Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2011
Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Als die SoZ am 7.Oktober 1896 mit ihrer ersten Ausgabe an die Öffentlichkeit trat, tat sie das als Zeitung der Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP), vor dem Hintergrund der Erwartung, diese könne der Auftakt zu einer revolutionären Organisation mit einem realen Einfluss in der Arbeiterbewegung werden, und im Bewusstsein, dass es dabei gilt, „den Sozialismus neu zu erfinden“, wie Erich Fried in der ersten Ausgabe der SoZ sagte.
Zugegeben, das war ein bisschen viel auf einmal erwartet: Mit der Entwicklung eines neuen Sozialismus steht die Linke noch ganz am Anfang und hat von den derzeitigen Massenbewegungen noch viel zu lernen. Und die Hoffnung auf eine Fortsetzung des Prozesses „Vereinigen statt spalten“ wurde vollends unter den Trümmern des Zusammenbruchs des real nicht existierenden Sozialismus begraben, der unsere Alternative nicht war und auch heute nicht ist; der Zerfallsprozess linker Strukturen setzt sich bis heute fort.

Selbst gegenüber 2006, als die SoZ zu ihrem 20. mit einer Jubiläumsausgabe auftrat, hat sich die Welt radikal verändert: Spektakulär sind die neoliberalen Blasen mit ihren falschen Versprechungen geplatzt: die Millenniumsziele der UN, den Hunger auf der Welt zu halbieren – adé; der Propagandafeldzug „Privat vor Staat, die Märkte können’s besser“ – untergegangen im Hilfeschrei der Banken nach staatlicher Rettung; das Ende der Geschichte mit einer ohn’ Unterlass scheinenden Sonne des privaten Profitstrebens – jäh verfinstert durch die zunehmende Ratlosigkeit der Eliten der Welt, wie sie ihr System noch retten können und herausgefordert durch neue Massenbewegungen, die bei aller Unterschiedlichkeit der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit eint.

Die Maske ist ab. Der Kaiser ist nackt. Klassenkampf wird offener und brutaler.

Der Raubbau der Reichen und Privilegierten am öffentlichen Eigentum, an der Arbeitskraft der Lohnabhängigen, vor allem der Jugend, am Land der Kleinbauern und an den Kassen der Daseinsvorsorge wird erkannt als das, was er ist: die Rückkehr einer quasifeudalen Privilegienwirtschaft, die sich Staaten und Politiker kauft, die wenigen sozialen und Mitspracherechte der normalen Bevölkerung zertrümmert und sich unterm Schutz einer hochgerüsteten Polizei hinter den Mauern ihrer Ghettos verschanzt.

Kampf den Oligarchen!, tönt es auf den Straßen, Kampf der Korruption! Verteidigung und Ausbau des öffentlichen Eigentums! Selbst in Deutschland überraschen örtliche Massenbewegungen für die Verteidigung und Rückeroberung des öffentlichen Raums ein Publikum, das, mal frohlockend, mal zynisch, der Prophezeiung aufsitzt: In Deutschland gibt es keine Bewegung, da herrscht Friedhofsruhe.

20 Jahre nach dem Fall der Mauer haben Werte wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit nicht ausgedient, trotz aller Versuche, nicht nur die Russische, sondern auch die Französische Revolution rückgängig zu machen. Sie tragen nur andere Namen, etwa: Bürgerbeteiligung, Gemeinwirtschaft, Solidarität.

Die real stattfindenden Massenbewegungen ziehen an bestehenden Strukturen der Arbeiterbewegung und der Linken vorbei und saugen sie gleichzeitig auf.

Währenddessen bieten diese, in Deutschland wie anderswo, kein attraktives Bild: Die radikale Linke bleibt zersplittert und einflusslos; Attac ist zahm geworden und traut sich kaum, einen Schritt weiter zu denken als kritische Teile des Herrschaftsapparats; die (Europäische) Linkspartei strebt danach, den von der Sozialdemokratie geräumten Platz einzunehmen; die Grünen beerben einen Teil der Konservativen; und die Gewerkschaften bleiben zu großen Teilen ihrer Standortlogik verhaftet.

Die SoZ hat sich diesem Trend nicht entziehen können. Sie leidet an einem Rückgang der Auflage und der Überalterung ihrer Redaktion (nicht unbedingt der Autorenschaft). Die Ablehnung klassischer linker Organisationsmodelle durch weite Teile der Jugendlichen machen ihr zu schaffen – obwohl es keine Anbindung an eine parteiförmige Organisation mehr gibt; ebenso die Segmentierung der Bewegungen und politischen Interessen, der die kontextlose Form von Öffentlichkeit, die das Internet anbietet, entgegenkommt.

Das Denken in Zusammenhängen, die Entwicklung von Strategien und Bewegungsformen, die den Augenblick des Massenprotests überdauern und Grundlagen für einen dauerhaften solidarischen Zusammenhalt schaffen, vielleicht sogar Strukturen von Gegenmacht - das ist weit zurückgedrängt worden. Es ist deswegen nicht obsolet. Der Erfahrungsschatz von 160 Jahren Arbeiterbewegung ist nicht für den Müllhaufen, er muss unter veränderten Bedingungen neu gehoben werden.

Es bedarf eines Brückenschlags. Der Kontext, in dem die SoZ entstanden ist, gehört der Vergangenheit an. Auf festem Grund stehend, muss sie in den neuen Verhältnissen Fuß fassen. Dafür muss sie sich ändern.

Diese Herausforderung muss – und will – die SoZ annehmen.

Anlässlich des 25.Geburtstags der SoZ laden wir unsere Leserinnen und Leser, unsere Autorinnen und Autoren und alle uns Nahestehenden herzlich ein, über diese Fragen zu sprechen und vor allem mit uns zu feiern.


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