Regie: Dieter Schumann, Deutschland 2010
von Gaston Kirsche
Die vorerst letzte Finanzkrise wurde bislang kaum in Bilder gefasst. Halden von Autos, Fassaden von Bankhäusern, ein paar hektisch telefonierende Broker, das war’s. Mit Wadans Welt – Von der Würde der Arbeit kommt jetzt ein Film in die Kinos, der die Folgen der Krise aus der Sicht von Schiffbauern im mecklenburgischen Wismar zeigt.
Zwei Schwäne schwimmen im Dock vor einem Schiffsrohbau. Eine Frauenstimme erzählt die Sage von Wotan. Von der Stärke des germanischen Hauptgottes mit sagenhaften Kräften, aber auch dass er sterblich ist. Zwei weitere Sequenzen der Wotan-Sage gliedern den Film. Als die Werft in die Insolvenz geht, ist von Kämpfen die Rede, in denen Wotan vom Bösen besiegt wird, was den Untergang der guten Herrschaft bedeutet. Zu sehen sind Schwäne vor rostrotem Stahl. Am Schluss bedeckt Finsternis die Erde, kein Mann verschont den Anderen. Die Sage erzählt von einer möglichen neuen Welt. Dazu Bilder eines Stapellaufs im Hafen von Wismar.
Aber zurück zum Beginn von Wadans Welt. An einem Deckenkran wird die mächtige Hecksektion eines Stahlrumpfs durch eine riesige Schiffbauhalle transportiert. Laute Warntöne, das Geräusch von Stahlseilen, die über Rollwinden laufen, hämmernde Geräusche, das Zischen von Schweißgeräten, laute Rufe fünf Kamera- und drei Tonleute haben im Verlauf von anderthalb Jahren 120 Stunden Material aufgenommen, das meiste in den Schiffbauhallen und auf dem Werftgelände.
Im Umkleideraum ziehen Schiffbauer und Schweißer, Roland und Krischan, sich schweigend um und machen sich für die Arbeit fertig. Der Film begleitet sie bei der Arbeit. Aus Stahlplatten schweißen sie Sektionen für Schiffe zusammen. Beim Schleifen sprühen Funken, der Metallstaub lässt sich förmlich riechen, so nah sind die Kameras dabei. Der Ton ist ein Erlebnis, zum Großteil sind es Geräusche von der Arbeit. Manchmal schreien die Schiffbauer, wenn sie vor der Kamera etwas gefragt werden, um verstanden zu werden. Krischan wird gezeigt, wie er vor einer Sektion verschnauft: «Nach 27 Jahren hast du Probleme mit Knien, Armen, den Gelenken. Das ist eine Knochenmühle hier, zum Schiffbauer musst du geboren sein.»
Die schwere Industriearbeit, der Lärm, Schmutz, die ständigen Gefahren sind beeindruckend aufgenommen. Ebenso das Können der Schiffbauer. Drei Schweißer bugsieren mithilfe eines Deckenkrans eine tonnenschwere Stahlplatte millimetergenau an die auf dem Schiffsboden markierte Stelle und schweißen sie gekonnt mit Halterungen als Kabinenwand an.
Anfänglich wollte Regisseur Dieter Schumann einen Film über den Bau der größten Passagierfähre der Welt drehen. Dafür bekam er die Genehmigung, auf dem Werftgelände in Wismar zu drehen. Daraus besteht der erste Teil des Filmes. Die Werft hieß damals, 2008, «Aker Yards», wurde dann aber an die russische Investmentgesellschaft FLC West verkauft. Andrej Burlakow, Chef von FLC, stellte sich auf einer Betriebsversammlung als neuer Inhaber vor. Wadan (russisch für Wotan) Yards werde die Werft ab sofort heißen, das soll nach Stärke klingen, vielleicht auch germanisch.
Der Film zeigt, was in Nachrichten nicht vorkommt: Die skeptischen Gesichter der Schiffbauer, ihre Gespräche nach der Versammlung auf dem Weg zurück zur Arbeit. Die Nachrichtenteams zeigen hingegen Burlakow vor der fast fertigen Fähre, wie er etwas von prosperierendem Schiffbau erzählt. Auf der Wadan Werft laufen die ersten Schiffe Richtung Russland vom Stapel. Dann bricht mit der Finanzkrise der internationale Markt für den Schiffbau zusammen: Die weltweit größte Bank für dessen Finanzierung wird geschlossen.
Damit platzte das ursprüngliche Filmkonzept des Regisseurs ebenso wie die Arbeitsplatzsicherheit der Schiffbauer. Schumann filmt weiter, nun geht es um die Auswirkungen der Krise auf die Werft. Schumann ist sechs Jahre zu See gefahren, hat bei der DEFA und dem DDR-Fernsehen das dokumentarische Filmen gelernt.
Auf einer Betriebsversammlung erklärt der Insolvenzverwalter, dass ab August 2009 kein Geld mehr da ist. Profiling sei jetzt das Gebot der Stunde: Wer könne was wie gut? Welche Betriebsteile seien wie profitabel? So ließe sich vielleicht ein Käufer finden, sonst seien ab August alle arbeitslos. Die anfängliche Wut auf den Insolvenzverwalter verwandelt sich in Ohnmacht. Das Entsetzen steht den Schiffbauern in den Gesichtern, als sie im Pausenraum zusammensitzen. Was können wir machen, fragen sie sich. Wenn es hier weitergeht, dann bestimmt nur zu schlechteren Bedingungen, sagt einer: Statt 17 gibt es dann vielleicht noch 8 Euro. Krischan: «Ich komm trotzdem, was soll ich denn sonst machen?»
Monatelang liegt die Werft still. Am Werkstor hängt ein Transparent: «Wismar ohne Werft ist wie Ostsee ohne Fische!» Langsam zerfetzt der Wind die Abdeckplanen, Böen schlagen die gelagerten Bleche gegeneinander. In Wismar ist die Werft der einzige große Betrieb.
Die Schiffbauer werden nun zu Hause gezeigt. Beim Warten auf einen Brief, dass es weitergeht. Sie sind nicht mehr abgekämpft, wie bei der Arbeit, dafür angespannt und nervös.
Zwei Monate später kauft eine Investorengruppe die Werft. Sie heißt jetzt Nordic Yards und stellt mit befristeten Zeitverträgen und zu weniger Lohn wieder ein allerdings nur 700 von 1300 Schiffbauern. Die Kameras sind dabei, als die Verträge ausgeteilt werden, die jenseits von jedem Tarifvertrag sind. Entweder unterschreiben, oder ein anderer bekommt den Job.
Wadans Welt ist es gelungen, die traumatische Erfahrung des Ausschlusses aus der Lohnarbeit in Bilder zu fassen. Die sind kritischer als der Regisseur selbst. Schumann interviewt im Film einen Leiharbeiter, der offen darüber spricht, dass seine Gruppe dort eingesetzt wird, wo die Geschäftsleitung Schiffbauer zu teuer findet. Er ist sich seiner Lage sehr bewusst, auf Kosten der Leiharbeiter wird Gewinn gemacht wird. Sie sehen aber keine Alternative, es gibt keinen Protest.
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