Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2011
Wo der Orion auf dem Kopf steht
Reise in ein fernes, uns nahes Land
von Rolf Euler

Wir reisen nach Südafrika. Ein in vieler Hinsicht so nahes Land: europäisch in vielen Städten, touristisch in den Tierreservaten, an den Stränden und in den Bergen, verkehrsmäßig erschlossen fürs Auto.

Nah erscheint auch die Apartheid-Vergangenheit – die vielen politischen Kampagnen, die Solidarität mit der Befreiungsbewegung und die Erleichterung über Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis und Wahl. 1994 endete die Apartheid, der African National Congress (ANC) wurde bei den ersten freien Wahlen mit überwältigender Mehrheit gewählt. Das Danach ist schwierig – wegen des langanhaltenden Widerstands der weißen Minderheit und den traumatischen Erfahrungen der schwarzen Mehrheit.

Über private Kontakte sehen wir mehr als normale Touristen. Gleichwohl, ein Teil unserer Reise führt in die wunderschönen Gegenden, wo man die Tiere «zu Hause», in der klein gewordenen Wildnis besuchen, hohe Berge erwandern und am Strand des Indischen Ozeans laufen und schwimmen kann. Am uns unbekannten Sternenhimmel erkennen wir den Orion – er «steht Kopf». Die Sonne wandert wie überall von Ost nach West – aber über den Nordhimmel. Die größte Hitze klingt Anfang März langsam ab – wir verleben traumhafte Abende bei freundlichen Gastgebern, sehen Löwen, Nashörner und Flusspferde aus der Nähe.Im Hinterkopf begleiten uns die Herausforderungen Südafrikas, besonders der schwarzen Mehrheit: soziale Ungleichheit, globalisierte Ausbeutung, AIDS.

HIV – Kampf gegen die verbreitete Seuche

AIDS ist in Südafrika so verbreitet, dass von der mittleren Generation rund 20% erkrankt sind, viele Kinder damit geboren und viele zu Waisen werden. Der stetigen medizinischen und politischen Arbeit von engagierten Menschen und NGOs wie der Treatment Action Campaign ist es zu verdanken, dass es nun politische Unterstützung des Staates für die betroffene Bevölkerung gibt.

HIV-Aufklärung lernten wir bei einem «Großmütterprojekt» in den Townships von Durban kennen. Schon zu Zeiten der Apartheid arbeitete eine kleine Gruppe von Frauen mit alten Menschen, um sie zu organisieren, ihnen ihre Rechte zu erläutern, Lesen und Schreiben beizubringen, medizinische Grundhilfe bereitzustellen. In ihrem Begegnungszentrum tragen viele der alten Besucher T-Shirts mit der AIDS-Schleife. Sie versorgen ihre Enkel, da die Elterngeneration krank oder verstorben ist. Waisenkinder erhalten Sozialgeld, aber das muss beantragt werden – hierbei helfen Sozialarbeiterinnen und Rechtsberaterinnen der Muthande Society for the Aged, unsere Spende ist willkommen.

Die sich auskennen erzählen uns, dass die Verbreitung von HIV durch die sozialen Umwälzungen in den Bergbaudörfern gefördert wird. Sehr viele Arbeiter, oft aus ärmeren Nachbarländern, wohnen weit weg von zu Hause, junge Frauen bieten sich an, um Geld zu verdienen, Lastwagenfahrer tragen die Seuche in andere Regionen. Erst langsam ändert sich der Zustand aus der Zeit der Apartheid, dass in den Compounds genannten Unterkünften nicht nur Arbeiter, sondern auch ihre Familien wohnen können. Allmählich zeigen Aufklärung und die massive Kritik an der bisherigen Regierungspolitik sowie wissenschaftliche Nachweise über die Notwenigkeit und den Nutzen eines früheren Eingreifens mit antiretroviralen Mitteln Wirkung.

Uns fällt auf, dass in Johannesburg keine weißen Fußgänger zu sehen sind, selbst im belebten Kulturzentrum um das Market-Theater. Die City von Johannesburg ist eine Mischung aus Frankfurter Bankenviertel, Altstadt, Straßengewirr – nur Schwarze gehen hier zu Fuß. Am späteren Nachmittag, nach Geschäftsschluss und der Rush Hour, wird unsere Begleitung unruhig – allmählich wandelt sich unser Spaziergang, der uns auch zum ANC-Hauptquartier mit großem Mandela-Plakat geführt hat, zu einem Gang durch eine No-go-Area. Nichts geschieht – aber Berichte von Überfällen sind doch im Hinterkopf.

Die weißen Vororte sind das Kontrastprogramm: ruhige Wohnstraßen, Mauern und Zäune, kein Leben auf der Straße, alles wird mit dem Auto erledigt. Für den Komfort bei unseren weißen Gastgebern im Guesthouse sorgen schwarze Frauen und Männer, sie kochen, machen die Zimmer und sorgen für die Gärten.Einmal nehmen wir einen der zahlreichen Anhalter mit, er arbeitet in dem Ort, den wir gerade passiert haben, und erzählt, dass er jeden Tag zu Fuss zwei Stunden hin und zurück läuft. Viele Kinder und Jugendliche gehen zu Fuß von der Schule nach Hause, selbst das günstige Bustaxi ist nicht bezahlbar.

In Johannesburg erleben wir aber auch inzwischen gemischtere Vororte und treffen uns zu einem politischen Austausch in einer lebendigen Gaststätte, wo wir zwar eine weiße Minderheit sind, uns aber wohl fühlen.Verwandte und afrikanische Bekannte erzählen uns, dass sich seit Ende der Apartheid Vieles gebessert hat. Die Kinder gehen nun zusammen in die Schule, Berufe, Studienplätze und Büros sind für alle Hautfarben frei. Für Unternehmen gibt es eine Quote für die Einstellung von farbigen Menschen, die sie einhalten müssen, wollen sie Staatsaufträge bekommen.Wir sehen am Rande der Townships von Durban neue Siedlungen, die «die Regierung» für Arbeitslose errichtet hat, mit Strom und Wasser – langsam zeigen sich Änderungen, für viele noch zu langsam.

Die Vergangenheit ist nicht vergangen

Ein Abstecher durch Soweto ruft die Erinnerung an die Bilder und Berichte des Jugendaufstands von 1976 hervor, Tote, Panzer, Unterdrückung und Widerstand. Anstelle einer touristischen Führung durchs Township besuchen wir das Apartheidmuseum.Dort erhält man nach dem Zufallsprinzip eine Eintrittskarte für «Whites» oder «Nonwhites». Man geht durch ein Drehtor mit getrennten Gängen durch den Beginn der Ausstellung – das verdeutlicht die Absurditäten die Apartheidgesetzgebung. Doch dann öffnet sich ein aufsteigender Freiluftpfad zwischen großen Spiegeln, auf denen Menschen aller Hautfarben zu sehen sind und man sich selber spiegelt – ein Hinweis auf die Vielfalt der Menschheit und den Widersinn der Rassentrennung.

Der Museumsbesuch ist ein Muss, um die Ausgangslage des heutigen Südafrika kennenzulernen und zu verstehen, wie schwer der Weg der vormals Unterdrückten war und noch ist.Im Museum der Arbeit, einem ehemaligen ummauerten Wohnlager für schwarze Arbeiter, sind die Räume mit 30 Schlafplätzen auf Betonliegen noch so hergerichtet, wie die Belegschaft sie in den 50er Jahren vorgefunden hat – ein entwürdigender Ort. 1886 wurde bei Johannesburg am Witwatersrand Gold gefunden. Binnen weniger Jahre wuchs die Stadt, Arbeitskräfte wurden gebraucht. Nachdem die schwarze Bevölkerung nach 1915 eines großen Teils ihres Landes beraubt wurde und Steuern zahlen musste, die sie nur durch Arbeit in den Minen verdienen konnte, verschlechterten sich ihre Lebensumstände zusehends. In dem Museum wird mit eindringlichen Berichten ihre Geschichte erhalten.

Reichtum, Bodenschätze und billige Arbeit

Über das Bildungswerk TIE bekommen wir Kontakt zu Billy und Eric, zwei Aktivisten des Bench Marks Foundation Community Monitoring Project. Sie berichten von der Lage der Menschen in den Bergbaudörfern. Dieses Projekt ermutigt und befähigt jenseits politischer Parteien und Gewerkschaften junge Leute in den Dörfern, sich gegen Ungerechtigkeiten, Umweltverschmutzung und politische Mängel zusammen zu tun und Berichte zu veröffentlichen.

Eric, der selber auf einer Platinmine gearbeitet hatte, ist unzufrieden mit der offiziellen Gewerkschaft. Für die Arbeitslosen, die durch den Bergbau entwurzelten Jugendlichen, die illegalen und nichtregulären Arbeiter würde nichts getan. Die Regierung sei zu weich und gäbe stets den Unternehmensinteressen nach.Beide schildern die sozialen und ökologischen Dramen, die sich in den Dörfern abspielen, in deren Nähe denen Bodenschätze gefunden werden. Gold, Platin und Diamanten machten schon immer den Reichtum des Landes aus, Südafrika hat 80% der Weltplatinvorräte. Die Minen sind oft im Privatbesitz der sog. Global Players, die demokratische Umwälzung 1994 hat an den Eigentumsverhältnissen nicht viel geändert.

Wo die Unternehmen Bodenschätze finden, machen sie den Dorfbewohnern leere Versprechungen über die Verbesserung ihrer Lage. Der Zustrom aus anderen afrikanischen Ländern bedeutet für die Minen billige Arbeitskräfte. Mit dem Rohstoffabbau geht sehr oft massive Umweltverschmutzung einher. Landenteignungen oder Umzüge werden nur unzureichend entschädigt, die Gesundheitsversorgung ist mangelhaft. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand wird über Vetternwirtschaft und Korruption geklagt.

Hoffnungen

Mduduzi Shabalala ist einer unserer jüngeren Gesprächspartner, die trotz des Lebens mit vielen Widersprüchen Hoffnung verbreiten. Er führt uns zu den tausend Jahre alten Felszeichnungen der Ureinwohner, der San-Völker. Er sorgt sich um den Erhalt dieser Zeichnungen, von denen viele durch Touristen beschädigt wurden. Er versucht uns Worte in der Zulu-Sprache beizubringen, was unter viel Gelächter dann doch nicht gelingt. Wir bringen ihn ins Dorf zurück, wo er mit Jugendlichen Fußball spielen muss. Er erzählt von seinen Dorfführungen für Touristen, davon, wie er sich um die Ahnenstätten kümmert, mit Besuchern durch den Nationalpark wandert und das Waisenhaus des Dorfes betreut. Alles zu Fuß, alles für wenig Geld, aber in der Hoffnung, die Geschichte seiner Leute respektiert zu sehen und die Zukunft zu verbessern

Die Europäer haben dieses Land stark geprägt, beschädigt und verletzt. Mit der Wende durch den ANC kamen viele Hoffnungen, die vielfach (noch) nicht erfüllt sind. Südafrika unterliegt der kapitalistischen Globalisierung wie jedes Land. Aber es gibt auch die andere Globalisierung: die der Solidarität.Mir scheint nach diesen Wochen in Südafrika, dass wir in Europa der Solidarität der Menschen Afrikas bedürfen, um aus unserem weißen Ghetto herauszukommen!

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