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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2011
Bundesrepublik 2010

von Manfred Dietenberger

Im Jahr 2010 lebten in Deutschland mehr als 924000 Geld-Millionäre – so ist dem jährlichen Wohlstandsbericht zu entnehmen, den Experten des Beratungsunternehmens Capgemini und der US-Bank Merrill Lynch zusammenstellen. Das ist ein Plus von 7,2%. In absoluten Zahlen waren das hierzulande 62000 Reiche mehr als im Jahr 2009. Nicht nur die Zahl der Millionäre, auch ihr Vermögen wuchs seit 2007. Durchschnittlich hatten die Millionäre 2010 rund 3,9 Mio. Dollar auf der hohen Kante.
Beim Stichwort Armut denkt man an Staaten wie Afghanistan, Burkina Faso oder Rwanda, vor dem geistigen Auge tauchen Bilder von Kindern mit aufgedunsenen Hungerbäuchen auf. So sieht Kinderarmut aus – jedoch nicht in Deutschland. Hier ist Kinderarmut versteckter und relativ. Hier hungern arme Kinder noch nicht, gehen aber häufig ohne Schulbrot zur Schule.

Eine der Folgen ist, dass die Bereitschaft, Kinder in die Welt zu setzen, abnimmt. Im Jahr 2010 lebten rund 13,1 Millionen Kinder in Deutschland (Bericht des Statistischen Bundesamts zur «Lebenslage von Kindern in der Bundesrepublik»). Zehn Jahre zuvor, 2000, waren es noch 2,1 Millionen mehr gewesen. Im Westen sank die Zahl der Kinder in dieser Zeit um etwa 10% auf 11 Millionen Kinder, in Ostdeutschland aber um 29%. Die Mauer ist zwar gefallen, West- und Ostdeutschland bleiben aber auch in dieser Hinsicht weiter gespalten.

Bei 92% der Kinder in Paarfamilien war das Erwerbseinkommen eines oder beider Elternteile Quelle des überwiegenden Lebensunterhaltes. Auch 57% der Kinder von Alleinerziehenden sind auf das Erwerbseinkommen des Elternteils angewiesen. Für rund ein Drittel der Kinder von Alleinerziehenden stellten Hartz-IV-Leistungen die Haupteinkommensquelle dar.

Im Jahr 2008 waren in Deutschland 15,5% der Bevölkerung armutsgefährdet, darunter über eine Million Kinder und Jugendliche. Das bedeutet, dass das Netto-Einkommen in ihrem Elternhaus unter dem Schwellenwert von 11151 Euro pro Jahr lag. Jedes sechste Kind wurde also in ein armutsgefährdetes Elternhaus hineingeboren. Wen wundert es da, dass die Bereitschaft abnimmt, Kinder in eine solche Welt zu setzen? Die BRD ist der kinderärmste Staat Europas.

Armut ist relativ. Sie setzt sich stets ins gesellschaftliche Verhältnis, egal wo jemand dazu gezwungen wird, in Armut zu leben. Sie manifestiert sich in reichen Ländern anders als zum Beispiel in Indien. Menschen, die in der Bundesrepublik auf Hartz IV angewiesen sind, hilft es herzlich wenig weiter, wenn sie wissen, dass sie mit diesem Geld in Kalkutta gut leben könnten. Die Miete und die Lebensmittel sind hierzulande zu zahlen, die Heizkosten hier zu begleichen, die Kinder gehen hier zur Schule und kaufen hier ihren Schulbedarf.

An die Verlierer aber ergeht die mediale Aufforderung, doch neidlos fair zu bleiben. Armut grenzt weltweit aus, denn der Kapitalismus ist ein System mit abschiebender Wirkung. Jeder kann wohlhabend werden, dies verheißen die alten und die neuen Märchen: Selber schuld, wer es nicht schafft.

Diese Kapitalistenmär verfängt oft, weil es die «Verlierer» beschämt und die «Gewinner» scheinbar bestätigt. Bislang vererbt sich Armut so wie Reichtum auch. Aus armen Kindern werden arme Rentner.

Doch nur so lange, wie wir den Kampf um die gerechte Verteilung des von uns geschaffenen gesellschaftlichen Reichtums nicht endlich gemeinsam aufnehmen. Wenn wir dies tun, dann können wir uns alles leisten, nur nicht mehr die Reichen.

 

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