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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2011
Arbeitskampf an der Berliner Charité und bei CFM
von Jochen Gester
Am 2.Mai wurden die über 10.000 Beschäftigten der Charité, nach Vivantes die zweitgrößte Klinik der Hauptstadt, von den Gewerkschaften Ver.di und GKL (Gewerkschaft Kommunaler Landesdienste Berlin), Mitglied der DBB-Tarifunion, zum unbefristeten Vollstreik aufgerufen.
Ende März waren die Tarifgespräche nach vier ergebnislosen Verhandlungsrunden für gescheitert erklärt worden. Die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder – bei der Ver.di-Urabstimmung waren es 92% – sprach sich für Arbeitsniederlegung aus. Doch nach Vorlage eines verbesserten Angebots der Charité-Klinikleitung wurde der Streik schon am 6.Mai ausgesetzt.

Ebenfalls bestreikt wurde das Unternehmen Charité Facility Management (CFM), das eine Charité-Ausgründung ist und  verschiedene Dienstleistungen wie Krankentransporte, OP-Sterilisation, Postdienste, Reinigung und Küchenversorgung übernommen hat. Die CFM hat etwa 2500 Beschäftigte. Während die Charité zu 100% ein landeseigenes Unternehmen ist, ist die CFM teilprivatisiert und nur zu 51% in Landesbesitz. Den Rest teilen sich die Dussmann Gruppe, VAMED und Hellmann Worldwide Logistics.

Für die Beschäftigten der Charité gibt es eine Tarifbindung, die jedoch deutlich unterhalb des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes liegt (TVöD), aus dem der Berliner Senat 2005 ausgestiegen war. 700 Beschäftigte sind bei der CFM von der Charité ausgeliehen. Während sie noch in den Genuss der alten Arbeitsverträge kommen, ist der andere Teil der Belegschaft prekarisiert. Bis auf wenige Ausnahmen gelten für sie keine Tarifverträge. Ein Teil der Beschäftigten wird mit Dumpinglöhnen zwischen 5 und 7 Euro die Stunde abgespeist.

Der Streik steht…
Zentrale Forderung des Streiks ist eine Gehaltserhöhung von 300 Euro für die Charité-Beschäftigten, die von Ver.di und der GKL vertreten werden. Die im Marburger Bund organisierten Ärzte befinden sich nach einer Tarifrunde, die ihnen stattliche 11% Gehaltserhöhung verschaffte, in der Friedenspflicht. Für die Mehrheit der CFM-Beschäftigten fordern die im Streik stehenden Gewerkschaften die Anbindung an die Charité-Tarife.

Die Beteiligung zum Streikauftakt gab mit geschätzten 2000 in der Charité und 600 bei der CFM Anlass zur Hoffnung. Viele haben das unbefriedigende Ergebnis des Charité-Streiks von 2006 – 4,4% mehr Einkommen über 6 Jahre minus Kompensationen – noch in Erinnerung und wollen, dass sich dies nicht wiederholt. So berichtete mir noch am Tag der Streikaussetzung Sylvia Krisch, die für die Charité verantwortliche Tarifsekretärin, aus der Belegschaft selbst seien Vorschläge für die Streikorganisation gekommen, viele wollten jetzt die Gelegenheit nutzen, endlich akzeptable Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

Am 5.Mai kam das neue Angebot der Klinikleitung. Wichtigste Punkte: Erhöhung der Gehälter um 200 Euro bis 2014, davon werden 150 Euro ab dem 1.7.2011 wirksam. Bedingung: die Abtrennung des Tarifkonflikts bei der CFM und die Aussetzung des Streiks. Für den Fall der Nichtannahme wurde eine Drohkulisse aufgebaut, die bis zur Ankündigung der Schließung des Klinikums ging.

Die gewerkschaftliche Verhandlungsführung rief daraufhin am 6.Mai die Belegschaften der drei Standorte der Charité, Benjamin Franklin Steglitz, Virchow Wedding und Charité Mitte sowie die Kollegen der CFM zu parallelen Streikversammlungen auf.

Ich konnte in Steglitz selbst an der Aussprache teilnehmen und mir ein Bild von der Stimmung machen. Die Diskussion war leidenschaftlich und offen und wurde nicht zielgesteuert abgewickelt. Viele Schwestern, Pfleger und Arbeiter der CFM meldeten sich zu Wort, die Mehrheit der Redner warnte eindringlich davor, jetzt den Streik auszusetzen. Das werde nur dazu führen, dass rasch sämtliche freien Betten belegt würden. Die so erzwungene «Normalität» werde es sehr schwer machen, den Ausstand weiterzuführen.

Niemand vertrat offen die Position, der Streik könne beendet werden, ohne dass die Verhandlungsleitung des Klinikums die CFM in die Verhandlungen einbezieht. Ein Arbeiter der CFM griff erregt das Wort und nannte eine Zustimmung «Verrat». Niemand widersprach. Bei der Abstimmung über die Frage, ob der Streik jetzt ausgesetzt werden soll, votierten lediglich etwa 30–40 der über 400 Versammelten für den Abbruch.

…und wird ausgesetzt
Nachdem die Versammlung dann auf die Hälfte geschrumpft war, versuchte der Teil der Versammlung, der mit dem Ergebnis nicht einverstanden waren, das Blatt noch einmal zu wenden. Doch als das mit empörten Kommentaren als Missachtung der Demokratie zurückgewiesen wurde, unterblieben weitere Versuche, ein anderes Abstimmungsergebnis zu erreichen.

Informationen darüber, wie die Diskussion an den beiden anderen Standorten verlaufen ist, sind öffentlich nicht verfügbar. In Steglitz wurde zuerst mit großem Beifall die Nachricht aufgenommen, dass an einem oder beiden der anderen Standorte ebenfalls die Mehrheit gegen den Abbruch des Streiks gestimmt habe. Doch zu einem späteren Zeitpunkt wurde gemeldet, die Mehrheit habe für den Streikabbruch gestimmt.

Trotz deutlich schwieriger Bedingungen stand auch der Streik bei der CFM. Dort weigerte sich die Geschäftsleitung zu verhandeln und war nicht einmal bereit, eine Notdienstvereinbarung abzuschließen. Stattdessen versuchte sie selbst, ausgesuchte Mitarbeiter zu diesen Arbeiten zu verpflichten.

Der Verhandlungsführer der GKL, Aaron Williams, erklärte mir, die Zahl der Streikenden steige ständig und beide Gewerkschaften könnten ihren Organisationsgrad spürbar verbessern. Er zeigte aber auch Verständnis für die Entscheidung der gewerkschaftlichen Verhandlungsführung an der Charité, zu verhandeln, ohne dass die CFM im Boot ist. Sie hätten ein gutes Angebot erhalten. Die Belegschaft bei der CFM sei durchaus in der Lage, ihre Tarifbindung allein durchzukämpfen.

Ein besonderes Ärgernis ist für ihn, dass die IG BAU, die in der CFM mehrere Hundert Reinigungskräfte vertritt, in einem verteilten Flugblatt unter dem Titel «Vorsicht Falle» die Rechtmäßigkeit des Streiks in Frage stellt und die Beschäftigten vor der Teilnahme am Streik gewarnt hat. Würde die IG BAU die Reinigungskräfte zu Solidaritätsstreiks aufrufen – viele hatten sich schon an den Warnstreiks beteiligt –, wäre der Ausgang des Konflikts eine Sache von Tagen, so Williams.

Erneute Wendung
Nachdem die Geschäftsleitung der CFM ihre Verhandlungsbereitschaft erklärt hat, wurde der Streik am 14.Mai auch hier ausgesetzt, obwohl ein Angebot noch nicht vorliegt und der Beginn der Gespräche erst für den 31.Juli zugesagt wurde.

Am 13.Mai zogen 300 Demonstranten zum SPD-Landesparteitag. Sie konfrontierten die Partei damit, sie würde zwar im Wahlkampf viel über ein Gesetz zur Einhaltung einer Lohnuntergrenze von 8,50 Euro für die Bewerbung um öffentliche Aufträge reden, in der Praxis jedoch Unternehmen, in denen das Land die Mehrheit hat, davon ausnehmen. Sah es nach der Aussetzung des Streiks zunächst so aus, als würde der Streik dadurch beendet, so gibt es jetzt Anzeichen dafür, dass sich das Blatt bei der Charité noch einmal wenden könnte.

Auf offenen Ver.di-Mitgliederversammlungen, in denen die Verhandlungsführung den Stand der Verhandlungen vorstellte, votierten zwei Drittel der Gewerkschaftsmitglieder an allen drei Standorten für die Weiterführung des Streiks. Die meisten Redner bewerteten das Verhandlungsergebnis zwar als respektabel – Anhebung der unteren Lohngruppen, die den Hauptteil des Pflegepersonals stellen, auf das Niveau des TvöD bis 2014 und eine verbesserte Gestaltung des Dienstplans –, doch wurde das Gesamtpaket für nicht ausreichend befunden.

Unzufrieden waren die Versammelten vor allem mit der Festlegung einer Friedenspflicht bis 2016 und der unveränderten Weigerung des CFM-Managements, einer erneuten tariflichen Anbindung an die Charité zuzustimmen.In der Diskussion wiesen die Sprecher der Ver.di-Betriebsgruppe auf die Risiken einer Eskalation des Streiks hin, plädierten aber trotzdem für die Wiederaufnahme des Arbeitskampfs.

Die hauptamtliche Ver.di-Verhandlungsführung sprach sich allerdings für zusätzliche Verhandlungen ohne erneuten Eintritt in den Arbeitskampf aus. Das Votum der Mitgliederversammlung ist für Ver.di nicht bindend. Es hat nur empfehlenden Charakter.

Am 20.Mai wurde bei erneuten Verhandlungen ein Ergebnis erzielt, das die Ver.di-Verhandlungsführerin Bettina Weitermann als «fairen Lösungsvorschlag» bezeichnete. Über die Annahme des Ergebnisses werden jetzt die Mitglieder befragt. Am 25.Mai tritt die Tarifkommission zusammen. Dann soll auch das Ergebnis der Befragung vorliegen. Je nach dessen Ergebnis wird entschieden, ob der Streik beendet wird oder nicht.

(Stand 24.Mai.)

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