von Andreas Bodden
Endlich ist es soweit. Fünf Jahre hat die Fangemeinde des finnischen Kultregisseurs auf seinen neuen Film warten müssen. Das Warten hat sich gelohnt.
Obwohl Kaurismäki nie wieder außerhalb Finnlands drehen wollte, spielt sein neuer Film in Frankreich, wie bereits Das Leben der Bohème von 1992. An diesen knüpft Le Havre an. Hauptfigur ist wieder Marcel Marx (André Wilms), den wir schon als Bohemien und Möchtegernschriftsteller kennen gelernt haben. Hier treffen wir ihn im selbst gewählten Exil in Le Havre wieder.
Seine Träume von einer Schriftstellerkarriere hat er längst aufgegeben. Er ist verheiratet und schlägt sich als Schuhputzer durch. Eine Tätigkeit, die er trotz der Verachtung seiner Umwelt mit viel Würde ausübt. Es ist ja eines der Merkmale, die Kaurismäkis Filme auszeichnen, dass sie Menschen, die in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehen, zu Protagonisten machen und ihnen so ihre Würde wiedergeben.
Es ist ein Film über Migration. Im Presseheft zum Film antwortet er auf die Frage, ob er durch die immer dramatischer werdende Flüchtlingssituation beeinflusst worden sei: «Die Idee für den Film habe ich bereits seit einigen Jahren, aber ich wusste lange Zeit nicht, wo ich ihn drehen soll ... auf der Suche nach einer geeigneten Stadt fuhr ich die gesamte Küste von Genua bis Holland entlang und fand, was ich suchte, in Le Havre...» Ein paar Zeilen später sagt er, es solle ein Film über «Fraternité» sein, die er immer noch unter den Menschen zu finden hoffe, andernfalls würden wir schon in der von Ingmar Bergmann prophezeiten Gesellschaft der Ameisen leben.
Die Brüderlichkeit des Schuhputzers Marx und der Bewohner seines Viertels retten einem Flüchtlingsjungen (Blondin Miguel) Leben und Freiheit. Mit der Hilfe eines melancholischen Kommissars (Jean-Pierre Darroussin) entziehen sie ihn dem Zugriff der Polizei und bewahren ihn vor der Abschiebung. Kommissar Monet repräsentiert einen gewissen Typ in Kaurismäkis Filmen, desjenigen, der nicht so funktioniert, wie es seiner gesellschaftlichen Rolle entspricht. In «Der Mann ohne Vergangenheit» war es der insolvente Bauunternehmer, der eine Bank ausraubt, um seinen Arbeitern den geschuldeten Lohn doch noch auszahlen zu können, hier ist es der Kommissar, der die Seiten wechselt und einen Flüchtling vor seinen Kollegen schützt. Weil so etwas in der Realität nicht vorkommt, nennt Kaurismäki seinen Film ein «semi-realistisches Märchen».
Den Realismus bringt Kaurismäki durch dokumentarische Fernsehaufnahmen von der Räumung des «Jungle» genannten Flüchtlingscamps bei Calais im Jahr 2009 in den Film. Auch die gespielten Sequenzen in einem Abschiebeknast und in einem kleineren Flüchtlingscamp bei Dünkirchen spiegeln eindeutig EU-europäische Realität der Gegenwart. Für einen Regisseur, der seine Filme gern im zeitlich Ungewissen lässt, ist das nicht selbstverständlich.
Auch in diesem Film sieht die Wohnung von Marcel Marx und seiner Frau Arletty (Kati Outinen) aus wie in den 50er Jahren. Der Film enthält vieles, was man aus Filmen von Kaurismäki kennt: die Treue zu seinen Darstellern, die Musik (finnischer Tango, Blues, Rock’n’Roll, – repräsentiert durch die französische Rock-Legende Little Bob a.k.a. Roberto Piazza, als neues Element aber auch Musik aus Afrika), die sparsamen Dialoge, der Stoizismus seiner Darsteller und sein unnachahmlicher trockener Humor. Im bereits erwähnten Interview im Presseheft antwortet er auf die Feststellung, man habe den Eindruck, als ob Jean-Pierre Darroussin schon immer dazu gehöre, obwohl er doch zum ersten Mal in einem Film von Kaurismäki auftrete: «Nun, er war eigentlich auch immer schon da, aber er durfte nie spielen. Nur das Studio aufräumen, saubermachen, solche Dinge eben.» Witze dieser Art durchziehen auch seine Filme.
Der Film ist mit seiner Stellungnahme für «Brüderlichkeit», gegen Rassismus, gegen das EU-Grenzregime und damit auch gegen so Erscheinungen wie die «wahren Finnen» und den gesamten neuen Rechtsradikalismus, der jüngst in Norwegen einen traurigen Höhepunkt fand, höchst aktuell. Dass er diese Stellungnahme nicht als flammendes Manifest, sondern still, melancholisch und humorig abgibt, ist wiederum typisch für Kaurismäki. Darüber hinaus hat der Film auch noch ein optimistisches Ende.
In einem Interview mit der österreichischen Filmzeitung Skip sagt Kaurismäki: «Ich bin der letzte übriggebliebene Romantiker. Ein hoffnungslos romantischer Pessimist. Skip: Filmemachen macht Sie auch nicht fröhlich? Aki Kaurismäki: Nein, es ist langweilig. So wie es Homer Simpson immer sagt: Laaaaangweilig. Skip: Aber wer zwingt Sie denn dann dazu? Aki Kaurismäki: Ich bin zu faul, um irgendeine ehrliche Arbeit zu machen.»
Hoffen wir mal, dass das so bleibt!
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