Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2011
Israels Jugend fühlt sich geprellt

«Bislang hatte es den Anschein, als könne nichts die rechtsextreme Regierung von Netanyahu erschüttern: nicht die Palästinenser, nicht die Hizbollah, nicht die Drohungen aus dem Iran, nicht der Ärger Obamas, nicht die internationale Isolierung, nicht die Boykotte ... Die Trumpfkarte der Regierung war das Wirtschaftswachstum, das sicherte ihr politisches Überleben. Anders als Spanien oder Griechenland, die vor dem Bankrott stehen, erfreut sich Israel weiterhin hoher Wachstumsraten, die Erwerbslosigkeit liegt gerade bei 5,7%, der Durchschnittslohn bei 1700 Euro. Die bittere Wahrheit, die die israelische Mittelklasse entdecken musste, ist aber, dass dieses Wachstum die Menschen unten nicht erreicht; der Reichtum bleibt in den Händen von 18 Familien hängen, die den Staat gekauft haben.

Tausende sind aufgewacht, weil der ‹israelische Traum› verflogen ist: der Traum, dass ein gutes Leben der Lohn für harte Arbeit sei. Die Sprecher der israelischen Jugend sagen jetzt etwas anderes: Wir haben die Peripherie verlassen, wir kamen nach Tel Aviv, wir haben unsere akademischen Studien beendet, wir rackern uns ab mit langen Arbeitsstunden und individuellen Arbeitsverträgen, damit wir auf der sozialen Leiter eine Stufe höher steigen. Und hier stehen wir, Ashkenazim wie Mizrahim, das Rückgrat des Staates, die ihren Dienst in der Armee tun und die Kultur schaffen – und stellen fest, dass wir an der Nase herumgeführt wurden. Wir treten auf der Stelle. Wir kommen mit unserem Gehalt kaum bis zum Monatsende.

Jemand hat unseren Staat gestohlen, das ist nicht länger der Staat der Juden, sondern der Staat der Reichen. Die Tycoons kontrollieren die Wirtschaft, kaufen sich die Politiker, quetschen die Armen aus und trampeln auf der Mittelschicht herum. Der Traum vom großen Los ist geschrumpft auf den Kauf einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung mit einem Fenster. Doch auch dieser Traum ist unerreichbar geworden. Die Big Planers haben für den Rest von uns nichts mehr übrig gelassen.»

So schreibt die linke politische Aktivistin Asma Agbarieh-Zahalka auf der Webseite www.challenge-mag.com/ en/home.

Sie wird sekundiert vom linkszionistischen Schriftsteller Amos Oz. «Die Ressourcen, die es braucht, um soziale Gerechtigkeit wieder herzustellen, stecken an drei Orten: in den Milliarden, die Israel in Siedlungen investiert hat; in den Unsummen, mit denen Ultraorthodoxe auf Kosten des Staates leben, und vor allem in der leidenschaftlichen Unterstützung der Regierung Netanjahu und ihrer Vorgänger für die ungezügelte Bereicherung diverser Tycoons und ihrer Kumpel auf Kosten der Mittelklasse und der Armen.» (9.August, www.latimes.com.)

Einer Studie der israelischen Zentralbank von 2010 zufolge kontrollieren 22 große Unternehmensgruppen die Hälfte des Finanzmarkts und 70% von Handel und Dienstleistungen. Gerade einmal 10 einflussreiche Familien kontrollieren 30% des Marktes. Es handelt sich um pyramidenähnliche Strukturen: viele Unternehmen werden von größeren Unternehmen kontrolliert, die wiederum von einer Person oder einer Familie kontrolliert werden. Die seien an Konkurrenz nicht interessiert, schreibt ein Autor in der liberalen Tageszeitung Haaretz. «Wir gleichen Korea mehr als wir westlichen Ländern gleichen.»

Ein solcher Tycoon ist Nochi Dankner. Seine Holding besitzt mehr als 3% Anteile an der Crédit Suisse. Er ist der größte Mobilfunkanbieter und einer der größten Internetprovider in Israel, ihm gehören Supermärkte, Kleiderketten, Reisebüros und die Tageszeitung Maariv, er ist auch der einzige Zementhersteller des Landes.

Yitzhak Tshuva steht auf Platz 382 der nach der Forbes-Liste 500 reichsten Männer der Welt. Er besitzt Immobilien in den USA und in Kanada (darunter das Manhattan Plaza Hotel in New York) und steht der Delek-Gruppe vor, Israels zweitgrößter Öl- und Gasgesellschaft.

Die Familie Ofer besitzt über ihre Israel Corporation eine Reederei, Anteile an Ölraffinerien und an Israel Chemicals.

Lev Review gilt als ein großer Fisch im Diamantengeschäft; ihm gehört außerdem eine Immobiliengesellschaft.

Sharif Arison ist die Frau unter den Oligarchen. Sie ist Teilhaberin der größten Baufirma und der zweitgrössten israelischen Bank, Hapoalim.

Reaktionen

Stanley Fisher, seit 2005 Gouverneur der israelischen Zentralbank, gilt als die «graue Eminenz» hinter Premierminister Netanyahu. Am 1.August erklärte er auf einer Pressekonferenz in Jerusalem, die Überwindung der Wohnungsnot sei gebunden an die Schaffung von Komitees zur Umgehung des bestehenden Planungsprozesses, die Zustimmung zu Neubauten und eine Reform des israelischen Immobilienmarktes. Fisher will die großen privaten Wohnungsbau- und Immobiliengesellschaften weniger mit Umwelt- und sozialen Auflagen belasten und die Privatisierung von Staatsland beschleunigt vorantreiben. 93% des israelischen Staatslands gehört heute den palästinensischen Flüchtlingen; es ist seit 1950 geschützt durch internationale Garantien der Vereinten Nationen.

Netanyahu hat die Bildung eines Teams aus Wirtschaftsspezialisten angekündigt, um «die Lebenshaltungskosten zu senken». Dieses Team wird von einem neoliberalen Technokraten der Universität Tel Aviv geleitet; es besteht zur Hälfte aus Ministern der Regierung, zur Hälfte aus «Experten» aus der Privatwirtschaft. Die Protestierenden sind darin nicht vertreten.

Der Dachverband der Gewerkschaften, Histadrut, hat sich an der Demonstration des 6.August beteiligt, aber klar gestellt, dass er keine Bewegung unterstützt, die auf den Sturz der Regierung gerichtet ist.

Ironischerweise sind es die Siedler, die die Protestbewegung dazu drängen, zur Frage der Besatzung Stellung zu nehmen. Anfänglich lehnten sie die Proteste ab mit dem Argument, die Bewegung wolle nur Netanjahus Position im Vorfeld der Ausrufung des Palästinenserstaats vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen im September schwächen.

Doch Anfang August bauten jugendliche Siedler ihre Zelte neben den Protestierenden in Tel Aviv auf; ihre Parole war: «Tel Aviv ist jüdisch!» Sie wollen die Wohnungsnot dadurch lösen, dass massiv Siedlungen in den besetzten Gebieten gebaut werden. Darin werden sie von rechten Knesset-Abgeordneten unterstützt.

 

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