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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2011
Zwei Zeitschriften zum Thema
Fred Schmid, «China – Krise als Chance?» Aufstieg zur ökonomischen Weltmacht. isw-report (München), Nr.83/84, Dezember 2010«China im globalen Kapitalismus»
Prokla (Münster), Nr.161, Dezember 2010
von Paul Kleiser

Seit dem Ende der 70er Jahre und im Gefolge der Wirtschaftsreformen von Deng Xiaoping hat die chinesische Wirtschaft ein unglaubliches Wachstumstempo hingelegt. Ein agrarisch strukturiertes Land hat sich zu einer modernen Industriegesellschaft entwickelt. Seit einer Generation wächst die Wirtschaft mit einer Rate von fast 10% pro Jahr, was auf eine Verdoppelung des Bruttoinlandsprodukts alle sieben Jahre hinausläuft. Ein solches Wachstumstempo über einen langen Zeitraum ist in der Geschichte der Weltwirtschaft einmalig.

Über die Gründe, Auswirkungen, dunklen Seiten und möglichen Grenzen dieser «Erfolgsgeschichte» einer nachholenden Entwicklung gibt es mittlerweile eine kaum noch überschaubare Literatur. Der von Fred Schmid geschriebene neue isw-report des Münchner Instituts für sozialökologische Wirtschaftsforschung unternimmt den materialreichen Versuch, ausgehend von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise die chinesische Wirtschaftsentwicklung zu skizzieren und ihre Entwicklungstendenzen zu beschreiben.

Stärkung der Binnennachfrage

Die einzelnen Kapitel beschäftigen sich mit dem Umbau der Wirtschaft hin zu einer Stärkung der Binnennachfrage, was die extrem hohe Spar- und sehr niedrige Konsumquote reduziert hat, und mit den ersten Ansätzen zum Aufbau eines sozialen Sicherungssystems – eine Grundvoraussetzung dafür, dass die extrem hohe Sparquote sinkt und mehr konsumiert werden kann.

Die krassen Einkommensunterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen den Reichen und Superreichen (inzwischen dürfte es in China etwa eine Million Menschen mit einem Vermögen von über einer Million Euro geben) und der großen Masse der Bevölkerung werden problematisiert.

Allerdings muss man auch sehen, dass in Folge des Wachstums die Zahl der Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, von 31,5% 1990 auf 10,4% 2005 gefallen ist und die Spreizung der Einkommen geringer ausfällt als in anderen sog. «Schwellenländern» wie Brasilien, Indien, Südafrika oder der Türkei. Dennoch ist eine «hochprivilegierte Kapitalisten- und Rentiersklasse» im Entstehen begriffen, die sich tendenziell (innerhalb oder außerhalb der KP) zu einer Klasse formieren wird. Nur am Rande gestreift wird die Macht der chinesischen Bourgeoisie außerhalb der VR China.

Ein weiteres Kapitel beschreibt den Umbau der Wirtschaft von einer arbeitsintensiven (Beispiele sind die Kleidungs- und Spielwarenherstellung) zu einer kapitalintensiven Produktion. Dies ist auch dringend nötig, wenn die Verschwendung von Ressourcen und vor allem der Raubbau an der Natur zurückgeführt werden soll – von den 20 dreckigsten Großstädten der Welt liegen 16 in China! Zwei Drittel der Energie werden nach wie vor aus einheimischer Kohle gewonnen, aber die erneuerbaren Energien wachsen in hohem Tempo.

Ein erheblicher Teil des Heftes widmet sich der Tatsache, dass China mittlerweile über mindestens ein Viertel der Weltwährungsreserven verfügt und zu erheblichen Teilen das US-amerikanische Haushalts- und Handelsbilanzdefizit finanziert. China stellt heute auch drei der zehn größten Banken der Welt und exportiert seit 2003 in erheblichem Umfang Kapital, vor allem zur Sicherung der Rohstoffzufuhr. Daraus könnten noch erhebliche politische und ggf. militärische Konflikte resultieren. Daher thematisiert der letzte Teil der Arbeit auch die Frage, ob die USA es zulassen werden, dass andere Großmächte entstehen und ihre Hegemonie durch ein multipolares System abgelöst wird.

Dominanzstrukturen

Auch die Prokla beschäftigt sich mit «China im globalen Kapitalismus». Dabei werden vor allem westliche Theorie- und Interpretationsmuster dargestellt und kritisch hinterfragt.

Eine zentrale Auseinandersetzung dreht sich um das Problem, ob der Aufstieg Chinas mit einem Abstieg der USA verbunden ist, oder ob das exportorientierte chinesische Wachstumsmodell in der Nachfolge von Deutschland und Japan in die US-Hegemonie eingebunden bleibt. (Vor allem SoZ-Autor Ingo Schmidt insistiert auf den Ähnlichkeiten der chinesischen Entwicklung mit dem exportorientierten Aufstieg von Deutschland und Japan in der Nachkriegszeit auf der Grundlage von niedrigen Löhnen und günstigen Wechselkursen.)

Diese Analyse hebt auf die «Dominanzstrukturen» ab – die USA sind und bleiben die weitaus größte Militärmacht des Planeten und sie beherrschen über den Dollar als Leitwährung und über die Weltfinanzorganisationen (IWF, WB, WTO) die globalen Finanzmärkte. Für China gilt auch, dass fast die Hälfte der Ausfuhren von multinationalen Konzernen getätigt werden, die China als verlängerte Werkbank zur bloßen Lohnveredelung nutzen.

Aus dieser Sicht wird der längerfristige Erfolg der Binnenmarktorientierung bezweifelt, weil dazu letztlich die massive Entwicklung einer eigenständigen Technologie und eigenständige Produktionsketten erforderlich wäre, um aus der bisherigen «subalternen Position» herauszukommen. Außerdem stellt sich die Frage, ob die durchaus konservative chinesische Bürokratie zu einem solchen Umsteuern überhaupt in der Lage ist, oder ob die wirtschaftsliberale Shanghai-Fraktion, die in der Krise Federn lassen musste, nicht doch wieder die Oberhand behalten wird.

Gerhard Armanski untersucht die Gründe für den Niedergang Chinas, das lange Jahrhunderte dem Westen technisch und wirtschaftlich überlegen war und dessen Bruttoinlandsprodukt im 19.Jahrhundert ein Viertel des weltweiten BIP umfasste. Tobias ten Brink analysiert die Rolle Chinas im ostasiatischen «Verflechtungsraum» und seine geopolitische Aufwertung. Er meint, China nehme zunehmend eine führende Rolle im ostasiatischen Wirtschaftsraum ein und könne dort die USA verdrängen.

Schließlich behandeln zwei Beiträge angesichts der rapide ansteigenden Arbeitskonflikte die Lage der arbeitenden Klassen in der VR China und stellen die Frage, ob es den Arbeitenden gelingen kann, vom Staat unabhängige Gewerkschaften und soziale Bewegungen zur Unterstützung in Konflikten aufzubauen – oder ob die Zersplitterung der Arbeiterklasse in diesem riesigen Land eine flächendeckende Organisierung verunmöglicht.

 

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