
Mit der Rückkehr zum Faustrecht kehrt die Regierung Obama, unterstützt von vielen anderen europäischen Regierungen, die die «Rechtsstaatlichkeit» wie eine Monstranz vor sich hertragen, dem Grundsatz der Allgemeingültigkeit von Rechtsnormen den Rücken. Sie verwirkt damit allerdings auch den Anspruch, diese Grundsätze für sich in Anspruch nehmen zu können.
Bin Laden konnte eine direkte Beteiligung an den Anschlägen des 11.September nie nachgewiesen werden. Es blieb immer beim «Verdacht» und dem «Glauben» daran. Hingegen steht zweifelsfrei fest, dass Bush und seine Mitarbeiter das nach den Kriterien des Völkerrechts höchste internationale Verbrechen begingen, als sie die Invasion Afghanistans und des Irak befahlen.
Ihre Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof steht bis heute aus, während ein Mann wie Gaddafi, der, bei allen Abscheulichkeiten, die er begangen hat, weder einen Angriffskrieg, noch einen Völkermord zu verantworten hat, umstandslos vor das Haager Tribunal gezerrt wird. Wir können darauf wetten, dass die NATO auch in Libyen under cover alles unternimmt, um Gaddafi «gezielt zu töten».
Quelle: www.theatlantic.com/politics/ archive/2011/05/goal-was-never-to-capture-bin-laden/238330.
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