von Jochen Gester
Ein Jahr dauerte der Spuk. Auf Initiative der organisierten Arbeitgeber hatte sich eine handverlesene, kleine Männerrunde aus BDA und DGB gebildet, die über eine Gesetzesinitiative zur Beschränkung des Koalitionsrechts das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) über die Aufhebung der Tarifeinheit ins Leere laufen lassen wollte.
Treibende Kraft auf Seiten des DGB war der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Nicht einmal der Vorstand seiner Organisation hatte dazu einen Beschluss gefasst, er war darüber nur kurz vor der ersten Presseerklärung informiert worden.
Nachdem Bsirske mit diesem «Selbstermächtigungsprojekt» auf mehreren Landeskonferenzen von Ver.di mit Pauken und Trompeten durchfiel und auch gewerkschaftsnahe Arbeitsjuristen öffentlich Unverständnis und Ablehnung bekundeten, zog der Ver.di-Gewerkschaftsrat jetzt die Reißleine und beschloss, die Tarifinitiative von BDA und DGB nicht weiter zu unterstützen.
Der DGB-Bundesvorstand wurde aufgefordert, von der Initiative zurückzutreten. Der Rat sprach sich grundsätzlich gegen jede gesetzliche Regelung der Friedenspflicht aus. Das ist ein Grund zur Freude, auch wenn das Bild einiger Kommentatoren von der Rebellion der Ver.di-Basis wohl etwas zu euphorisch ist. An der Mehrheit der Mitglieder ist die Debatte um die Tarifeinheit eher vorbeigegangen. Zu Fall gebracht wurde das geplante Gesetz durch ehrenamtliche Funktionsträger.
Der Streit offenbart einen Bruch zwischen Lohnabhängigen, die in der Gewerkschaft in erster Linie ein Instrument sehen, ihre Rechte zu verteidigen und zu erweitern, und denen, die in ihr eine Ordnungsmacht sehen, die vor allem dem sog. sozialen Frieden verpflichtet ist.
Speerspitze der letzteren ist die SPD, die regelrecht empört auf den Ausstieg reagierte und über ihren Fraktionsvize Garrelt Duin erklären ließ, die Partei behalte sich eine eigene Gesetzesinitiative im Bundestag vor. Diesen Geist atmet auch die Stellungnahme des DGB-Bundesvorstands, die unmissverständlich zum Ausdruck brachte, der DGB stehe nach wie vor zum Projekt Tarifeinheit, sehe aber unter den gegebenen Bedingungen keine Möglichkeit, die BDA/DGB-Initiative weiter zu verfolgen. Diese Klarstellung verweist auch Verlautbarungen innerhalb der IG Metall ins Reich der Fabel, die IGM habe das Projekt Tarifeinheit nur aus Solidarität mit Ver.di unterstützt.
Das sang- und klanglose Einrollen der Fahne «Tarifeinheit» ist ein Dämpfer für alle, die Gewerkschaften nur dann gut finden, wenn sie die Geschäfte am Standort Deutschland nicht beeinträchtigen und sich für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmensstandorten aufopfern. Es stärkt all jene, die sich bewegen wollen, um ihre soziale Lage zu verändern, ganz gleichgültig, wie sie sich organisiert haben.
Die Gegner der «Tarifeinheit» haben begonnen, miteinander zu reden und sich gegenseitig zu unterstützen, egal ob sie nun bei Ver.di, der dbb-Tarifunion, dem Marburger Bund oder der FAU organisiert sind. So entstehen vielleicht die Konturen einer ganz anderen Tarifeinheit.
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