von Jochen Gester
Der Hersteller von Kraftwerken, Turbinen und Generatoren, Alstom, will im Zuge einer Umstrukturierung des Konzerns weltweit 6000 Arbeitsplätze abbauen, mehr als die Hälfte davon in Europa.
In Deutschland sollen im Unternehmensbereich Kraftwerksbau (Power) 589 Stellen entfallen, allein im Werk Mannheim, in dem Gas- und Dampfturbinen zur Stromerzeugung gebaut werden, sollen 474 von derzeit noch 2300 Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verlieren.
Eine Entlassungswelle droht auch der Belegschaft des Werks in Salzgitter. Es gehört zum Unternehmensbereich Transportsysteme, hier werden vor allem Schienenfahrzeuge gefertigt. Der Konzern plant die Verlagerung des Rohbaus nach Polen und möchte dies durch betriebsbedingte Kündigungen erreichen. Nach Einschätzung der IG Metall und des Alstom-Betriebsrats könnte das zu einer Halbierung der jetzigen Belegschaft und zur Entlassung von 1400 Beschäftigten führen. Im schlimmsten Fall würde der Aderlass sogar die Schließung des Werks nach sich ziehen, da wichtiges Knowhow verloren geht und die verbleibende Fertigungstiefe einen eigenen Standort nicht mehr am Leben erhält.
Vielleicht ist auch genau das beabsichtigt. In einer Stellungnahme des Konzernbetriebsrats heißt es, hier gehe es nicht nur um den Abbau von Personal und von existenziellen Kernfunktionen, sondern um die Verabschiedung von Alstom aus dem deutschen, und zum Teil auch aus dem europäischen Markt. Statt etwas dafür anzubieten, bittet man die Belegschaft bereits in Vorleistung zu gehen mit der Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich, dem Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld und den Anspruch auf Tariferhöhungen für die nächsten drei Jahre. Das vorgesehene Einsparvolumen entspräche einem Einkommensverlust von 40%.
Im kleinen Stil wurde das bereits 2005 geprobt. Die Belegschaft arbeitete eine Stunde länger und verzichtete auf die Tariferhöhung. Dafür sollte das Unternehmen die betrieblichen Abläufe optimieren und die Produktivität steigern. Alstom sagte Danke und hatte anderes im Sinn.
Diese Zukunftsaussichten haben den Widerstandsgeist in den betroffenen Belegschaften angefacht und in den letzten Monaten zu Protestaktionen geführt. Im Zentrum stand seit Oktober 2010 das Werk in Mannheim, das über eine gewerkschaftlich gut organisierte Belegschaft mit langer Kampferfahrung verfügt. Bereits Anfang November beteiligten sich etwa 5000 Beschäftigte der deutschen Alstom-Werke an Betriebsversammlungen und Demonstrationen. Vor allem die Mannheimer haben in ihrer langen Widerstandsgeschichte von BBC, über ABB zu Alstom mit der gewerkschaftlichen Praxis gebrochen, Arbeitskämpfe als rein betriebliche Angelegenheit zu betrachten und am Werkstor enden zu lassen. Sie organisieren Demonstrationen in die Stadt und suchen die Unterstützung anderer Belegschaften.
Auch in Salzgitter – hier wurde der vorgesehene Personalabbau erst im vergangenen Februar bekannt – hat die Belegschaft in den letzten Monaten mit Protestaktionen versucht, sich der drohenden Entwicklung entgegenzustellen. Sie stellte die Mehrheit der 5000 Demonstranten, die sich Ende Mai an einem Aktionstag des Europäischen Metallarbeiterbunds in Salzgitter versammelten. Schon am 9.Februar hatte sie nach einer öffentlichen Betriebsversammlung eine Demonstration in die Innenstadt von Salzgitter-Lebenstedt organisiert.
Doch die Dynamik des Protests droht jetzt verloren zu gehen. IG Metall und Betriebsrat verhandeln seit Wochen mit der Werksleitung und können bisher als Erfolg lediglich verbuchen, dass die Gegenseite überhaupt bereit ist, sich ihre Argumente anzuhören. In den Verhandlungen spielt das Management auf Zeit und lanciert Kompromisslinien, die dann aber von der Konzernzentrale in Paris wieder gekippt werden. Es heißt, man rechne und rede über technische Fragen. Betriebsrat und IG Metall erhoffen sich eine Klausur mit Vertretern des Unternehmens Ende Juni, in der ein Standortsicherungsplan unterschrieben werden kann.
Bisher werden für alle Alstom-Werke folgende Eckpunkte für unverzichtbar gehalten: Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, eine Standort- und Beschäftigungsgarantie bis 2016, die verbindliche Zuweisung von Produktionsplattformen und Aufträgen an die Standorte.
Schön und gut. Doch genau das will der Arbeitgeber nicht. Er kann rechnen und sieht profitablere Alternativen, bei denen die bisherigen Arbeitskräfte für ihn uninteressant geworden sind. Er möchte sich von ihnen trennen, wie von einem Anzug, den man zur Altkleidersammlung gibt. Will sich der gewerkschaftliche Widerstand angesichts dieses Szenarios nicht frustriert von den eigenen, schönen Forderungen verabschieden, bleibt ihm eigentlich nichts anderes übrig, als diesen Machtanspruch öffentlich zu skandalisieren und dafür geeignete Aktionen wie eine demonstrative Werksbesetzung zu wählen.
Doch statt diesen, sicherlich nicht risikolosen und konfliktreichen, Schritt zu wagen, fordert die IG Metall von der Firma «einen offensiven industriellen Plan zur Entwicklung von Alstom in Europa und für die Rückeroberung von Marktanteilen» und möchte beweisen, dass sich dies marktwirtschaftlich rechnet.
Einmal abgesehen davon, dass dann andere abhängig Beschäftigte ihrerseits den Preis für Verlust von Marktanteilen zu zahlen hätten, sollte man sich nicht darauf verlassen, dass diese Nachhilfestunde in Betriebswirtschaft die erhofften Früchte trägt. Hilfreich wäre eher eine praktische Unterweisung in den politischen Kosten der geplanten Massenentlassungen. Warum sollte es nicht gelingen, mit Unterstützung vieler prekarisierter und sympathisierender Lohnabhängiger diese Kosten so hochzutreiben, dass Alstom die wirtschaftlichen Nachteile eines Verzichts auf die geplanten Umstrukturierungen als kleineres Übel akzeptiert?
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