Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2011
von Horst Hilse

Die Terroraktion des Attentäters von Oslo kommt nicht aus heiterem Himmel. Sie ist weder die Tat eines Verrückten, noch die eines Sonderlings.
Der Attentäter entstammt dem existenzbedrohten Mittelstand. Sein Vater verließ Frau und Kind früh und setzte sich nach Frankreich ab. Breivik, 32 Jahre alt und Bio-Unternehmer, lebte noch bei seiner Mutter, eine Krankenschwester. Er engagierte sich in der Rassistenbewegung seines Landes, der «Fortschrittspartei» und war von 2003 bis 2006 sogar Parteivorsitzender für den Bezirk Oslo-West.
Die derzeit verbreitete These vom Einzeltäter ist für die bürgerliche Gesellschaft die bequemste, jedoch auch die unwahrscheinlichste: Überlebende des Massakers berichten von zwei Todesschützen, der Attentäter hat selbst die Polizei angerufen und sich dabei als «Kommandeur einer Gruppe» bezeichnet, die mit der Befreiung Europas begonnen habe. Leider hatte der diensthabende Beamte das ganze für einen blöden Scherz gehalten.

Angeblich soll er in der ersten Vernehmung von weiteren «Gruppenzellen» in Norwegen gesprochen haben. Unklar ist die Herkunft der Polizeiuniform, die nach Polizeiangaben eine «echte» sei. Der russische Geheimdienst hat mittlerweile bestätigt, dass Breivik sich zweimal in Russland mit rechten Gruppen getroffenen hat. In Polen hat es eine Verhaftung im Zusammenhang mit der Tat gegeben, was die polnische Polizei aber mittlerweile wieder bestreitet.

Im Gegensatz zu einem Amoklauf waren seine Opfer nach politischen Kriterien ausgewählt worden. Schließlich ist die sozialdemokratische Arbeiterpartei die größte politische Kraft im Lande, der Nachwuchsverband AUF gilt mit über 5000 aktiven Mitgliedern als der mit Abstand größte politische Jugendverband im 5-Millionen-Staat. Es handelt sich also um eine politische Tat, die zudem neun Jahre lang vorbereitet wurde.

Wenn nun der verderbliche Einfluss «rechter Strömungen» angeführt wird, so muss darauf hingewiesen werden, dass vor neun Jahren weder eine Pro-Partei, noch eine Wilders-Partei, noch eine antiislamische Vereinigung existierte. Aber es existierten damals schon Parteien, die sich als rassistisch und faschistisch bezeichneten.

 

Ein europäischer Bürgerkrieg

Breiviks Ziel, das er mit einem «europäischen Bürgerkrieg» erreichen will, lautet: Europa bis zum Ende dieses Jahrhunderts vom «Multikulturalismus», den er auch als politischen und kulturellen Marxismus definiert, und vom «Einfluss des Islam zu befreien.» Dieses Weltbild hat er mit der Neuen Rechten in Europa ebenso gemein, wie mit katholischen Konservativen, mit den amerikanischen Neokonservativen, mit Thilo Sarrazin, Henryk Broder und der Hetzplattform «Politically Incorrect» und den sog. «Antideutschen». Er versteht sich als als proisraelisch und proamerikanisch.

Er betont, dass seine Ziele nicht durch einen Appell an die menschliche Vernunft zu verwirklichen sind, sondern der polarisierenden Tat bedürfen. Hier trifft er sich mit seinem großen Vorbild Adolf Hitler, der bereits 1923 in seinem Buch Mein Kampf als Anleitung zur Gewinnung der Massen schrieb:

«Die breite Masse eines Volkes besteht weder aus Professoren noch aus Diplomaten. Das geringe abstrakte Wissen, das sie besitzt, weist ihre Empfindungen mehr in die Welt des Gefühls. Dort ruht ihre entweder positive oder negative Einstellung. Sie ist nur empfänglich für eine Kraftäußerung in eine dieser beiden Richtungen und niemals für eine zwischen beiden schwebende Halbheit. Ihre gefühlsmäßige Einstellung aber bedingt zugleich ihre außerordentliche Stabilität. Der Glaube ist schwerer zu erschüttern als das Wissen, Liebe unterliegt weniger dem Wechsel als Achtung, Hass ist dauerhafter als Abneigung, und die Triebkraft zu den gewaltigsten Umwälzungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beherrschenden wissenschaftlichen Erkenntnis als in einem sie beseelenden Fanatismus und manchmal in einer sie vorwärtsjagenden Hysterie. Wer die breite Masse gewinnen will, muss den Schlüssel kennen, der das Tor zu ihrem Herzen öffnet. Er heißt nicht Objektivität, also Schwäche, sondern Wille und Kraft ... Die Gewinnung der Seele des Volkes kann nur gelingen, wenn man neben der Führung des positiven Kampfes für die eigenen Ziele den Gegner dieser Ziele vernichtet. Das Volk sieht zu allen Zeiten im rücksichtslosen Angriff auf einen Widersacher den Beweis des eigenen Rechtes, und es empfindet den Verzicht auf die Vernichtung des anderen als Unsicherheit in Bezug auf das eigene Recht, wenn nicht als Zeichen des eigenen Unrechtes.»

Dieses Vorgehen wurde von vielen Beobachtern oft als «emotionale Betäubung» oder als «seelische Überrumpelung» klassifiziert und tatsächlich perlen Appelle an rationale Überlegungen bei emotional gebundenen Faschisten spurlos ab. Breiviks Tat folgt diesen Überlegungen sehr genau: er will die Polarisierung in Bewunderer und Hasser.

 

Vorbilder

Auch der Hinweis auf die zu Mordenden fehlt bei seinem großen Vorbild nicht:

«Die Nationalisierung unserer Masse wird nur gelingen, wenn bei allem positiven Kampf um die Seele unseres Volkes ihre internationalen Vergifter ausgerottet werden.»

So erklärt sich der Angriff auf die sozialdemokratische Jugend AUF, die sich als «internationalistisch» in der Tradition der Arbeiterbewegung begreift und in «multikultureller Weise» Jugendliche anderer Kulturen und Herkunft bewusst in ihre Reihen integriert. Sie hat sich in den 80er Jahren der gesamteuropäischen Bewegung «SOS Racisme» angeschlossen und führte in Norwegen Aktionen gegen Rassismus durch.

Dieser Umstand machte sie zum Terrorziel. Breivik schreibt in seinem Manifest: «Die norwegische Zeitung Dagens Neygeter hat einmal die Tatsache heraus gestellt, dass die größte antirassistische Organisation im Land, SOS Racisme (die größte ihrer Art in Nordeuropa mit 40000 Mitgliedern), in den späten 80er und frühen 90er Jahren massiv durch Kommunisten infiltriert war, mit anderen Worten während des Zusammenbruchs des Kommunismus in Osteuropa. Sie gingen direkt vom Kommunismus zum Multikulturalismus über, was darauf hindeutet, dass einige von ihnen den Multikulturalismus als eine Fortsetzung des Kommunismus mit anderen Mitteln sehen. Die Organisation erhält finanzielle Hilfe von der norwegischen Regierung im Umfang von mehreren Millionen norwegischen Kronen in den letzten Jahren. So ist SOS Racisme ein verlängerter Arm der norwegischen Arbeiterpartei, der Sozialistischen Linkspartei zu dem Zweck, politische Gegner mundtot zu machen.»

Dabei ist Breivik kein Nationalist, und er weist diesen Vorwurf zu Recht empört zurück. Er lehnt es auch ab, sich als «National»sozialist zu bezeichnen. Er sieht sich selbst als ein europäischer Soldat im Kampf um die rassische Rettung Europas. Er verwendet dazu das Bild des christlichen Ritters, wie es auch Hitler verwendete, wenn er über die «Arisierung des eroberten Lebensraumes» sprach: «Ebenso wie der Deutschritterorden sich nicht mit Glacéhandschuhen durchgesetzt, sondern mit der Bibel auch das Schwert mitgebracht habe, so müssten auch unsere nach dem Osten abkommandierten Männer als Glaubenskämpfer der nationalsozialistischen Weltanschauung unsere Volkstumsbelange notfalls mit Brachialgewalt durchsetzen...»

 

Das Herrschaftsvolk und die Untermenschen

Wie Breivik in seinem Manifest betont, ist der Nationalstaat für ihn keine Ordnungsgröße mehr. Ihm schwebt ein rassisch reines arisches Europa unter Adoption einiger Staaten vor: «Wir sollten eine neue Wirtschaftszone – Europäische Föderation – schaffen, in der Europa, die USA, Russland (+ Kanada, Australien, Neuseeland, Israel) gewisse Privilegien haben. Nur globale Unternehmen, deren Mehrheitseigner aus Individuen/Unternehmen/Nationen dieses Trios kommen, sollten volle Privilegien in den Märkten der Europäischen Föderation genießen dürfen. Außerhalb dieser Zone sind mehr protektionistische Mechanismen nötig. Eine Verlagerung von Arbeitsplätzen außerhalb dieser Zone darf es nicht geben. Alternativ könnten wie gewisse isolierte Gebiete innerhalb dieser Zone schaffen, in denen Arbeitern aus der zweiten und dritten Welt erlaubt wird, für maximal zwölf Monate zu arbeiten.»

Hier treffen sich seine Gedanken verblüffend mit den Planungsabteilungen der SS während der Kriegsjahre. Im Oktober 1939 wurde die «Gesellschaft für europäische Wirtschaftsplanung und Großraumwirtschaft» gegründet, die 1940 in einer Denkschrift verkündete: «Eine kontinentaleuropäische Großraumwirtschaft unter deutscher Führung muss in ihrem letzten Friedensziel sämtliche Völker des Festlands von Gibraltar bis zum Ural und vom Nordkap bis zur Insel Zypern umfassen, mit ihren natürlichen kolonisatorischen Ausstrahlungen in den sibirischen Raum und über das Mittelmeer nach Afrika hinein.»

Die «Forschungsstelle für Wehrwirtschaft» legte im Januar 1941 ein Konzept vor, wonach Wanderarbeiter vertraglich nach Deutschland geholt werden sollten, um den südeuropäischen Bevölkerungsdruck zu entlasten und dann, an Disziplin und höheres Arbeitstempo gewöhnt, wieder in die Heimat gehen sollten, um dort die Wirtschaft zu entwickeln.

Damals war die SS längst eine internationale Truppe geworden, und sie bezog sich nicht mehr in erster Linie auf den deutschen Nationalstaat, sondern auf die arische Rasse. Der Sieg schien greifbar nah, und ebenso wie bei Breivik wurde eine europäische «Großraumpolitik» in die Planungen aufgenommen: «Fremde Rassen» sollten für niedere Arbeiten herangezogen werden und für 24 Monate «Arbeitsverträge» erhalten.

So schreibt SS-Sturmbannführer Wirsing (übrigens bis 1970 Redakteur bei Christ und Welt) im August 1942: «Die breitere Öffentlichkeit im Reich ist sich vorerst nur ganz bedingt bewusst, dass wir im Laufe des letzten Jahres den entscheidenden Schritt von der Großmacht im alten europäischen Sinne zum Herrschaftsvolk im weltgeschichtlichen Sinne getan haben.»

Als Realisierungsmittel für diese Zukunft Europas wurden im Oktober 1940 auf einer gemeinsamen Sitzung mit der Industrie Marktregelungen, Kapitalverflechtungen und Zwangskartelle ins Auge gefasst. Erstmals taucht hier auch der Begriff der «Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft» auf.

Die Forschung zur NS-Diktatur übersieht bis heute allzu gerne die äusserst qualifiziert im Hintergrund der Diktatur arbeitenden Denkfabriken mit großen Datensammlungen und fanatischen Managern.

 

Nation Europa

Breivik nimmt zahlreiche Stränge der faschistischen Hinterlassenschaft wieder auf und formuliert ein gesamteuropäisches faschistisches Konzept, das sich vom Nationalstaatsgedanken gelöst hat und auf Rassismus beruht. Diese gesamteuropäisch agierende Strömung des Faschismus sollte von der europäischen Linken keinesfalls unterschätzt werden.

So klein sie sein mag, sie ist doch eine Gefahr für die Zukunft. So treffen sich die Breivik-Clubs in europäischen Ausbildungscamps und treten teilweise auch offen auf.

In Lettland ist die Polarisierung extrem zugespitzt: Alte SS-Veteranen Europas treffen sich dort jeweils am 16.März mit neuen Jungfaschisten. Unter ihnen gibt es auch Teilnehmer mit aufgenähten Bundesadlern. Die ehemaligen Soldaten der Roten Armee treffen sich hingegen am 9.Mai. Auf einem Youtube-Video werden sie von einem Jungfaschisten beschossen und stimmen als Reaktion darauf das sowjetische Lied «Heiliger Krieg» an. Noch sind das Randerscheinungen... Doch die linken Kräfte müssen sich langsam um Saal- und Demoschutz ernsthafte Gedanken machen.

 

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