Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2011

von Angela Klein
25.Mai, Bundestag:
In einer Aktuellen Stunde zum «Antisemitismus in der Linkspartei» hält die große Koalition der Kriegsparteien Scherbengericht über Die Linke.

«Wer im Fernsehen die aktuelle Stunde im Bundestag auf Phoenix beobachten konnte, war Zeuge einer Party der Heuchelei, des Zynismus und der Arroganz», schreibt Abraham Melzer in der Zeitschrift Semit. «Er konnte sehen, wie die FDP, deren Tradition des echten Antisemitismus, nämlich des Hasses von Juden, nur weil sie Juden sind, Bücher füllen könnte, sich über DIE LINKE hermacht, weil diese es wagt, Israels Politik zu kritisieren.

DIE LINKE, um die es ging, war wohl vollzählig versammelt, von den anderen Parteien waren aber nur die unteren Chargen vertreten, diejenigen, die man sonst niemals hört, weil sie unwichtig und unbedeutend sind. Bei der Inquisition waren sie aber dabei, sie wollen DIE LINKE auf dem Scheiterhaufen sehen, wie sie bei lebendigem Leib verbrennt. Anständige Parlamentarier sind zu diesem Autodafé nicht gekommen, weil sie sich auf das Broder-Niveau nicht herabbegeben wollten.»

Der rechte Parteiflügel sah die Chance zu einer Generalabrechnung gekommen: «Widerlich und ekelerregend» seien die Postionen der Parteilinken. Mehrere Abgeordnete wie auch deren Mitarbeiter hätten sich als unbelehrbar erwiesen. Die parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann schloss sogar arbeitsrechtliche Schritte gegen Mitarbeiter nicht aus: «Das muss Konsequenzen haben – bis zur Trennung.»

Und am 7.6. folgte der Maulkorberlass der Bundestagsfraktion: «Die Mitglieder der Bundestagsfraktion erklären...: Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer ‹Gaza-Flottille› beteiligen. Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen.»

Mit dem Rammbock des Antisemitismusvorwurfs Positionen der Parteilinken zum Einsturz bringen, um die Partei auf dem Programmkongress und vor den nächsten Bundestagswahlen auf die rechte Linie zu bringen, das ist ganz offenkundig das Kalkül. Die Parteirechte hat auch gar kein Interesse an einer inhaltlichen Debatte über die israelische Politik, ihr geht es – der Regierungsfähigkeit halber – nur um das Durchpeitschen der deutschen Staatsräson. Und die fordert, dass Deutschland fest in die US-Außenpolitik eingebunden bleibt, die wiederum in Israel den wichtigsten Außenposten ihrer Interessen in der Region sieht – zumindest derzeit noch.

Es ist müßig, die (von der Parteirechten übernommenen) Anwürfe und Unterstellungen der großen Kriegskoalition allein mit der Beteuerung abzuwehren, man sei doch «kein Antisemit». Des Pudels Kern ist ein ganz anderer: Nimmt man die behauptete Vergangenheitsbewältigung eines Teils des deutschen Bürgertums für bare Münze? Lässt man es der Koalition der Kriegstreiber durchgehen, dass unzählige Juden, die nicht den israelischen Staat für sich in Anspruch nehmen konnten oder wollten, bis heute keine Entschädigung erfahren haben – wie auch die Roma und Sinti, die Homosexuellen und Zwangsarbeiter, die Kommunisten und viele andere Verfolgte des Naziregimes?

Lässt man es durchgehen, dass Wiedergutmachung für die Naziverbrechen die perverse Form der Aufrüstung eines Staates angenommen hat, der seinerseits nun die Universalität der Menschenrechte leugnet und die einheimische Bevölkerung vertreibt? Sind das die Lehren des Holocaust? Oder war das nicht der bequemste Weg für Altnazis sich reinzuwaschen?

Die Deutschen haben es sich einfach gemacht mit der Entsorgung der Judenfrage: Sie haben sie exportiert, haben das ungeliebte Volk auf die brutalst mögliche Weise in einen eigenen Staat abgeschoben und die Kosten für ihre Judenfeindlichkeit den Palästinensern aufgebürdet. Wie sie heute die Flüchtlingsströme auf Drittstaaten abwälzen. Von den Palästinensern wird nun verlangt, dass sie ihr Existenzrecht dem der Juden opfern, weil die Nazis die Juden ausgerottet und alle anderen westlichen Staaten ihnen ein gleichberechtigtes Wohnrecht auf ihrem Territorium verwehrt haben.

Das ist Diktat über Dritte, Leben auf Kosten anderer. Es ist das Herzstück deutscher (Außen-)Politik. Und da gibt es keinen Bruch, sondern eine erschreckende Kontinuität. Die Vergangenheit ist nicht bewältigt, sie setzt sich fort, mit anderen Mitteln und angepasst an die veränderten Bedingungen.

Wenn die große Koalition der Kriegsparteien den «Antisemitismus» geißelt, dann versteht sie darunter, man solle doch bitte schön diesen Mantel der Verlogenheit nicht zerreißen und den Schmutz darunter hervorholen. Wenn die Linksfraktion nun aber beschließt: «Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz», dann fehlt darin das Wesentliche – nämlich die Kritik an der deutschen Entsorgung der Vergangenheit und der Hinweis darauf, dass Linke unter Bekämpfung von Antisemitismus etwas anderes verstehen als alle anderen Bundestagsparteien.

Mindestens hätte man den Zusatz erwarten dürfen: «Denn sie verteidigt die Universalität der Menschenrechte und bekämpft jede Form der Unterdrückung von Menschen und Völkern». Der Maulkorb muss weg.

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