von Reinhard Krennbrunner, Clemens Schotola, Nicole Selmer
Am 26.Juni wurde im Berliner Olympiastadion die 6.Frauenfußball-WM eröffnet. Und noch immer tut sich die Männerwelt schwer damit, darin nicht mehr zu sehen als ein sportliches Ereignis auf hohem Niveau.
Dass die Inszenierung der diesjährigen Frauenfußball-WM in Deutschland als Massenevent aufgeht, daran besteht inzwischen kein Zweifel mehr. Auch dank moderater Preise – Vorrundentickets ab 10 (ermäßigt) bzw. 20 Euro – gingen in den ersten vier Verkaufsphasen bis Mitte März 515.000 Karten über die Schalter, die restlichen 285.000 dürften ebenso ihre Abnehmer finden. Im fußballverrückten Deutschland wird selbst das Spiel zwischen Australien und Äquatorialguinea vor fünfstelliger Zuschauerzahl über die Bühne gehen.
«Die Spiele werden großartig besucht sein. Es wird ein Eventpublikum hingehen und auch viele fußballbegeisterte Männer», sagt der US-Politologe und Kulturwissenschaftler Andrei Markovits. «Ich war schon 1999 und 2003 bei den Weltmeisterschaften dabei, auch da waren die Stadien voll.
Aber bei der amerikanischen Women’s Professional Soccer schaut es schon ganz anders aus. Die Liga hat in den wenigen Jahren ihrer Existenz Millionen Dollar Verlust eingefahren. Ein Team nach dem anderen macht zu, obwohl sie die besseren internationalen Spielerinnen haben», so der Autor des Buchs Im Abseits. Fußball in der amerikanischen Sportkultur. Eine Fußballrevolution durch die WM sagt Markovits daher auch nicht für Deutschland voraus. «Frauen- und Männerfußball sind zwei Welten, das ist wie Leichtgewicht und Schwergewicht. Das Event wird groß, aber das, was eine bestimmende Kampfsportart wie den Männerfußball ausmacht, ist nicht das Event, sondern was vorher und nachher passiert.»
Allgemein gilt die mangelnde Aufmerksamkeit in den Medien auch in Deutschland weiterhin als Grundproblem des Frauenfußballs. Bessere Vermarktung ist gefragt, aber wie?
Birgit Prinz hat darauf schon nach dem ersten WM-Titel im Jahr 2003 eine Antwort gefunden: «Wir wollen unseren Sport vermarkten, nicht unseren Hintern», sagt die Nationalstürmerin. Diese Haltung mag Prinz weiterhin vertreten, beim DFB ist man indes offen für andere Perspektiven. Teammanagerin Doris Fittichen gab zu Beginn des WM-Jahres die Parole aus, die Spielerinnen per Werbespots und Fotoshooting nicht nur als Fußballerinnen, sondern als «interessante Persönlichkeiten» zu vermarkten. Und sollte eine von ihnen ihre Persönlichkeit durch Fotos im Playboy noch interessanter gestalten wollen, würde man ihr keine Steine in den Weg legen.
Im Februar 2011 präsentierte der DFB die WM-Barbies: Unikate, gefertigt nach dem Vorbild von Nationaltrainerin Silvia Neid und – ausgerechnet – Birgit Prinz. Die tauchte zur Pressekonferenz gar nicht erst auf, dafür erzählte Neid, dass sie als Kind lieber mit Bällen und Autos gespielt habe. Das ist vielleicht sympathisch, aber vermarktungstechnisch nicht gelungen. «Wenn ich eine Aktion wie die Barbies mache, dann muss ich auch wirklich dazu stehen», sagt Daniel Schaaf. Die Kommunikationswissenschaftlerin forscht, gefördert durch ein Stipendium der FIFA, an der Deutschen Sporthochschule in Köln zur Vermarktung von Frauenfußball. Was Sponsoren Frauenfußball interessiert, hat Schaaf in Befragungen ermittelt, die Antwort lautet: eher das Frausein als der Fußball. «Bei der Vermarktung von Sportlerinnen geht es um drei Dinge: den Bekanntheitsgrad, die Medienpräsenz auch außerhalb der Sportberichterstattung und eine hohe physische Attraktivität mit Sexappeal.»
Damit hat die jüngere deutsche Spielerinnengeneration, die 2007 den zweiten WM- und 2009 den EM-Titel holte, einen merklich entspannteren Umgang als Prinz. Im Werbespot eines Elektrohändlers zücken Kim Kulig, Simone Laudehr und Celia Okoyino da Mbabi unter dem Motto «Die schönste WM aller Zeiten» auf dem Fußballplatz erst Lippenstift und Rougepinsel, bevor der Ball im Tor landet. Mit dabei ist auch Lica Bajramaj, Die Hauptverantwortliche dafür, dass die «Attraktivität» des Frauenfußballs mehr als nur eine sportliche Bedeutung bekommen hat. Bajramaj plaudert gern über ihre Vorliebe für Kosmetik und Shoppen, schießt im ZDF-Sportstudio in High Heels auf die Torwand – und trifft. Durch Interviews und Werbung ist sie aktuell die deutsche Nationalspielerin mit der weitaus größten Medienpräsenz.
Eine Rechnung, die derzeit noch aufgeht, bei der jedoch eine Gefahr droht: Steht die Fokussierung auf persönliche Aspekte und physische Attraktivität einer Spielerin nicht mehr im Verhältnis zur Leistung, hat man es mit dem «Kurnikowa-Syndrom» zu tun – benannt nach der russischen Tennisspielerin Anna Kurnikowa, die über ihr erotisches Kapital bei eher mittelmäßigem Können eine sehr große Bekanntheit erlangt hat. Dazu Daniel Schaaf: «Im Teamsport kann es passieren, dass sich Medien und Sponsoren nur auf attraktive Spielerinnen stürzen und echte Leistungsträgerinnen außen vor bleiben, so etwas birgt natürlich mittelfristig auch Gefahren für ein Mannschaftsgefüge.»
Eine Sorge, die Markus Juchem vom Frauenfußballblog womensoccer.de teilt: «In den Medien gibt es momentan eine Tendenz zur Boulevardisierung. Manche Redaktionen interessieren sich nicht sehr stark für den sportlichen Faktor, sondern mehr für das Drumherum. Für eine größere Bekanntheit des Frauenfußballs ist es wichtig, dass beide Bereiche vorankommen.» Dabei ist der sportliche Druck, der auf dem deutschen Team lastet, groß genug: Bereits der Vizeweltmeistertitel wäre womöglich enttäuschend, gutes Aussehen hin oder her. Dennoch wird der Lohn eines sportlichen Erfolgs nicht gerecht geteilt werden, sagt Daniel Schaaf. «Der WM-Titel ist elementar, aber es werden nicht alle in gleicher Weise davon profitieren. Das konnte man auch beim Sieg der USA im eigenen Land 1999 sehen, an dem vor allem Mia Hamm und Brandy Chastain verdient haben.»
Die Begeisterung für Bajramaj resultiert auch daraus, dass sie einen größtmöglichen Abstand zur wortkargen Lesbe mit dicken Oberschenkeln darstellt, die sich zum Frisieren nur mit den Fingern durch den Kurzhaarschnitt streicht. Der «Lesbensport» Frauenfußball ist für Sponsoren und Journalisten weiterhin lebendig und negativ belegt. Aber gerade die Spielerinnen der jüngeren Generation wollen zeigen, dass die Zukunft des Fußballs nicht nur weiblich ist, sondern eben auch so aussieht. «Wir sind keine Mannweiber!», sagte etwa U20-Weltmeisterin und Bayern-Spielerin Stefanie Mirlach. Derzeit klafft noch ein großer Abgrund zwischen den stereotypen Vorstellungen der unattraktiven Fußballlesbe, über die möglichst nichts Persönliches berichtet wird, und der attraktiven Kickern, die es zu vermarkten gilt.
Die kreative Lösung läge woanders, nämlich in einer Abbildung der tatsächlichen Vielfalt der Spielerinnen. Da hätte man neben der wenig auskunftsfreudigen Birgit Prinz etwa die schlagfertige Torfrau Nadine Angerer, die sich als bisexuell geoutet hat. Oder U20-Weltmeisterin Alexandra Pop, für Daniela Schaaf «eher so der Typ ‹Girl next door›, mit der sich viele Mädchen identifizieren können».
Dass das volle Spektrum der Spielerinnen in der Vermarktung nicht zum Tragen kommt, erklärt sich Schaaf durch den mangelnden Mut der Sponsoren: «Sie setzen lieber auf eine 08/15-Attraktivität nach klassischen männlichen Präferenzen. Das hat auch damit zu tun, dass die Entscheidungsträger in den Firmen ebenso wie die Sportjournalisten überwiegend Männer sind.»
Adressiert wird mit der WM allerdings eine wesentlich vielfältigere Zielgruppe: Frauenfußball ist nicht Fußball für Frauen oder gar attraktive Frauen für Männer. Wie bei den Großereignissen der Männer steht auch bei der WM 2011 eine breitere Basis im Fokus: die Familie mit ihren Kauf- und Konsumgewohnheiten. Perfekt formuliert das FIFA-Partner Hyundai in seinem Claim «Für die besten Teams der Welt: Familien».
Auszug aus: «Einen Sommer lang fliegen». Mit freundlicher Genehmigung von: ballesterer (Wien), Magazin zur offensiven Erweiterung des Fußballhorizonts, Nr.62, Mai 2011. Die monatlichen Ausgaben finden sich auf www.ballesterer.at.
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